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Praxiskolumne Tschüss, Krebs? So bald leider nicht!

Autor: Sebastian Alsleben

Trotz rapider Entwicklungen in der Medizin bleiben Herausforderungen, die nicht so einfach zu lösen sind, z.B. die Heilung von Krebserkrankungen. Trotz rapider Entwicklungen in der Medizin bleiben Herausforderungen, die nicht so einfach zu lösen sind, z.B. die Heilung von Krebserkrankungen. © ipopba – stock.adobe.com
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Die Medizin hat sich in den letzten Jahrzehnten rapide entwickelt: Technologische Neuerungen bringen am laufenden Band verbesserte Diagnose- und Behandlungsmethoden hervor.

Das betrifft viele Gebiete der Medizin, besonders eindrucksvoll aber sind die Fortschritte in der Krebsdiagnostik und -therapie. Presseberichte über neue Techniken können bei Patienten Fragen und Hoffnungen wecken, die wir als Hausärzte dann einzuordnen wissen müssen.

Ein derzeit heiß diskutiertes Thema ist ein Bluttest, der als jährlicher sogenannter „Krebs-Scan“ bei einer privaten Zusatzversicherung angeboten wird. In der Werbung und in manchen Medien wurde er bereits als bahnbrechendes Verfahren angepriesen. Vertreter des Herstellers sagen in einem Video voraus, dass ihr Produkt die Anzahl der Todesfälle durch Krebs „deutlich reduzieren wird“. Doch wie bei jedem vermeintlichen neuen Game-Changer sollten wir uns fragen: Hält diese Technologie wirklich, was sie verspricht?

Der aktuell beworbene Test ist Teil einer größeren wissenschaftlichen Entwicklung. Schon seit Längerem suchen viele Labore und Firmen weltweit nach Möglichkeiten einer frühzeitigen, nicht-invasiven Krebserkennung. 

Biomolekulare Marker in Blut und Urin sollen dabei helfen, Malignome schon in einer frühen, symptomlosen Phase aufzuspüren. Darunter auch Krebsarten, für die es bislang noch überhaupt kein Verfahren zur Früherkennung gibt. Dafür fahnden die Verfahren beispielsweise nach Tumor-DNA, nach veränderten Glykosaminoglykanen oder nach Enzymen, die auf ein Tumorwachstum hindeuten. Das klingt erst einmal beeindruckend. Viele Patienten – insbesondere solche mit familiärer Vorbelastung für Krebsleiden – fragen mich deshalb aktuell nach meiner Meinung zu dieser „neuen wissenschaftlichen Errungenschaft“. 

Der Teufel steckt wie so oft im Detail. Wie genau sind die Ergebnisse der aktuell verfügbaren Testverfahren? Eine zu hohe Sensibilität könnte zu einer Flut von falsch-positiven Ergebnissen führen, was zu unnötiger Angst, zusätzlichen Tests und potenziell unnötigen invasiven Eingriffen führen kann. Auf der Internetseite des „Krebs-Scans“ zitiert der Anbieter eine Studie, in der bei 124 von 151 positiv getesteten Personen anschließend eine Krebsvorstufe oder ein Malignom festgestellt wurden. Das bildgebende Verfahren nach dem auffälligen Bluttest ist in der Zusatzversicherung inbegriffen. Angeboten werden eine Magnetresonanztomografie oder eine Positronen-Emissions-Tomografie. Das klingt verlockend – auch für mich als jungen Mediziner.

Dennoch: Tumoren in einem sehr frühen Stadium zu erkennen, klingt zwar zunächst gut. Aber es besteht die Gefahr, dass diese Information ohne den richtigen Kontext mehr schadet als nützt. Es braucht den großangelegten Nachweis, dass eine solche Früherkennung auch tatsächlich die Sterblichkeit reduziert. Nur das wäre ein echter wissenschaftlicher Durchbruch. Hinzu kommt die Frage nach den Kosten. Wie werden diese Technologien in das bestehende Gesundheitssystem integriert? Bislang werden die Patienten selbst zur Kasse gebeten. Doch Selbstzahler-Testverfahren vergrößern die ohnehin schon bestehende soziale Ungleichheit im Gesundheitswesen. Sollen in Zukunft nur diejenigen Patienten in den Genuss der neuesten Technologien kommen, die es sich leisten können? Es ist wichtig, dass wir als Ärzte auch diese Aspekte berücksichtigen, wenn wir über die Einführung neuer Verfahren urteilen. 

Zusammenfassend ist festzuhalten: Zweifellos haben Bluttests zur Krebsfrüherkennung ein großes Potenzial. Mehr aber bislang nicht. Wir dürfen uns nicht vom Glanz neuer Technologien blenden lassen. Kritische Fragen, sowohl in Bezug auf die wissenschaftliche Genauigkeit als auch auf ethische und praktische Überlegungen, müssen im Mittelpunkt stehen. Nur das dient letztlich dem Wohl unserer Patienten.

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