"Patient first": Blaupause für den radikalen Umbau
Ein altes Problem beschäftigt wieder einmal Krankenkassen, KVen, Krankenhausgesellschaft und die Politik: Die Zahl der Patienten in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser steigt – auch zu besten Praxisöffnungszeiten – beständig an.
Woran liegt das? Es gibt viele Gründe: Patienten ohne Termin werden nicht nur von Facharzt-, sondern auch von Hausarztpraxen abgewiesen. Praxen verweisen außerhalb der Öffnungszeiten der Bereitschaftsdienstzentralen "auf das nächstgelegene Krankenhaus". Oder den Patienten ist die Existenz der Bereitschaftsdienstzentralen schlicht unbekannt. Das sind Probleme, die wir in Eigenregie und zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus lösen könnten. Das nennt man sektorenübergreifende Versorgung.
»Problem der Notfälle könnten wir in Eigenregie lösen«
Längst ist daraus eine generelle Diskussion geworden. Passend dazu ist jetzt das Positionspapier "Patient first!" der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienen. Vor dem Hintergrund des unprofessionellen Agierens der KBV in der Vergangenheit stehen die Chancen nicht schlecht, dass ein solches Papier umgesetzt und nach der Bundestagswahl im September 2017 in Gesetzesform gegossen wird. Dann betrifft es uns alle und verändert empfindlich unsere Berufsausübung.
Die ambulante Versorgung soll radikal umstrukturiert werden – sektorenübergreifend. Eine solche Umstrukturierung können wir nicht einfach ablehnen. Das weiß auch der neue KBV-Vorstand. Seine Ideen für einen Strukturwandel in der medizinischen Versorgung will er als To-do-Liste in der Vertreterversammlung am 22. Mai im Vorfeld des Deutschen Ärztetages präsentieren.
2002 hatte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung das Papier "GKV 2010 – Eckpunkte und Instrumente einer Strukturreform des Gesundheitssystems" herausgebracht und darin z.B. einen Übergang des Sicherstellungsauftrags von der KV zu den Krankenkassen gefordert. 15 Jahre später geht man mit dieser Formulierung etwas moderater um: Die Sicherstellung verbleibt bei den dafür zuständigen Institutionen, also bei der KV für die ambulante Grundversorgung und beim Land für die stationären Leistungen. Bei konkurrierenden Zuständigkeiten (z.B. Bedarfsplanung) liege aus verfassungsrechtlichen Gründen die Letztentscheidung beim Land. Das heißt: Die scheibchenweise Entmachtung der KV schreitet fort!
Auch mit unserer Honorierung beschäftigt sich das Papier "Patient first!". Weil getrennte Budgets in den Sektoren, unterschiedliche Honorierungsregelungen und das Verschieben teurer Leistungen in andere Zuständigkeiten eine übergreifende Versorgung der Patienten verhindern, muss die Vergütung neu geordnet werden – mit dem Ziel, dass medizinisch-pflegerische Entscheidungen nicht mehr abrechnungsorientiert beeinflusst werden.
»Scheibchenweise wird die KV weiter entmachtet«
Wie soll das gehen? Na, ganz einfach: Der Hausarzt darf keinen Patienten abweisen und bekommt dafür pro eingeschriebenem Patienten (auch ohne Arztkontakt) eine jährliche, risikoadjustierte Koordinierungspauschale. Daneben kann bei Behandlungsbedarf für jeden Patienten, unabhängig ob eingeschrieben oder nicht, eine jährliche Pauschale abgerechnet werden. Zur Förderung erwünschter Leistungen wie Impfungen, Hausbesuche oder Pflegeheimbetreuung bleibt ein kleinerer Anteil des Honorarvolumens zur Einzelleistungsvergütung.
Ziel ist die jährliche Abrechnung von Versicherungspauschalen mit monatlichen Abschlagszahlungen. Lediglich die genannten Einzelleistungen und Veränderungen in der Zahl der eingeschriebenen Versicherten werden noch quartalsweise abgerechnet.
Neben dieser hausärztlichen soll es die fachärztliche Grundversorgung geben, die vorrangig über Komplexleistungen und Pauschalen vergütet wird. Wie die Zusammenarbeit zwischen haus- und fachärztlichen Grundversorgern künftig aussehen soll – dazu äußert sich das Expertengremium nicht.
Dagegen nimmt die spezialisierte fachärztliche Versorgung (gehört dann nicht zum Sicherstellungsauftrag der KV) breiten Raum in dem Positionspapier ein. Sie muss sektorenübergreifend geplant und finanziert werden. Die Honorare sollen unabhängig vom Ort der Leis-tungserbringung gleich sein – egal, ob es sich um planbare Interventionen, z.B. Hüft- und Katarakt-Op., oder die Behandlung schwerer/langfristiger bzw. lebenslang chronischer Erkrankungen, wie z.B. Erbkrankheiten, handelt.
Zur Ausarbeitung einer solchen Systematik sollen das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus und das Institut des Bewertungsausschusses gemeinsam mit dem (ergänzten) Bewertungsausschuss Vorschläge entwickeln und diese zur politischen Entscheidung vorlegen. Mein Vorschlag lautet: Wir kriegen das mit den Notfallpatienten im Krankenhaus gemeinsam in den Griff und verbessern die Zusammenarbeit aller Kolleginnen und Kollegen im ambulanten Sektor. Alles andere nicht mit uns!