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Sterbehilfe Vorher eine Erlaubnis vom Gericht einholen?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Schwere Erkrankungen oder andere Gründe 
lassen manchmal den Suizid als einzigen Ausweg erscheinen. (Agenturfoto) Schwere Erkrankungen oder andere Gründe lassen manchmal den Suizid als einzigen Ausweg erscheinen. (Agenturfoto) © Photographee.eu – stock.adobe.com
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Wer als schwerstkranke Person meint, bei der Sterbehilfe auf einen staatlich geregelten Weg setzen zu können, der irrt. Denn die Parlamentarier können sich auf keinen rechtssicheren Weg einigen, der z.B. auch Ärzten ermöglicht, problemlos beim Suizid zu begleiten.

In einem Urteil von 2020 bekräftig­te das Bundesverfassungsgericht das individuelle Recht  der Bürger auf ein selbstbestimmtes Sterben, inklusive des Rechts, dabei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zugleich wurde – weil verfassungswidrig – der 2015 beschlossene Sterbehilfeparagraf 217 im Strafgesetzbuch gekippt. Einen Rahmen für Schutzregeln haben die Richter zugleich formuliert. Einen gesetzlichen Auftrag zur Neuregelung jedoch nicht.

Dennoch ringen seit 2020 die Parlamentarier in Berlin um eine neue, rechtssichere Lösung. Ein Kompromiss liegt jedoch auch heute, zwei Jahre später, in weiter Ferne. Zwar gibt es einhellig das Bestreben – wie schon mit §217 beabsichtigt – die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung zu verbieten. Ob dies aber im Strafrecht verankert werden sollte, ist strittig. Lars Castellucci (SPD) und weitere 84 Abgeordnete sagen „ja“ zur Verankerung im Strafrecht, und zwar mit einer vorgesehenen Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafen.

Menschen auf dem letzten Weg respektvoll begleiten

Katrin Helling-Plahr und weitere 67 Abgeordnete verfolgen dagegen den straffreien Ansatz. Es gehe um die Sicherheit, entscheiden zu dürfen, wann das Leben ende, um das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, so die FDP-Politikerin. Das Strafrecht sei hier inakzeptabel. Wer bereit sei, Menschen auf dem letzten Weg zu begleiten, müsse mit Respekt gesehen und nicht mit Strafen bedroht werden.

Ein anderer Vorschlag von ­Renate Künast et al. beinhaltet, dass nur die missbräuchliche Beantragung eines tödlich wirkenden Medikaments eine Straftat darstellt. Sterbewillige sollen ihren Sterbewunsch gegenüber einem Arzt bekunden und sich von diesem über Alternativen wie palliativmedizinische Angebote aufklären lassen. Ein zweiter Arzt soll dann das Erfüllen der Sterbehilfe-Voraussetzungen überprüfen. Zudem soll die Abgabe des tödlichen Medikaments bei einer von den Ländern zu benennenden Stelle beantragt werden. Wer will, kann das Medikament laut Künast- Gruppe auch erst z.B. an eine dafür zugelassene Sterbehilfeorganisationen abgeben lassen und innerhalb eines Jahres darauf zugreifen.

Der Bundestagsabgeordnete ­Hubert Hüppe (CDU) tut sich überhaupt schwer, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu akzeptieren. Er wolle eigentlich nicht an einer Regelung mitwirken, die er ablehne, auch wenn er grundsätzlich verstehen könne, wenn sich Menschen in bestimmten Situationen das Leben nehmen wollten.

Die autonome Entscheidung, sich zu töten, vielleicht sogar mithilfe Dritter, sei zwar eine Zumutung für die Gesellschaft, meint SPD-Politiker Helge Lindh. Eine Neuregelung der Suizidhilfe dürfe aber keine Zumutung für Betroffene werden, mahnt er. „Nichtstun kann keine Option sein“, erklärt Benjamin Strasser (FDP).

Im Bundestag sind also, was assistiertes Sterben betrifft, Auffassungen verschiedenster Art zu finden. Unterschiedliche Ansichten zeigen sich ebenso in Stellungnahmen von Fachgesellschaften, Verbänden, Kirchen sowie Sachverständigen aus den Bereichen Palliativmedizin, Ethik, Suizidprävention und Rechtswissenschaften – grundlegende wie auch die Details des Vorgehens betreffende. Vielfach wird eindringlich die Notwendigkeit einer Beratung des Suizidwilligen betont, um Lösungen anbieten zu können, wenn etwa ein Sterbewunsch aus einer scheinbar übermächtigen Schuldenlast resultiert oder einer behandelbaren schweren Depression.

Skepsis bei Vereinen

Aus Sicht des Vereins Sterbehilfe sind alle drei in Berlin vorgelegten Gesetzentwürfe verfassungswidrig. Die Bundestagsabgeordneten werden deshalb aufgefordert, sich mit den praktischen Erfahrungen und Prozessen der Sterbehilfevereine bekannt zu machen. Rechtsanwalt Prof. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), warnt vor einem Schnellschuss und einem neuen Suizidhilfeverhinderungsparagrafen.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hält die Suizidprävention im Sinne eines legislativen Schutzkonzeptes Sterbewilliger für erforderlich. Die Suizidbeihilfe könne nicht freigegeben werden, ohne die besondere Situation und Vulnerabilität der Betroffenen in den Blick zu nehmen und entsprechende Mechanismen zu ihrem Schutz vorzusehen, heißt es in einer Stellungnahme.

In einer DGPPN-Umfrage hatten sich 88 % der Mitglieder für eine entsprechende gesetzliche Regelung ausgesprochen. Zwar wird unter bestimmten Umständen die Suizid­assistenz durch Ärzte für möglich gehalten (63 %), bei Fehlen einer terminalen Erkrankung aber müsse eine stärkere Prüfung der Zulässigkeit von Suizidassistenz (60 %) und eine Begutachtung der Freiverantwortlichkeit des Betroffenen erfolgen (58 %). Die Mehrheit der Befragten (62 %) sieht die Assistenz bei einem freiverantwortlichen Suizid als eine ärztliche Aufgabe an.

Über die Umfrage berichtete DGPPN-Präsident Prof. Dr. ­Thomas Pollmächer beim DGPPN-Hauptstadtkongress „Suizidbeihilfe neu regeln: zwischen Selbstbestimmung und Schutzpflichten“. Er informierte auch darüber, dass die Fachgesellschaft die Überwachung der Einhaltung prozeduraler Vorgaben durch das zuständige Amts- bzw. Betreuungsgericht als rechtlich vorgegeben erwartet. „Als medizinische Fachgesellschaft können wir nur Gesetzesvorhaben unterstützen, die hier eindeutige Schutzmechanismen vorsehen“, so Prof. Pollmächer.

Zur Prüfung der Freiverantwortlichkeit solle es zwei unabhängige fachärztliche Untersuchungen (mindestens eine durch einen Psychiater) im Mindestabstand von drei Monaten geben und dann die abschließende gerichtliche Entscheidung. Bei terminal Erkrankten könne auf das zweite Gutachten verzichtet werden.

Bei der Beratung gehe es darum, der suizidwilligen Person alle Entscheidungsalternativen und Behandlungsoptionen anzubieten. Unverzüglich seien bei eingeschränkter Freiverantwortlichkeit auch Hilfen anzubieten. Als Wartefristen nannte der Redner sechs Monate bei fehlender terminaler Erkrankung. Bei Letzterer seien auch kürzere Fristen möglich.

Zu den Empfehlungen der DGPPN gibt es viel Skepsis aus der Praxis. „Ist es wirklich geplant, eine richterliche Entscheidung einzufordern?“, fragte ein Teilnehmer der Veranstaltung ungläubig nach. „Sollen Menschen, die ihr ganzes Leben lang eigenständig entschieden hätten, sich jetzt einem Richterspruch unterwerfen müssen? Das kommt mir entsetzlich vor!“

Er gebe zu, dass gerade der Punkt der richterlichen Entscheidung einer der am heftigsten diskutierten gewesen sei, erwiderte der DGPPN-Präsident. Dass die Empfehlung in diese Richtung gehe, zeige allerdings, wie wichtig der Fachgesellschaft nicht nur die Sicherheit der Entscheidung sei, sondern auch eine gewisse Qualitätssicherung und Absicherung im Sinne der Ärzte. „Natürlich ist es eine Zumutung, wenn man ein aufwendiges Verfahren durchlaufen muss – aber angesichts der vielen, die durch ein solches Verfahren gerettet werden können, ist es vielleicht doch zumutbar.“

Drei Gesetzesvorschläge – bisher keine Mehrheiten

Mittlerweile liegen drei Gesetzesvorschläge zur Sterbehilfe vor. Eine Mehrheit unter den Abgeordneten zeichnet sich für keinen davon ab. In der ersten Lesung im Bundestag wurden die Diskussionen deshalb in die Ausschüsse verlagert, mit Federführung beim Rechtsausschuss.

Nicht rechtswidrig soll laut des Castellucci-Gesetzentwurfs die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe sein, wenn die suizidwillige Person „volljährig und einsichtsfähig“ ist, sich mindestens zweimal von einem Facharzt für Psych­iatrie und Psychotherapie hat untersuchen lassen und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.

Auf eine der Sterbehilfe vorangehende Beratung setzen auch die beiden anderen Gesetzentwürfe. Helling-Plahr et al. schlagen vor, dass die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt grundsätzlich frühestens zehn Tage nach der Beratung und spätestens acht Wochen danach erfolgen dürfe. Das Gespräch sei zudem „ergebnisoffen zu führen und darf nicht bevormunden“.

Medical-Tribune-Bericht


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