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Der Fall Barschel: Die Fakten des Körpers sind nicht manipulierbar

Interview Autor: Antje Thiel

Die Geschichte von Dr. Uwe Barschel fasziniert auch 30 Jahre nach seinem Tod. Die Geschichte von Dr. Uwe Barschel fasziniert auch 30 Jahre nach seinem Tod. © picture-alliance/©dpa-Fotoreport
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Diesen Herbst ist es 30 Jahre her, dass der gescheiterte schleswig-holsteinische Ministerpräsident Dr. Uwe Barschel tot in der Badewanne des Genfer Hotels Beau Rivage gefunden wurde. Die Umstände seines Todes gaben und geben vielen Menschen Rätsel auf. Professor Dr. Klaus Püschel, Direktor des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin, wirkte seinerzeit an der Nachsektion von Dr. Barschels Leichnam mit. Er gibt Auskunft.

Ist der Fall Barschel wirklich abschließend rechtsmedizinisch geklärt?
Prof. Püschel:
Ich drücke mich bei der Bewertung von Rechtsfällen gern zurückhaltend aus. Doch im Fall Barschel finde ich die Fakten sehr überzeugend. Aus rechtsmedizinischer Sicht sprechen sie für ein suizidales Ereignis. Ich konzentriere mich in meiner Arbeit auf gewebliche Untersuchungsbefunde am Leichnam. Spuren von Gewalteinwirkung, Rückstände von Medikamenten. Das ist mein beruflicher Bereich – ich bin nicht auf der großen politischen Bühne unterwegs.

Wie kommt es, dass sich um den Fall Barschel so viele Legenden und Verschwörungstheorien ranken?
Prof. Püschel:
Die direkten Umstände seines Todes sind schwer nachzuvollziehen. Ich habe keine Ahnung, ob Barschel tatsächlich Kontakte zu Geheimdiensten, der Stasi oder den Iran-Contras unterhielt. Es gibt auch einzelne Rahmenfaktoren, für die ich keine Erklärung habe. Schwer zu sagen, wo die Rotweinflasche abgeblieben ist oder warum der Hemdknopf abgerissen war. Hatte Barschel möglicherweise Atemnot aufgrund der vielen Medikamente, die er eingenommen hatte, und hat sich deshalb das Hemd aufgerissen? Hat er sich unkoordiniert ausgezogen und einen Schuh im Bad, den anderen im Schlafzimmer abgestellt, weil er benebelt war?

Vieles ist noch ungeklärt

Hatten die Stasi oder Iran-Contra-Verschwörer Dr. Uwe Barschel in eine Falle gelockt? Wurde er von Waffenhändlern, vom israelischen Geheimdienst Mossad oder gar von missliebigen Konkurrenten innerhalb seiner eigenen Partei ermordet? Was hat es zu bedeuten, dass die von Barschel am Abend seines Todes beim Zimmerservice bestellte Flasche Wein später nicht auffindbar war? Wie gelangte ein ausgerissener Hemdknopf Barschels in den Hotelflur? Und warum standen seine Schuhe in getrennten Räumen? Es gibt noch immer unzählige unbeantwortete Fragen, die Raum für Spekulationen lassen.

Sie waren damals auf Betreiben der Familie Barschel an der Nachsektion von Dr. Barschels Leichnam beteiligt. Welche Rolle spielte das immense öffentliche Interesse dabei? 
Prof. Püschel:
 Ich habe die Resektion seinerzeit als Oberarzt organisiert und zusammen mit meinem akademischen Lehrer Prof. Werner Janssen und dem Toxikologen Prof. Achim Schmoldt durchgeführt. Trotz des großen öffentlichen Interesses war es kein anderes Arbeiten als sonst. Wir sind mit derselben Routine wie auch in anderen Fällen vorgegangen. Da ist man innerlich kalt und arbeitet nach den üblichen Prozessen. Ihr Buch von 2016, in dem Sie auch den Fall Barschel schildern, heißt „Tote schweigen nicht“, das Nachfolgebuch von 2017 ist „Tote lügen nicht“. Sehen Sie die Pathologie demnach als eine Fachrichtung, die über jeden Zweifel erhaben ist? 
Prof. Püschel:
 Der Buchtitel ist natürlich ein bisschen überspitzt formuliert. Aber ich plädiere dafür, genau hinzuschauen und gewebliche Fakten ordentlich mit allen verfügbaren technischen Optionen zu analysieren. Das ganze Umfeld ist manipulierbar, bei der Analyse der Begleitumstände hat man immer viel mit Spekulationen zu tun. Doch die Fakten, die der Körper erzählt, sind in der Regel nicht manipulierbar. Da entdecken wir Substanzen im Blut und im Urin, wir sehen Einwirkungen stumpfer Gewalt, studieren Hämatome. Das ist unser Handwerk, darauf müssen wir uns konzentrieren. Wie erklären Sie sich die Faszination für die Rechtsmedizin, die sich zum Beispiel auch in der großen Fangemeinde des TV-Rechtsmediziners Prof. Boerne im „Tatort“ aus Münster ausdrückt? 
Prof. Püschel: 
Kriminalfälle, insbesondere Tötungsdelikte, stoßen in der Bevölkerung immer auf großes Interesse. Es gibt da eine Faszination des Bösen – für viele Fernsehzuschauer sind Krimis ein Ausgleich zu ihrem Alltag, in dem sie vor dem Bösen eher die Augen verschließen oder sogar daran vorbeigehen. Die alten Griechen haben diesen Effekt Katharsis genannt. Allerdings wird in Fernsehkrimis ein völlig falsches Bild von der Arbeit eines Pathologen und Rechtsmediziners vermittelt. Wir sind keine Profiler oder Fahnder, wir haben mit der eigentlichen Aufklärung von Fällen gar nichts zu tun. Im Fernsehen stellt der Pathologe dem Tatverdächtigen auch mal ein Bein und bringt ihn zu Fall oder er richtet eine Waffe auf ihn, um ihn zu überführen. So etwas wäre mir völlig fremd. Ich arbeite – wenn überhaupt – höchstens mit der Waffe des Wortes.
Prof. Dr. Klaus Püschel, Direktor des Instituts für 
Rechts­medizin im UKE, Hamburg.
Prof. Dr. Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechts­medizin im UKE, Hamburg. © Ellert & Richter Verlag
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