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Politischer Einfluss Kritisieren gehört zur KBV-Jobbeschreibung

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Der KBV-Vorstand sieht seine Verantwortung auch darin, vor möglichen Konsequenzen des Reformstaus nachdrücklich zu warnen. Der KBV-Vorstand sieht seine Verantwortung auch darin, vor möglichen Konsequenzen des Reformstaus nachdrücklich zu warnen. © alexlmx – stock.adobe.com
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Tragen KBV und KVen mit Kampagnen wie „#Praxenkollaps“ und der ständigen Kritik am Gesundheitsminister dazu bei, die schlechte Stimmung im Land zu verstärken und Wähler in die Arme rechter Parteien zu treiben? Nein, sagt der KBV-Vorstand. Die Warnungen seien ja konstruktiv.

Da es an konkreten Gesetzentwürfen, über die man sich angeregt hätte unterhalten können, mangelte, dauerte die Vertreterversammlung der KBV am 1. März keine zwei Stunden. Die Reden waren gehalten, die Beschlüsse gefasst. Danke, gute Heimreise!

Diese Diskrepanz zwischen revolutionären Gesetzesvorhaben, die Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach ankündigt, und der tatsächlichen Performance der Ampel, stört die KBV gewaltig. Immer wieder gebe es großartige Ankündigungen, doch es passiere nichts. Das Cannabisgesetz taugt da nur als ironisch erträgliches Gegenbeispiel. Auch die Entschuldigung des Minis­ters, dass in den Jahren vor der Ampel viel liegen geblieben sei, was jetzt auf einmal nachgeholt werden müsse, lassen die KBV-Oberen nicht gelten. Die SPD und Prof. Lauterbach hätten schon in den großen Koalitionen zuvor politischen Einfluss gehabt.

„Uns läuft die Zeit davon. Der Praxenkollaps wird mit jedem Tag, der vergeht, unumkehrbarer“, sagt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Die Praxen ächzten unter enormer Arbeitsdichte. Um das heutige Niveau der vertragsärztlichen Versorgung aufrechtzuerhalten, wären jedes Jahr durchschnittlich 2.500 Ärztinnen und Ärzte nötig, die frei werdende Praxissitze übernehmen. Da könnten die KVen noch so sehr werben und Förderprogramme ausloben – „die Grenzen der Möglichkeiten der Sicherstellung sind bald erreicht, in manchen Regionen schon überschritten“, so Dr. Gassen.

Doch statt Dinge, die sich schnell umsetzen ließen, wie eine Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars nach dem Muster der Kinder- und Jugendärzte und die Abschaffung von Regressen sowie von Sanktionen gegen Praxen, die Digitalisierungsvorgaben nicht erfüllen, habe der Minister gleich „Größeres“ vor: Die hausärztliche Vergütungssystematik soll mit dem Versorgungsgesetz I von Grund auf reformiert werden.

Mehr Bagatellgrenzen, bitte

Beim Thema Regresse „beginnt der stete Tropfen, eine erste Kuhle zu formen“, bemerkt KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. Sie zitiert den Bundesgesundheitsminister. Er wolle mit einer „wirkungsvollen Bagatellgrenze“ – die Rede war von 300 Euro bei „ärztlich verordneten Leistungen“ – unnötige Wirtschaftlichkeitsprüfungen und den damit verbundenen Bürokratieaufwand beseitigen. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus einer Misstrauenskultur, so Dr. Steiner. Sie fordert aber auch für ärztliche Leistungen eine Bagatellgrenze. Sie verweist auf Plausibilitätsprüfungen, bei denen der Aufwand für KV und Kassen den ermittelten Schaden übertrifft.

Auf Lauterbachs Zettel stehen etliche Reformvorhaben

Und das ist nicht das Einzige. KBV-Vize Dr. Stephan ­Hofmeister verweist darauf: Bis Ende April will der Bundesgesundheitsminister auch noch das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, das Medizinforschungsgesetz, das Gesetz zur Regelung der Nachfolge der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das Gesetz für die Errichtung einer Digitalagentur, das Physiotherapeutengesetz sowie eine Apothekenreform durchs Kabinett bringen. Die Reform der Akut- und Notfallversorgung hänge indes in einer politischen Dauerschleife fest. 

Dr. Hofmeister ging in seiner Rede auch auf die allgemeine Stimmungslage ein: „Wenn wir als KBV-Vorstand vor einem Praxenkollaps und dem Ausbluten der ambulanten Versorgung warnen und gleichzeitig den Reformstau und das Zaudern der Ampelregierung kritisieren, dann ist das manchen zu harsch. Der eine oder die andere fürchtet, dass wir die Dinge übertrieben schlechtreden und so die negative Stimmung im Land zusätzlich befeuern, und dass wir damit einer Wahrnehmung Vorschub leisten, die die Menschen in die Arme rechter Parteien treibt.“

Doch es gehe nicht darum, jemandem die Schuld zuzuschieben. Schuldig mache sich, wer die Dinge sehenden Auges weiterlaufen lasse und keine Konsequenzen aus den Warnzeichen ziehe. Auch dürfe man nicht aus Angst vor Beifall von der falschen Seite schweigen

In Großbritannien soll der Apotheker den Arzt ersetzen

Dr. Hofmeister versicherte: „Wir lassen uns nicht instrumentalisieren. Aber wir werden und dürfen auch nicht davor zurückschrecken, Fehlentwicklungen, die wir wahrnehmen, als solche zu benennen. Auch das gehört zu unserer Jobbeschreibung.“ Es gebe genug Kolleginnen und Kollegen, die es begrüßen würden, „wenn wir mit Mistgabeln vors Kanzleramt zögen und Gülle vors BMG kippen würden“. Doch „das tun wir nicht, und zwar nicht nur in Ermangelung entsprechender Utensilien, sondern weil wir uns sehr wohl unserer eigenen Verantwortung in diesem System bewusst sind“, sagte der Hausarzt.

Als warnendes Beispiel, wohin es führt, wenn man nicht rechtzeitig gegensteuert, nannte Dr. Hofmeis­ter Großbritannien. „Dort sollen die Patienten sich ab sofort bei sieben Krankheitsbildern direkt in der Apotheke helfen lassen, ohne vorherige ärztliche Konsultation und ohne ärztliche Verordnung von Medikamenten.“ Zu den Indikationen gehörten Hals- und Ohrenschmerzen, Hautausschlag, Harnwegsinfektionen, infizierte Insektenstiche und Gürtelrose. Auch bei uns sei mit den pharmazeutischen Dienstleistungen der Einstieg in eine „arztfreie Versorgung“ bereits gemacht.

Quelle: KBV-Vertreterversammlung

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