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Einbindung der Angehörigen Win-win-win-Situation auf der Intensivstation

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Angehörige in die Aufgaben auf der Intensivstation miteinzubinden kann sehr sinnvoll sein und hat auch langfristige Auswirkungen über die Zeit im Krankenhaus hinaus. Angehörige in die Aufgaben auf der Intensivstation miteinzubinden kann sehr sinnvoll sein und hat auch langfristige Auswirkungen über die Zeit im Krankenhaus hinaus. © H_Ko – stock.adobe.com
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Einen Menschen mit lebensbedrohlicher Krankheit auf der Intensivstation zu begleiten, verlangt Familien und Freunden viel ab. Oft fühlen sie sich macht- und nutzlos. Es hilft, Angehörige aktiv in den Alltag auf der Station einzubinden. Das ist nicht nur für sie, sondern auch für die Patienten und das Intensivteam von großer Bedeutung. 

Den Angehörigen von Patienten auf Intensivstationen kommen zahlreiche herausfordernde Rollen zu. Sie begleiten, vermitteln, trösten, informieren, halten Wache und vertreten die Interessen des Kranken. Das Erlebte, die sterile Umgebung und die Angst um den geliebten Menschen wird von vielen als traumatisierend empfunden, schreiben Dr. Anna-Henrijke Seidlein von der Universitätsmedizin Greifswald und Prof. Dr. Christiane Hartog von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Aus diesem Grund sei es wichtig, die Zugehörigen in den Alltag auf der Intensivstation einzubinden

Präsent zu sein und auch in kleinere Pflegemaßnahmen aktiv miteinbezogen zu werden – sei es Zähne putzen, Haare kämmen oder Mithilfe bei Lagerungsmaßnahmen – gibt den Angehörigen das Gefühl, die Versorgungssituation zu optimieren. Darüber hinaus hilft es ihnen unter Umständen, ihre Erfahrungen besser zu verarbeiten.

Die Partizipation der Nahestehenden kann auch für das Team auf der Intensivstation eine wertvolle Hilfe sein, nicht nur was die Unterstützung bei der Pflege anbelangt. Freunde und Verwandte kennen die Vorgeschichte des Kranken meist über die Angaben in der Patientenakte hinaus und ermöglichen es, wichtige Informationslücken zu schließen. So sind sie etwa in der Lage, Wünsche des Patienten zum Umfang seiner Therapie zu vermitteln, die dieser im Augenblick nicht selbst äußern kann. 

Was kann verbessert werden?

Möglichkeiten, für Patienten und Angehörige das „Erlebnis“ Intensivstation zu erleichtern:

  • eine strukturierte Kommunikation mit den Angehörigen auf der Intensivstation, möglichst immer mit demselben oder nur einigen wenigen Mitarbeitern ermöglichen
  • bei Entlassung die Angehörigen und den Hausarzt mit ausführlichen Informationen versorgen
  • wenn möglich den Patienten nicht sofort nach Hause, sondern in ein Rehazentrum verlegen
  • eine psychologisch-soziale Beratung der Familie oder zumindest niederschwellige Angebote dazu offerieren, bei Bedarf auch für die weiterbehandelnden Hausärzte

Positive Effekte über die Intensivstation hinaus

Die positiven Aspekte der Partizipation reichen über die eigentliche Zeit der Intensivbehandlung hinaus. Sowohl bei der Verlegung auf die Normalstation oder in ein Rehazentrum als auch im Zuge des Entlassmanagements nach Hause kommen den Angehörigen wichtige Aufgaben zu. Sie tragen Sorge dafür, dass eine kontinuierliche Weiterbetreuung und Pflege gesichert ist und an den Schnittstellen alle nötigen Informationen fließen. In dieser Hinsicht müssen sie häufig Defizite ausgleichen, die durch Versorgungsengpässe und mangelnde Kommunikation von Seiten der Einrichtungen zustande kommen. 

Ist der Kranke wieder zu Hause, sind es Familie und Freunde, die ihm dabei helfen, seine im wahrsten Sinne des Wortes intensiven Erfahrungen aufarbeiten zu können. Gerade Menschen, die lange auf der Intensivstation behandelt wurden, erinnern sich nicht oder nur verschwommen an die genauen Abläufe. Diese Erinnerungslücken können Zugehörige füllen und damit zur Genesung beitragen.

Doch auch die Gesundheit der Familien und Freunde sollte man nicht aus dem Blick verlieren, denn ihre psychische und körperliche Belastung ist oft groß. Die Hälfte bis zu zwei Drittel der Angehörigen leiden nach der Intensivtherapie ihrerseits unter Symptomen, die einer posttraumatischen Belastungsstörung, Angsterkrankung und/oder Depression entsprechen, betonen die Autorinnen. In diesem Zusammenhang wird auch von einem „Family Intensive Care Unit Syndrome“ gesprochen. Die Beschwerden bessern sich zwar meist im Lauf der Zeit, aber nicht in jedem Fall. Sie können z.B. durch verbesserte Informationsangebote oder eine psychosoziale Beratung gemildert werden.

Quelle: Seidlein AH, Hartog C. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: 211-215; DOI: 10.1055/a-1825-6602