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Prostatakrebs In die Früherkennung kommt Bewegung

EAU 2024 Autor: Dr. Moyo Grebbin

Neue Initiativen widmen sich den Möglichkeiten eines sinnvollen Prostatakrebsscreenings. Neue Initiativen widmen sich den Möglichkeiten eines sinnvollen Prostatakrebsscreenings. © ipopba – stock.adobe.com
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Auf politischen Druck der EU hin entstand eine ganze Reihe Initiativen, die sich den Möglichkeiten eines sinnvollen Prostatakrebsscreenings widmen. Auch wenn die Fragestellungen teils auseinanderklafften, das Ziel war klar: Screeningschäden eindämmen. 

In 2022 erweiterte die EU-Kommission ihre Empfehlung zu Krebsscreeningprogrammen – mit dem Vorschlag, Mitgliedstaaten sollten die Machbarkeit und Effizienz eines Prostatakrebs(PCa)-Screenings evaluieren. Insofern hatten die entsprechenden Sessions einen laut Prof. Dr. Peter Albers vom Universitätsklinikum Düsseldorf „hochpolitischen“ Charakter. Viele Staaten starteten bzw. intensivierten Testprogramme. Die Arbeiten innerhalb dieses „Europäischen Laboratoriums der Screeningexperimente“, wie es Prof. Dr. Chris Bangma vom Erasmus Medical Centre in Rotterdam bezeichnete, wurden jetzt vorgestellt und diskutiert.

PROBASE: PSA allein

„Ab welchem Alter sollte das Screening beginnen, wie definieren wir niedriges Risiko, und wie oft sollten wir testen?“, fasste Prof. Albers die Fragestellungen der deutschen risikoadaptierten Studie PROBASE zur PCa-Früherkennung zusammen.1 In der EAU-Richtlinie 2024 werde ein PSA-Wert von < 1,0 ng/ml mit 40 Jahren als Niedrigrisiko vorgeschlagen und ein Screeningintervall von acht Jahren, erklärte er. 

Die Risikogruppen der PROBASE-Studie legte das Autor:innenteam in 2014 anhand zweier Publikationen fest, denen zufolge Level von < 1,5 ng/ml ein geringes Risiko für PCa-Erkrankungen vorhersagten.2 Die Forschenden erhoben PSA-Basiswerte bei jungen Männern mit 45 Jahren (früher Screeningarm) bzw. 50 Jahren (verzögerter Screeningarm).3 Bei PSA-Werten < 1,5 ng/ml wurde der Test alle fünf Jahre wiederholt. Lag das Ergebnis zwischen 1,5 ng/ml und 2,99 ng/ml, verkürzte sich das Testintervall auf zwei Jahre. Ab einem Messwert von ≥ 3 ng/ml erhielten die Teilnehmer:innen ein MRT und eine Biopsie. 

Im frühen Screeningarm wurden mit einem Anteil von 0,2 % sehr wenige aggressive PCa erkannt, erklärte Prof. Dr. Boris Hadaschik, Universitätsklinikum Essen.3 Von mehr als 23.000 Untersuchten dieser frühen Gruppe hatten 0,8 % PSA-Werte ≥ 3 ng/ml vs. 2,3 % im verzögerten Screeningarm. Unter 48 detektierten PCa bei den 45-Jährigen befanden sich vier mit GGG ≥ 3. „Die Akzeptanz der Intervalluntersuchungen war gut“, erklärte Prof. Hadaschik. „Digitale rektale Untersuchungen dagegen stellten sich als nutzlos heraus und schrecken die Patient:innen eher ab.“ 

Prof. Albers wies besonders darauf hin, wie wichtig es sei, die Definition für Niedrigrisiko-PSA-Werte bei 45 Jahre jungen Männern von 1 ng/ml auf 1,5 ng/ml anzuheben.1 Das Anheben des Schwellenwertes erweitere den Anteil derjenigen, die als „gesund“ eingestuft und erst in fünf Jahren wieder getestet werden, um beinahe 20 Prozentpunkte von 71 % auf 89 % der Zielpopulation. „Wir bewerten das als enormen Fortschritt in Bezug darauf, die Schäden des Screenings zu reduzieren“, betonte Prof. Albers.

OPT: PSA + MRT

In 2020 initiierte Schweden ein nationales Programm namens „Organised Prostate cancer Testing“ (OPT). Prof. Dr. Jonas Hugosson von der Universität Göteborg präsentierte erste Ergebnisse nach drei Jahren.4 „OPT ist eigentlich kein Screeningprogramm – sondern es wurde ins Leben gerufen, um unkontrolliert hohen opportunistischen Screeningaktivitäten ein strukturiertes Vorgehen entgegenzusetzen, um das Wissen in dem Feld zu erhöhen und um die Zugangsbedingungen anzugleichen“, merkte der Referent an. 

Alle 50 Jahre alten Männer dreier Regionen, insgesamt mehr als 68.000, erhielten auf dem Postweg eine Einladung. Dem Schreiben lag ein Informationsblatt über die Vor- und Nachteile des PSA-Screenings bei. Männern mit erhöhten Messwerten ab 3 ng/ml wurde ein bi-parametrisches MRT angeboten. Die Beteiligung am PSA-Test betrug 35 %, erhöhte PSA-Level fanden sich bei 2,9 % (n = 696) der Teilnehmer:innen. Als Indikationen für eine Biopsie galten der Befund von PI-RADS 1–3 mit einer PSA-Dichte ≥ 0,15 ng/ml/cm3 oder PI-RADS 4–5. Von den Männern mit erhöhtem PSA erhielten 44 % (306) eine Indikation zur Biopsie, die 221 wahrnahmen. Das Ergebnis fiel zu 38 % gutartig aus, 20 % entsprachen einer Gleason-Graduierungsgruppe (GGG) 1 und 42 % GGG ≥ 2,4. 

Zwischen den drei Testregionen zeigten sich unerwartet hohe diagnostische Abweichungen, die den Bedarf an Standardisierung bei PSA-Test sowie MRT-Befund aufzeigten, erklärte Prof. Hugosson.4 Er sprach sich für die Strategie aus, PSA-Tests vor einer MRT-Analyse beizubehalten. Das spare Ressourcen und verhindere Überdiagnosen. Der optimale Grenzwert dafür bleibe aber noch unklar. Durch die Kombination aus MRT-Resultat und PSA-Dichte blieb in OPT mehr als der Hälfte derjenigen mit hohem PSA-Wert die Biopsie erspart, betonte er.

PSA + systematische vs. MRT-informierte Biopsie: Göteborg-2

In der schwedischen Studie, die bis 2021 rekrutierte, gehören 19.000 Männer der Kontrollgruppe an, erklärte Prof. Dr. Anna Lantz, Karolinska Institutet, Stockholm. Der dreiteilige Screeningarm umfasst mehr als 38.000 Teilnehmer im Alter von 50 bis 61 Jahren.6 In Arm 1 erhielten alle mit PSA ≥ 3 ng/ml zusätzlich zur MRT eine systematische Biopsie – ergänzt durch zielgerichtete Biopsien bei MRT-Befunden von PI-RADS 3–5. In den Versuchsarmen 2 und 3 erhielten Männer mit PSA ≥ 3 ng/ml und negativem MRT keine Biopsie, außer der PSA-Wert überschritt 10 ng/ml. 

Die Indikation zur Biopsie war in Arm 2 und 3 gegenüber Arm 1 um mehr als das Doppelte verringert, erklärte Prof. Hugosson (6,8 % in Arm 1 vs. 2,8 % in Arm 2/3). Die Detektionsrate für klinisch unsignifikanten Krebs (Gleason-Score ≤ 3+3) lag in Arm 1 bei 1,2 % vs. 0,6 %; klinisch bedeutsame pCA (Gleason ≥ 3+4) wurden in Arm 1 bei 1,1 % der Teilnehmenden diagnostiziert vs. 0,9 % in den Armen 2/3. „Zehn signifikante Tumoren wurden in Arm 1 nur durch die systematischen Biopsien erkannt. Alle davon waren Gleason-Score 3+4“, führte der Referent aus. 

Die Frage sei, ob es sicher ist, die Diagnose für die MRT-negativen Tumoren so weit hinauszuzögern, bis sie in der Bildgebung sichtbar werden, und ob sie dann noch heilbar sind. Daten mit einer medianen Nachbeobachtung von vier Jahren wurden gerade ausgewertet und zur Publikation eingereicht, aber noch nicht vorgestellt.

ProScreen: PSA + Kallikrein-Panel + MRT

Am Tag der Veröffentlichung in JAMA stellte Prof. Dr. Anssi Auvinen von der Universität Tampere erstmals die Ergebnisse der ersten Screeningrunde der finnischen Studie ProScreen vor.7 Ihr primärer Endpunkt ist die PCa-Mortalität mit geplanten Analysen nach zehn und 15 Jahren. Das Screeningprotokoll besteht aus einem PSA-Test, ab Werten ≥ 3 ng/ml kam ein Vier-Kallikrein-Panel zum Einsatz. Erreichte dieses einen Score von mindestens 7,5 %, erhielten die Betroffenen ein mpMRT, ab PI-RADS-Befunden ≥ 3 eine Biopsie. Als Sicherheitsmaßnahme erhielten außerdem Männer mit PSA-Dichten ab 0,15 ng/ml/cm3 eine systematische Biopsie. 

Von gut 15.000 Eingeladenen nahmen mit 7.744 mehr als die Hälfte am Screening teil. Hohe PSA-Werte hatten knapp 10 % der Untersuchten (752); bei 72 % davon (526) überschritt auch der Kallikrein-Test den Schwellenwert. PI-RADS-Scores 3–5 wurden bei 211 (41 %) detektiert. Letztlich erhielten mit 209 Männern 2,7 % der Teilnehmer:innen eine Biopsie; es erfolgten 22 GG-1-Befunde und 113 GG-2–5-Befunde. 

Unter den knapp 7.500 Männern im Screeningarm, die nicht teilgenommen hatten, wurden Registerdaten zufolge sieben GG 1 und 44 GG 2–5 diagnostiziert. In der Kontrollgruppe, die gut 45.500 Männer umfasste, waren es nach medianem Follow-up von 3,4 Jahren 65 GG-1- und 282 GG-2–5-Fälle. 

Dass deutlich mehr hochgradige als niedriggradige Läsionen gefunden wurden, bewertete Prof. Auvinen als ermutigendes Signal. „Unter der Annahme, dass hochgradige Befunde die Vorteile und niedriggradige Befunde in Form von Überdiagnosen die Nachteile des Screenings repräsentieren, sprechen die Ergebnisse dafür, dass eine deutlich bessere Balance erreicht wurde als beim reinen PSA-Screening“, erklärte er. 

Im Vergleich zur Göteborg-2-Studie betragen die jeweiligen Anteile 1,6 % (ProScreen) vs. 0,9 % für hochgradige Diagnosen und 0,4 % vs. 0,6 % für niedriggradige Ergebnisse. Die zweite und dritte Screeningrunde sind angelaufen, im Folgenden wollen die Wissenschaftler:innen u.a. die Grenzwerte für Kallikrein und PI-RADS evaluieren sowie QoL und Kosteneffektivität.

PRAISE-U: Strategie für Europa 

Als direkte Auswirkung der politischen Entscheidung, die PCa-Früherkennung in der EU auszuloten, ist das Projekt PRAISE-U entstanden. Es wird von der EAU und deren Politikabteilung koordiniert. Prof. Dr. Monique Roobol vom Erasmus Medical Centre in Rotterdam stellte die Initiative vor.8 Ein EAU-Konsortium entwickelte eine Art Richtlinie für ein risikoadaptiertes Screening, das den jeweiligen Ländern Möglichkeiten offenhält, die Strategie an die Gegebenheiten anzupassen. Aus vergangenen Projekten habe man gelernt: Ein „One size fits all“-Ansatz habe den Nachteil, dass zu viel unnötige Diagnostik gemacht wird. Der Grundsatz lautet jetzt: „Je diverser, umso besser – aber mit angemessener Qualitätskontrolle.“

Am Anfang des EAU-Algorithmus steht die informierte Entscheidungsfindung. Anschließend bestimmt der PSA-Wert das Screeningintervall. Für die Altersgruppe von 50 bis 59 Jahren wurde folgende Empfehlung formuliert: Weniger als 1 ng/ml: alle fünf Jahre screenen; 1–3 ng/ml: alle zwei Jahre; ab 3 ng/ml folgt eine Risikostratifikation. Für die Altersgruppe 60 bis 70 Jahre soll bis 1 ng/ml die PSA-Testung eingestellt und für 1–3 ng/ml der Test alle 2–4 Jahre wiederholt werden. Als Möglichkeiten der Risikostratifikation zählte die Referentin Alter, PSA, Biomarker und das Prostatavolumen auf. Nur wenn die Stratifikation ein mittleres bis hohes Risiko ergibt, soll eine MRT erfolgen. In der Empfehlung schließt sich eine weitere Risikoabstufung an, entweder nur anhand der PI-RADS-Klassifikation oder mit einer zusätzlichen Methode. „Wichtig ist vor allem: Wer jeweils nicht in die Risikogruppe fällt, verbleibt in der Screeninggruppe. Wir wollen diese Menschen nicht zu Patient:innen machen“, so Prof. Roobol. 

Das PRAISE-U-Projekt ist auf drei Jahre angelegt. Im ersten Jahr wurden die jeweiligen Bedürfnisse aller 27 EU-Länder ermittelt. Für Jahr zwei sind im April fünf regional angepasste kurze Pilot-Projekte gestartet, in 18 Monaten sollen die Daten vorliegen. Die Forschenden untersuchen darin u.a. Machbarkeit, Adhärenz, Testleistung und psychosoziale Parameter. Zwei der fünf Testregionen liegen in Spanien, die anderen in Litauen, Polen und Irland. 

Schon bei der Erhebung der PSA-Daten wird es große Unterschiede geben – der Test erfolgt in unterschiedlichen Einrichtungen, in Irland wird er zu Hause durchgeführt. Für die erste und zweite Risikostratifikation soll in der Regel der ERSPC*-Risikorechner herangezogen werden, in einer Region stattdessen jeweils die PSA-Dichte. Die MRT- und Biopsietechniken entsprechen dem, was für die jeweilige Region machbar ist. 

Aufgrund der verstärkten Kooperation rechnet die Referentin außerdem damit, dass mehr EU-Länder im Rahmen des EUCanScreen-Projektes Daten und Erfahrungen teilen und austauschen werden. Insgesamt werden bald sehr viel mehr Real-World-Daten aus mehr Ländern zum risikoangepassten PCa-Screening vorliegen, sodass man tatsächlich auf ein Screening in Europa hinarbeiten kann, schloss Prof. Roobol.

* ERSPC: European Randomized study of Screening for Prostate Cancer

Quellen:
1. Albers P. EAU24; Game Changing Session : „Guideline changes in screening and diagnosis for prostate cancer?“
2. Lane JA et al. BMJ 2007; Vickers A et al. BMJ 2013
3. Hadaschik BA; EAU24; Plenary Session: „Risk-adapted screening and treatment of screen-detected prostate cancer“
4. Hugosson J. EAU24; Plenary Session: „Risk-adapted screening and treatment of screen-detected prostate cancer“
5. Lantz A. EAU24; Abstract A0659; Abstract session 32: „Prostate cancer screening at its best“
6. Hugosson J. EAU24; Plenary Session: „Risk-adapted screening and treatment of screen-detected prostate cancer“
7. Auvinen AP. EAU24; Game Changing Session: „Guideline changes in screening and diagnosis for prostate cancer?“
8. Roobol MJ. EAU24; Plenary Session: „Risk-adapted screening and treatment of screen-detected prostate cancer“