Eine letzte Botschaft: Unheilbar erkrankte Eltern hinterlassen ihre Geschichte
Seit fast 15 Jahren beschäftigt sich Judith Grümmer mit Familienhörbüchern, die Angehörigen und Freunden eine unverwechselbare Biografie in die Hand geben. Zudem ist die Palliativmedizin ihr Thema. 2004 erschien zunächst das Hörbuch „Leben Sie wohl. Geschichte der Palliativmedizin in Deutschland”, in dem auch Ingeborg Jonen-Thielemann, die als Pionierin der deutschen Palliativmedizin gilt, zu Wort kommt. Daraus wurde rasch mehr und Grümmer begann – zunächst mit Älteren – Hörbücher über deren Leben zu produzieren. Später wandte sich die heute 60-Jährige auch Jüngeren zu. Seit etwa sieben Jahren konzentriert sie sich fast ausschließlich auf dieses Projekt und absolvierte schließlich 2016/2017 noch eine Fortbildung Palliative Care für psychosoziale Berufsgruppen.
„Viele Menschen berichten Außenstehenden mehr“, erklärt die Journalistin. Sie lässt sie einfach reden, lässt sie aus dem Stegreif und ohne Text die Geschichte ihres Lebens erzählen. Ab und zu helfen Nachfragen dabei, Erinnerungen wieder ans Licht zu holen oder plastisch werden zu lassen. Für unheilbar erkrankte Eltern bietet das eine einzigartige Möglichkeit, ihren Angehörigen, insbesondere ihren Kindern, lebendig im Gedächtnis zu bleiben. „Natürlich sind die Gespräche auch mit sehr viel Schmerz verbunden, aber ich erlebe es oft als eine Art heilenden Schmerz“, so Grümmer.
Hörbuchprojekt ist das erste seiner Art
Seit März 2017 arbeitet die Journalistin zusammen mit der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn an einer Studie zum von ihr initiierten Familienhörbuch-Projekt „Audiobiografien schwer erkrankter Mütter und Väter. Patienten erzählen für ihre Kinder“. Die Förderung dieser Pilotstudie erfolgte durch die RheinEnergieStiftung zunächst bis 2019 und wurde bis März 2020 verlängert. Es entstehen für die Mitwirkenden weder Kosten noch bekommen sie dafür Geld. Bislang können nur Menschen aus Nordrhein-Westfalen teilnehmen.
Etwas Vergleichbares gab es bislang wohl noch nicht. „Wir haben im Vorfeld nichts zu Audiodokumentationen schwer kranker junger Eltern gefunden“, sagt Michaela Hesse, Psychoonkologin der Klinik. Sie führt mit den Teilnehmern der Studie zunächst ein Evaluierungsgespräch – in der Klinik oder bei ihnen zu Hause –, in dem sie z.B. die Einstellungen zur Erkrankung und die Erwartungen an das Projekt erfasst. Außerdem erhalten die Patienten standardisierte Fragebögen zu Symptomlast, Lebensqualität und Lebenssinn.
„Der Bedarf ist groß, die eigene Lebensgeschichte stellt eine große Ressource dar und das Nacherzählen erzeugt oft Dankbarkeit, schafft aber auch einen Abschluss“, erklärt Hesse. Zudem erfahren die Kinder die Geschichte ihres verstorbenen Elternteils aus erster Hand. „Schwierig wird es oft, den optimalen Zeitpunkt zu finden“, so die Psychoonkologin. Mitten in einer Krebstherapie kann es z.B. ebenso problematisch sein wie in der präfinalen Phase.
Nachwuchs in Sicht
Effekt auf die Familien wird im Nachgang evaluiert
Nach dem Evaluierungsgespräch folgt die Erstellung des Hörbuchs mit Grümmer. Drei Tage dauern die Aufzeichnungen. Die Journalistin führt die Gespräche wenn möglich am liebsten in ihrem Wochenendhaus in der Eifel durch, wo die Patienten völlige Entspannung finden können. Für die Fertigstellung sind dann noch ein paar Wochen Nacharbeit nötig, insgesamt hängen an einer Audiobiografie ca. 100 Arbeitsstunden. Manche Eltern halten das fertige Hörbuch noch in den Händen. Einige beginnen damit, reinzuhören, andere legen es für ihre Kinder zur Seite. Nach Abschluss der Tonaufnahmen evaluiert Hesse den Zustand der Betroffenen erneut. Zusätzlich führt sie Interviews mit den Partnern sowie – nach Einverständnis der Eltern – auch mit den Kindern. Die Studie hat zwei wesentliche Ziele: zu sehen, welche Wirkung die Familienhörbücher auf die Kranken und ihre Kinder haben. Und eine Form zu finden, mit der man mit Audiobiografien in die Fortbildung gehen könnte. Bisher wurden schon mehr als 20 Hörbücher erstellt. Bis zum Ende des Förderzeitraums könnten es um die 40 werden, schätzt Hesse. All diese Hörbücher sollen in die Studie einfließen und ausgewertet werden.Das leidige Thema Geld
Medical-Tribune-Bericht