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Neue Honorarregeln Kleinen und spezialisierten Praxen könnten Einbußen drohen

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Privatrechnung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Hausarztpraxen mit einem geringen Anteil an chronisch Kranken Patienten droht den neuen Regelungen ein Honorarverlust. Hausarztpraxen mit einem geringen Anteil an chronisch Kranken Patienten droht den neuen Regelungen ein Honorarverlust. © Jirapong – stock.adobe.com
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Der Bundesgesundheitsminister hat mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) mehr vor als eine Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars. Er will mit neuen Abrechnungsvorgaben die hausärztlichen Versorgerpraxen und deren Angebote fördern.

Das GVSG, das auch die Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars beinhaltet (siehe Kasten), bildet einen neuen „Hausarzt-EBM“ in drei Teilen ab:

1.

Eine Versorgungspauschale soll an die Stelle der altersgestaffelten Versichertenpauschale GOP 03000, der Chronikerpauschalen GOP 03220/03221 und weiterer, noch nicht benannter Zuschläge und Pauschalen treten. Gedacht ist diese Leistung nur für die Behandlung von Versicherten mit mindestens einer lang andauernden, lebensverändernden Erkrankung, die der kontinuierlichen Versorgung mit einem Arzneimittel bedarf. Die Auszahlung erfolgt im ersten Quartal, in dem es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt kommt, und beinhaltet alle Leistungen aus den o.g. GOP für den Zeitraum der folgenden drei Quartale, unabhängig davon, ob bzw. zu welchen Kontakten es dabei kommt. 

2.

Eine Vorhaltepauschale, entsprechend der GOP 03040, kann bereits beim ersten Kontakt im Krankheitsfall für ein Jahr berechnet werden. Im Gegensatz zur bisherigen „automatischen“ Zusetzung der 03040 ist der Ansatz nur möglich, wenn von der Praxis bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, wie

  • mindestens 450 zu versorgende Patienten je Arzt und Quartal, 
  • bedarfsorientierte Erbringung von Haus- und Pflegeheimbesuchen, 
  • regelmäßige aufsuchende Behandlung bei Versicherten über 75 J., 
  • bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, regelmäßige monatliche Abendsprechstunden, ergänzendes Angebot an Samstagssprechstunden,
  • Leistungen, die zum Kern des hausärztlichen Fachgebietes gehören (z.B. die Versorgung von geriatrischen Patienten oder eine palliativmedizinische Versorgung),
  • regelhafte Pflege der elektronischen Patientenakte, regelmäßige Aktualisierung des elektronischen Medikationsplans,
  • Kooperationen und Netzwerke zur besseren Versorgung insbesondere multimorbider oder geriatrischer Patienten,
  • kontinuierliches Erbringen postoperativer Nachsorgen. 

3.

Die übrigen Einzelleistungen werden von mengenbegrenzenden oder honorarmindernden Maßnahmen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung und der Honorarverteilung ausgenommen, sodass die Krankenkassen zur Übernahme der Vergütung in voller Höhe nach den Preisen der Euro-Gebührenordnung aus den Abschnitten IIIa des EBM (hausärztliche Leistungen) und II.1.4 (Hausbesuche) verpflichtet sind. Aus dieser Neuregelung ergeben sich zwei Punkte, die beachtenswert sind: 

A.

Bezogen auf die vom Alter her in erster Linie in Betracht kommenden Patienten, müsste die Versorgungspauschale entsprechend dem bisherigen Ansatz der GOP 03004, 03220/03221 und 03020 ein Honorar von viermal 38,18 Euro (152,72 Euro) bzw. beim Ansatz der GOP 03005 von viermal 44,39 Euro (177,56 Euro) ergeben. Bei 1.000 Behandlungsfällen könnte allein das zu einem vorab für vier Quartale verfügbaren Honorar von 150.000 bis 200.000 Euro und damit zu einem Liquiditätsvorteil führen. Eine solche Jahrespauschale ist nicht neu, sie hat sich in nahezu allen HzV-Verträgen bewährt.

Handwerkliche Fehler, wie der Umstand, dass diese Leistung praxisübergreifend nur einmal im Jahr berechnet werden kann, müsste der beauftragte Bewertungsausschuss (BA) beheben. Mit einem Nebensatz wäre z.B. das Problem der Praxisvertretung gelöst, wenn man in solchen Fällen – wie jetzt schon – auch die „normale“ Versichertenpauschale abrechnungsfähig macht.

Die Regelung enthält sogar eine Verbesserung. Da die Vorhaltepauschale nur bei genau definierten Patientengruppen berechnungsfähig ist, wird die bisherige Versichertenpauschale für alle übrigen Patientengruppen unverändert erhalten bleiben, während es die Chronikerpauschalen nur noch als Teil der Versorgungspauschale gibt. Die völlig realitätsferne Definition des Chronikers nach der 4/3/2/1-Regelung verschwindet damit. Entscheidend sind künftig „lang andauernde, lebensverändernde Erkrankungen, die der kontinuierlichen Versorgung mit einem Arzneimittel bedürfen“, z.B. auch eine Allergie oder Migräne.

B.

Gefahr droht scheinbar bei der neuen Vorhaltepauschale. Offenbar rechnet das BMG angesichts der hohen Zugangsvoraussetzungen mit „Einsparungen“ und will deshalb sicherstellen, dass dieses Honorar nicht verlorengeht. Bei möglicherweise freiwerdenden Finanzmitteln durch eine verminderte Abrechnung der Vorhaltepauschale im Vergleich zur GOP 03040 aufgrund Nicht-Erfüllung der Kriterien soll der BA fürs Folgejahr Zuschläge auf besonders förderungswürdige Leistungen beschließen, z.B. für Haus- und Pflegeheimbesuche oder die Vergütung des zusätzlichen Aufwands bei Samstagssprechstunden. Da auf diesem Weg erbrachte Leistungen erst etwa ein Jahr später vergütet werden, wird der Liquiditätsvorteil der Versorgungspauschale etwas relativiert. 

Hausärztliche Leistungen ohne Budgetfesseln

Im GVSG-Entwurf ist vorgesehen, dass die hausärztlichen Leistungen aus den EBM-Abschnitten IIIa und II.1.4 „weiterhin abrechnungsfähig bleiben und von mengenbegrenzenden oder honorarmindernden Maßnahmen der MGV und der Honorarverteilung ausgenommen sind“. Hier liegt der Schlüssel zum Honorarerfolg. Allerdings bleibt es spannend, wie die Mitglieder des Bewertungsausschusses (BA), insbesondere die Kassenvertreter, diese Vorgabe interpretieren werden und was ggf. der erweiterte Bewertungsausschuss (EBA) entscheiden wird.

Eine wichtige Rolle spielt hier die Antwort auf die Frage, wie die GOP 03230 (problemorientiertes ärztliches Gespräch) künftig berechnet werden kann. Derzeit gilt für sie ein Punktzahlvolumen, darüber hinausgehende Gespräche sind budgetiert. Sollte es hier zu keiner Entbudgetierung kommen, wäre das ein Skandal.
Neben der oder alternativ zur Versorgungs- und Vorhaltepauschale könnten künftig diese Leistungen aus dem aktuellen EBM unbudgetiert und ohne Mengenbegrenzung zum Ansatz kommen: 03000, 03008, 03030, 03060/03061, 03230, 03241, 03242, 03321, 03322, 03324, 03330, 03331, 03335, 03350, 03351, 03352, 03355, 03360, 03362, 03370, 03371, 03372, 03373.

Auch die Hausbesuche von Hausärzten nach dem EBM-Abschnitt II.1.4 (01410, 01411, 01412, 01413, 01415, 03062/03064, 03063/03065) tragen künftig nicht nur dazu bei, dass die Vorhaltepauschale berechnet werden kann, sondern sie werden auch mit einem festen Eurobetrag bezahlt – und damit den bereits extrabudgetär vergüteten Besuchen der Nichtärztlichen Praxisassistenten (NäPA) gleichgestellt.

Unbudgetiert werden weiterhin auch die Leistungen bezahlt, die bisher zeitlich begrenzt oder auf Dauer extrabudgetär vergütet wurden, z.B. die gesamten Präventionsleistungen, die Leistungen des Abschnitts IV.37 oder die mit DiGA.

Die KBV hat erkannt, dass sich diese Regelung für einige Ärzte finanziell nachteilig auswirken kann, weil nur Praxen, die die genannten Kriterien erfüllen, diese Zuschläge erhalten sollen. Einer Hausarztpraxis mit einem geringen Anteil chronisch kranker und geriatrischer Patienten droht deshalb ein Honorarverlust.

Das scheint aber das Ziel des Gesetzgebers zu sein. Er hat erkannt, dass die Auszahlung der hausärztlichen Grundpauschale GOP 03040 bei jedem Patienten Praxen bevorteilt, die sich spezialisiert haben und gar nicht hausärztlich tätig sind. Wenn tatsächlich, wie die KBV mitteilt, von dieser Neuregelung 8.000 bis 22.000 Praxen betroffen sind, dann dokumentiert das einen Strukturmangel, den das BMG offenbar beheben will. 

Die Neuregelung würde bedeuten, dass künftig „Hobbypraxen“, die mit weniger als 450 Patienten im Quartal einen vollen Praxissitz blockieren, nicht mehr die volle Grundpauschale erhalten. Einen Vorteil hätten hingegen Praxen, die wegen der künftigen Bezahlung zu festen Preisen mehr geriatrische Leistungen oder Hausbesuche erbringen und so zusätzlich zur Vorhaltepauschale einen Honoraranstieg erzielen können.

Chronisch Kranke müssen beim Praxisbesuch umdenken

Praxistipp: Es ist nicht zu erwarten, dass der Gesundheitsminister den Gesetzentwurf in seinen Grundstrukturen noch wesentlich ändert, da er die Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars nur unter der Voraussetzung dieser Strukturänderung gewähren wird. Er baut damit auf dem bewährten HzV-Modell auf und schafft zugleich eine Alternative für Hausärztinnen und -ärzte, die an der HzV nicht teilnehmen möchten.

Hausärzte sollten ihre Praxisführung entsprechend anpassen. Chronisch kranken Patienten muss beigebracht werden, dass sie eigentlich nur noch einmal innerhalb von vier Quartalen die Praxis aufsuchen sollten, sofern kein akuter Vorstellungsgrund besteht. Das muss nicht von einer Versorgungsverschlechterung begleitet sein, denn in den „freien“ drei Quartalen können DMP-Kontrollen und die bei geriatrischen Patienten dringend notwendigen Betreuungsleistungen nach den GOP 03360/03362 sowie ggf. notwendige Versorgungsbesuche zum Euro-Honorar durchgeführt werden. 

Das durch eine solche Umorganisation freiwerdende „Zeitbudget“ kommt der Behandlung von Akuterkrankungen zugute, bei denen die im Hausarzt-EBM ausreichend vorhandenen exklusiven GOP leitliniengerecht und ohne Budgetdruck zum Einsatz kommen können.

Medical-Tribune-Bericht

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