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Multimodale digitale Therapie Den Reizdarm per App beruhigen

DGIM 2024 Autor: Tobias Stolzenberg

Die Nutzung von speziellen Apps kann zur Verbesserung der Lebensqualität von Patient:innen mit Reizdarmsyndrom maßgeblich beitragen. Die Nutzung von speziellen Apps kann zur Verbesserung der Lebensqualität von Patient:innen mit Reizdarmsyndrom maßgeblich beitragen. © Suttipun – stock.adobe.com
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Es gibt immer mehr Apps, die sich auf Rezept verordnen lassen. Mittlerweile hat die erste gastroenterologische digitale Gesundheitsanwendung eine dauerhafte Zulassung als alleinige Therapie beim Reizdarmsyndrom. Wie kann die neue DiGA Arzt und Patient helfen?

Da Menschen mit Reizdarmsyndrom nicht nur körperlich leiden, muss man bei Diagnostik und Therapie psychiatrische Komorbiditäten unbedingt berücksichtigen. Die S3-Leitlinie Reizdarm trägt dieser Tatsache Rechnung und verlangt nach einer individuell gestalteten, interdisziplinären und multimodal ausgerichteten Behandlung der Betroffenen, erklärte Prof. Dr. Stefan Lüth von der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel. Allerdings sehen sich Arzt und Patient mit dem Problem konfrontiert, dass es kein standardisiertes Vorgehen gibt, wie sich geforderte Psychoedukation, medikamentöse Symptomlinderung, Psychotherapie sowie ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Bewegung und individueller Ernährungsweise erreichen lassen.

Ohne Frage hilfreich bei der Therapie ist nach der Einschätzung von Prof. Lüth beispielsweise die App Cara Care, der das BfArM im November 2023 die dauerhafte Zulassung erteilt hat. Validiert worden ist die digitale Gesundheitsanwendung im Rahmen einer prospektiven multizentrischen und randomisierten Studie, an der er selbst als Prüfarzt beteiligt war. Auf eine zwölfwöchige Interventionsphase folgten neun Monate Anschlussbehandlung, auch für die Patienten der Kontrollgruppe.

Die insgesamt 378 Studienteilnehmer waren mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren in der Interventions- und 32 Jahren in der Kontrollgruppe recht jung und zudem überwiegend weiblich (80 %). Sie litten am diarrhöbetonten Reizdarmtyp (35 % bzw. 32 %). Der Mischtyp (13 % bzw. 12 %) und der obstipationsbetonte Typ (13 % bzw. 12 %) waren seltener vertreten. Jeweils 39 % und 44 % der Reizdarmerkrankungen galten als untypisiert. Zu den primären Endpunkten der Analyse gehörten Symptomschwere, Verbesserung der krankheitsbezogenen Lebensqualität sowie Reduktion der Beeinträchtigung in Beruf und Alltag, ebenso der Zuwachs an Gesundheitskompetenz bei den Patienten. Sekundäre Endpunkte waren die Abnahme von Ängstlichkeit und Depressivität.

Bei 70 % der Patienten der Interventionsgruppe waren die Symptome nach zwölf Wochen zurückgegangen, beschrieb Prof. Lüth eines der klinisch relevanten Ergebnisse der Untersuchung. In der Kontrollgruppe traf dies nur auf 33 % der Teilnehmer zu. Die reizdarmbezogene Lebensqualität besserte sich im selben Zeitraum bei 71 % der App-Nutzer deutlich, in der Kontrollgruppe nur bei 19 %. Insgesamt stieg die Arbeitsproduktivität, die Einschränkungen im Alltag gingen zurück und die Gesundheitskompetenz wuchs bei den App-Anwendern.

Über die App lassen sich unter anderem ein Symptom- und Ernährungstagebuch führen, mit denen sich mögliche Triggerfaktoren identifizieren lassen. Personalisierte Kochrezepte und individualisierte Therapieempfehlungen aus der Ernährungs- und Verhaltenstherapie unterstützen den Patienten bei den notwendigen Lebensstilmodifikationen. Eine Reihe klinisch validierter Fragebögen ermöglicht dem Arzt eine regelmäßige Verlaufskontrolle der Erkrankung und die fortlaufende Optimierung der Therapie.

Ein zentrales Element der App ist das Modul zum Basiswissen, beschrieb der Referent. In der Leitlinie werde unmissverständlich gefordert, die Patienten hinsichtlich der Ätiologie und der Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms sowie der Diagnostik und Therapieverfahren umfassend zu schulen, so Prof. Lüth. Dieses Wissen soll der Patient in seinen Alltag integrieren und anhand von Lebensstilmodifikationen umsetzen.

Ein weiteres Modul umfasst das Thema Ernährung. Die Mehrheit der Menschen mit Reizdarmsyndrom erreicht durch eine Low-FODMAP*-Diät eine Linderung der Symptome und eine Verbesserung der Lebensqualität, erläuterte Prof. Lüth. Folgerichtig werde diese Kostform in der S3-Leitlinie empfohlen. Die Therapie beginnt mit einer Eliminationsphase sämtlicher Mono-, Di- und Oligosaccharide, beschrieb er. Anschließend führt man die FODMAP-haltigen Lebensmittel nach und nach wieder ein, erfasst die möglicherweise auftretenden Beschwerden und kann so mit einem auf den Patienten angepassten Speiseplan eine individuelle und auf lange Sicht verträgliche Kostform etablieren. 

In einem weiteren Modul kann der Patient seinen Umgang mit negativen Gefühlen und Stress verbessern sowie Entspannungstechniken und Achtsamkeitsmethoden lernen – auch das entspricht den Empfehlungen der S3-Leitlinie. Die Grundlagen des appbasierten Angst- und Stressmanagements bilden Methoden der achtsamkeitsbasierten kognitiven Verhaltenstherapie und Anleitungen zur Lebensstilmodifikation. 

Des Weiteren verfügt Cara Care über ein Modul zur audiogeführten Hypnose. Hierzu bekommt Prof. Lüth nach eigenem Bekunden regelmäßig positive Rückmeldungen seiner Patienten, in denen sie über den kurz- oder langfristigen Rückgang der Symptome berichten. Der Wirkmechanismus des Verfahrens sei unklar, man vermutet vor allem Einflüsse auf die Darm-Hirn-Achse.

Digitale Reizdarmtherapie/ Neue Wege in Ernährungstherapie | Prof. Dr. Stefan Lüth

* fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols

Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 2024