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Blutdruckeinstellung  Wie niedrig ist niedrig genug bei chronischer Niereninsuffizienz?

DGIM 2024 Autor: Dr. Vera Seifert

Ein Blutdruck unter 120 mmHg kann angestrebt werden, wenn dafür wenige Medikamente notwendig sind. Ein Blutdruck unter 120 mmHg kann angestrebt werden, wenn dafür wenige Medikamente notwendig sind. © Syda Productions – stock.adobe.com
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Genügt ein systolischer Zielblutdruck unter 140 mmHg für Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz oder sollte man ihn besser unter 120 mmHg senken? Zwei Experten beleuchteten Argumente für beide Vorgehensweisen und einigten sich auf die Antwort „kommt drauf an“.

Zunächst einmal ist es wichtig, wie man den Blutdruck bestimmt, betonte Prof. Dr. Johannes Mann, KfH Nierenzentrum, München. Ausnahmslos alle wichtigen Blutdruckstudien legten den sogenannten standardisiert gemessenen Blutdruck zugrunde, so der Experte. Dabei sollte der Patient fünf Minuten ruhig und ohne Ablenkung sitzen. Dann wird dreimal gemessen und aus diesen drei Werten der Mittelwert gebildet. Im Durchschnitt liegt der so bestimmte Blutdruck etwa 15 mmHg unter dem bei einer Routinemessung erhobenen Wert. 

Die SPRINT-Studie hat gezeigt, dass Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CKD) bei einem systolischen Blutdruckziel von unter 120 mmHg im Vergleich zu 140 mmHg einen Überlebensvorteil haben. Es traten 26 % weniger Todesfälle auf, außerdem 19 % weniger kardiovaskuläre Komplikationen. Wegen dieses überragenden Vorteils wurde die Studie vorzeitig beendet. Mit 2.646 CKD-Patienten ist SPRINT die größte Studie zum Zielblutdruck bei Niereninsuffizienz, die jemals durchgeführt wurde, erklärte Prof. Mann. 

Danach müsste die Entscheidung wohl lauten: Blutdruck senken, was das Zeug hält. Doch wie sieht es mit den Nebenwirkungen aus? Fallen die Patienten bei unter 120 mmHg um und brechen sich die Knochen? In der SPRINT-Studie kam es tatsächlich häufiger unter intensiver Blutdrucksenkung zu Hypotension und Synkopen (Hazard Ratio, HR, 1,34 bzw. 1,28). Betrachtete man die Verletzungen nach einem Sturz, gab es allerdings keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Etwas häufiger (HR 1,46) kam akutes Nierenversagen bei den streng Eingestellten vor. Bei der Gesamtzahl an schweren Nebenwirkungen konstatierte man wiederum keinen Unterschied. 

Muss man sich Sorgen machen wegen einer höheren Demenzgefahr bei niedrigerem Blutdruck? Auch hier gab Prof. Mann Entwarnung: In einer Subgruppenanalyse bei über 75-Jährigen in SPRINT enwickelten in der weniger intensiv eingestellten Gruppe sogar etwas mehr Patienten eine mögliche Demenz oder eine milde kognitive Einschränkung.

Eine weitere wichtige Studie ist ACCORD, die 5.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes einschloss, aber nur wenige mit CKD. In der Gesamtgruppe war der Unterschied zwischen der intensiven und der Standard-Blutdrucksenkung nicht signifikant. In der Subgruppe der Diabetespatienten mit Standard-Glykämiebehandlung profitierten aber diejenigen mit dem niedrigeren Blutdruckziel (HR 0,75). Insofern könnte man also sagen, dass die Daten von SPRINT von ACCORD bestätigt werden. 

Die Empfehlung der KDIGO*-Leitlinie, bei der Prof. Mann mitwirkte, lautet, den Blutdruck bei CKD-Patienten unter 120 mmHg systolisch einzustellen. Allerdings sollte man die Entscheidung von der Diskussion zwischen Patient und Arzt abhängig machen und von der standardisierten Blutdruckmessung. Das Fazit von Prof. Mann:  Niedriger Zielblutdruck verhindert viele Todesfälle.

Dem widersprach auch der zweite Referent, Dr. Christian Schmidt-Lauber, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, nicht. Er plädierte aber für ein differenzierteres Vorgehen in der Praxis. Zum einen hänge die absolute Senkung des kardiovaskulären Risikos vom Ausgangsblutdruck ab. Je höher er ist, umso größer der Benefit. Auch Patienten mit einem Ausgangsblutdruck von knapp über 130 mmHg profitieren noch, aber eben nicht mehr so viel. Zum anderen sollte man sich die Proteinurie anschauen. So konnte z.B. die MDRD-Studie zeigen, dass die Subgruppe der Patienten mit ausgeprägter Proteinurie (> 1 g/Tag) unter strenger Blutdruckeinstellung in puncto GFR-Verlauf einen größeren Benefit hatte. Außerdem scheint die Dauer der Therapie eine Rolle zu spielen. Eine Nachverfolgung der Patienten der MDRD- und der AASK-Studien über 14 Jahre ergab einen günstigeren Effekt bei strengerer RR-Einstellung auf unter 130/80 mmHg

Ein Problem bei strenger Blutdruckeinstellung ist die schlechtere Therapieadhärenz, machte Dr. Schmidt-Lauber klar. Ein besseres Outcome unter strengerer Blutdrucksenkung funktioniert nur, wenn die Therapieadhärenz auch sichergestellt ist. Patienten, die in Eigenregie Tabletten absetzen, verschlechtern ihre Prognose deutlich.

Bei einem älteren Patienten mit einem Blutdruck von 132/74 mmHg und eingeschränkter Lebenserwartung, der bereits drei Blutdrucksenker einnimmt, würde der Experte den Blutdruck nicht noch weiter senken. Denn in der verbleibenden Lebenszeit würde der Betroffene vermutlich nicht mehr von einer strengeren Blutdruckeinstellung profitieren. Das Fazit von Dr. Schmidt-Lauber: Die Therapie sollte auf und mit dem jeweiligen Patienten eingestellt werden. Für die standardisierte Paxismessung sollten für CKD-Patienten folgende Ziele gelten: RR unter 140/90 mmHg ist Pflicht, unter 130/80 mmHg sollte erreicht werden und unter 120 mmHg kann angestrebt werden, wenn man dafür wenige Medikamente braucht.

Was tut sich bei chronischer Niereninsuffizienz?

* Kidney Disease: Improving Global Outcomes

Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 2024