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Kommentar Treffpunkt Brücke

Aus der Redaktion Autor: Dr. Susanne Gallus

© MT
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Wenn es in meiner Kindheit darum ging, etwas erlaubt zu bekommen, lautete meine Begründung oft: „Aber ALLE dürfen das!“ Meine Oma brachte in diesen Situationen stets den Vergleich „Wenn alle von der Brücke springen, springst du dann auch?“ Sie wollte mir wohl damit klarmachen, dass „alle“ niemals der Maßstab sein sollte. Entgegnen konnte ich darauf nicht viel, die Vorstellung war zu absurd. Ich verdrehte meist die Augen und grummelte: „Als ob irgendwer so bescheuert wäre!“

Zwei Jahrzehnte später muss ich diese Aussage mit einem sehr großen Fragezeichen versehen. Soziale Medien haben eine Challenge-Kultur hervorgebracht, die ihresgleichen sucht. Mal geht es darum, in die Häuser von Fremden einzubrechen (Trespassing-Challenge), mal soll man sich bis zur Bewusstlosigkeit strangulieren (Black-Out-Challenge), sich im Rahmen der Deo-Challenge Erfrierungen zufügen oder bis zur Atemnot das Aerosol einatmen. Ich kann nur hoffen, dass mein 14-jähriges Ich bei solchen Vorschlägen ähnlich reagiert hätte, wie beim Thema „von der Brücke springen“. 

Bei der Hot-Chip-Challenge ging es zuletzt darum, einen Tortilla-Chip zu essen, der laut Beschreibung so scharf ist, dass passagerer Stimmverlust, verschwommenes Sehen, Atembeschwerden und weitere Symptome drohen. Der Karton hat Sargform, auf der Verpackung des Chips steht groß „RIP“. Spätestens als Kinder wegen dieser Mutprobe im Krankenhaus landeten, musste man sich fragen, wie es so ein Produkt überhaupt bis in den Laden geschafft hat. Mittlerweile wurde das Challenge-Set in seiner aktuellen Form in vielen Bundesländern vom Markt genommen, weil der Chip kein sicheres Lebensmittel ist. 

Offenbar ticken Jugendliche und junge Erwachsene heutzutage anders. Sind daran nur die sozialen Medien schuld oder rächt es sich, dass einfach aus allem ein Wettbewerb gemacht wird? Klar ist, dass man die Challenges nicht mehr als Phänomen sehen darf, das nur einzelne Teenager auf TikTok betrifft. Gruppenzwang funktioniert bekanntlich seit Generationen gut. Und Aufklärung scheint fast unmöglich: Allen Argumenten gegen die Challenges stehen Millionen vermeintlich lustiger Videos gegenüber, in denen alles gut ausgeht. 

Ich bin heilfroh, dass all das bei mir damals kein Thema war. Inzwischen würde es mich nicht einmal mehr überraschen, wenn Jugendliche wirklich bald versuchten, sich im Rahmen der „Bridge-Jumping-Challenge“ gegenseitig beim Von-der-Brücke-Springen zu übertreffen. Deshalb kann ich nur sagen: Touché, Oma! 

Dr. Susanne Gallus
Redaktion Medizin

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