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Sanitätsdienst Bundeswehr „Angst sollte man im Einsatz nicht haben“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Soldatinnen und Soldaten stellen sich im Krankheitsfall bei einem der 128 Sanitätsversorgungszentren (SanVersZ) der Bundeswehr vor. Soldatinnen und Soldaten stellen sich im Krankheitsfall bei einem der 128 Sanitätsversorgungszentren (SanVersZ) der Bundeswehr vor. © Katja – stock.adobe.com
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Ärgern Sie sich über unregelmäßige Arbeitszeiten oder ein schwer kalkulierbares Einkommen? Dann versuchen Sie es doch einmal mit einer unbefristeten Festanstellung bei der Bundeswehr. Dieser wurden 100 Mrd. Euro extra zugesagt. Der Sanitätsdienst soll davon auch profitieren.

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr sucht zurzeit Mediziner in der Laufbahn der Offizierinnen und Offiziere. Das für eine Einstellung ab Juli 2023 in Aussicht gestellte Gehalt liegt je nach persönlicher Lebenssituation zwischen ca. 3.578 und 5.484 Euro netto. Der mögliche spätere Einsatzort variiert zwischen Heimatort und grenz­überschreitenden Einsätzen. 

Wer sich überlegt, die ärztliche Laufbahn bei der Bundeswehr einzuschlagen, sollte allerdings zuvor einen Blick hinter die Kulissen werfen. Denn es liegt einiges beim Sanitätsdienst im Argen, wie der letzte Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Bundestages, Dr. Eva Högl (SPD), zeigt. 

Personalmangel ist eines der gravierendsten Probleme

Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und die kurzfristige Verlegung von Einsatzkräften im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung hinterlassen ebenso ihre Spuren wie das Stellen medizinischen Personals bei internationalen Verpflichtungen. Auch familienbedingte Abwesenheiten von der Truppe, z.B. durch Mutterschutz, Beschäftigungsverbote in der Schwangerschaft, Elternzeit oder Teilzeitbeschäftigung, erschweren das Erstellen von Dienstplänen. Ferner schlagen anderhalb Millionen Stunden Amtshilfe in der Pandemie zu Buche. 

So konnten im Bundeswehrkrankenhaus (BWK) in Westerstede, wo zwei Drittel der Beschäftigten Frauen sind, wegen Personalengpässen zeitweise nur 92 von 135 Betten belegt werden. Eine ähnliche Situation fand die Wehrbeauftragte bei einem Truppenbesuch im BWK Ulm vor. Und auch der Universität der Bundeswehr München mangelt es an Ärzten, Psychologen und medizinischem Unterstützungspersonal. Sanitätsversorgungszentren, welche die ambulante medizinische Versorgung der Soldatinnen und Soldaten in der Fläche sicherstellen, beklagen eine Überlastung der Beschäftigten infolge Personalmangels. Beeinflusst durch diese Personalengpässe ist aber nicht nur die Versorgung von Bundeswehrangehörigen, sondern auch die von Zivilpersonen. 

Im Wehrbericht werden die Probleme an Beispielen beschrieben. Es handelt sich dabei laut der Wehrbauftragten aber nicht um Einzelfälle. Die Fälle illustrierten, wie weit verbreitet der Personalmangel in der Sanität sei. Sie zeigten auch, in welchem Maße die Sanität durch ihren hohen Anteil an Soldatinnen im Vergleich zu den anderen Organisationsbereichen wegen familienbedingter Abwesenheiten vor einem besonders großen Problem stehe.

Das Verteidigungsministerium hat in Anerkennung der Krisensituation bereits eine deutliche personelle Aufstockung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zugesagt. Bis 2025 sind vorläufig bis zu 2.000 neue Dienstposten gebilligt. „Diese Entscheidung ist grundsätzlich zu begrüßen“, kommentiert das Högl. Allerdings seien die neuen Dienstposten bislang nur planerisch vorhanden. Die Einrichtung und vor allem ihre Besetzung mit qualifiziertem Personal werde Zeit in Anspruch nehmen und erst mittelfristig Entlastung schaffen. 
Finanziell sollte die personelle „Aufrüstung“ zumindest theoretisch kein Problem sein, denn der Bundestag hat im letzten November ein Sondervermögen von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr beschlossen – um eine Zeitenwende einzuleiten, wie der Kanzler es nannte. 

Ärztliche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten

Soldatinnen und Soldaten stellen sich im Krankheitsfall bei einem der 128 Sanitätsversorgungszentren (SanVersZ) der Bundeswehr vor. Zu beachten ist dabei eine maximale Entfernung des jeweiligen Zentrums von Wohnort oder Dienststelle von 30 Kilometern bzw. 30 Minuten Fahrzeit. Von 98 % aller Soldatinnen und Soldaten lassen sich die 30er-Vorgaben erreichen. Die verbleibenden 2 % der betroffenen Personen werden durch beauftragte zivile Ärzte versorgt. Für eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – hier Krankenmeldeschein – schlagen Ärztinnen und Ärzte dem Disziplinarvorgesetzten eine Empfehlung zur Freistellung der Soldatinnen und Soldaten vom Dienst oder abgestuften Befreiung von einzelnen Dienstverrichtungen vor. 

Ein Teil des Sondervermögens geht an den Sanitätsdienst

Die sanitätsdienstlichen Projekte sollen ebenfalls von der einmaligen Finanzspritze profitieren. Wie Hauptmann Vivian Lewark vom Pressezentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr gegenüber Medical Tribune erklärt, sollen 250 Mio. Euro aus dem Sondervermögen in zwei Luftlanderettungszentren und eine geschützte hochmobile Sanitätseinrichtung fließen.

Das Projekt „Luftlanderettungszentrum, leicht“ ist bereits vertraglich vereinbart. Der Zulauf wird für das Jahresende 2023 erwartet. Für die beiden weiteren Projekte liegen verbindliche Zusagen über die Finanzierbarkeit vor. 

Allerdings war laut der Wehrbeauftragten im März vom Sondervermögen noch „kein Euro und Cent“ bei der Truppe angekommen. Högl geht auch davon aus, dass langfristig jährlich 10 Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung stehen müssten, um die Bundeswehr für die Bündnis- und Landesverteidigung wieder fit zu machen. 

Bis 2031 soll die Bundeswehr von jetzt rund 183.000 auf 203.000 Soldaten anwachsen. Die Personalgewinnung läuft jedoch nur langsam. 27 % der Zeitsoldaten brechen ihren Dienst in der Probezeit wieder ab. Wie sich das Interesse von Medizinern an einer Bundeswehrlaufbahn künftig entwickelt, ist ebenso ungewiss, zumal die Probleme letztlich auch denen in der zivilen Welt ähneln. 

Der Wehrbericht beschreibt neben Personaldefiziten weitere Baustellen im Sanitätsdienst, darunter die Notwendigkeit verstärkter Digitalisierung und zeitgemäßer Software. Auch die digitale Gesundheitsakte ist noch nicht im Einsatz. Die dringend notwendige Anfangsbefähigung für 2026 stehe unter dem Vorbehalt einer durchgängigen Finanzierung, heißt es.  

Breite Palette an Aufgaben

Ziel der Arbeit der Bundeswehrärzte ist laut Stellenausschreibung, für eine einsatzbereite Truppe zu sorgen. Sie sind damit zuständig für Prävention, Diagnose und Therapie sowie die Nachsorge von Krankheiten und Verletzungen. Zu leisten ist aber auch eine medizinische Notfallversorgung, ggf. in Gefechtssituationen. Weitere Aufgaben sind u.a. die Gewalt- und Suchtprävention, die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen und die Teilnahme an medizinischen Forschungsvorhaben. 

Ärztliche Bewerber für die Bundeswehrlaufbahn sollten auch häufige Einsätze und die Herausforderungen, die sich durch die gesundheitliche Versorgung der Soldaten im Einsatz ergeben, bedenken. „Neben dem Skalpell ist die Waffe auch Bestandteil meines Berufs“, erklärt Oberfeldarzt Dr. Daniel Hinck, Leitender Arzt der Gefäßchirurgie im BWK Hamburg. Er müsse sich im Ernstfall mit der Waffe verteidigen können. Wie er im Podcast „Surgeontalk“ berichtet, befindet man sich im Feldlager zwar in einem geschützten Bereich, aber außerhalb gebe es eben die reale Bedrohung, die auch eine Bedrohung für das Lager werden könne. 

„Man wird aber sehr gut von der Bundeswehr auf seinen Einsatz vorbereitet, das muss man ganz klar sagen“, so Dr. Hinck. Es gebe medizinische Kurse zu den doch ganz anderen Verletzungsmustern. Man durchlaufe gewissermaßen ein Curriculum von Notfallsonografie über „Gefäßchirurgie für Dummies“ bis hin zu notfallchirurgischen Prozeduren. Auch militärische Vorbereitungskurse gebe es, u.a. um mit einer Waffe umgehen zu können. Angst sollte man im Einsatz tunlichst nicht haben, jedoch Respekt und eine gewisse „situation awareness“, sagt der Chirurg. Er weist zudem darauf hin, dass man durch die Situation in Osteuropa auch immer auf einen kurzfristigen Einsatz vorbereitet sein sollte.

Medical-Tribune-Bericht

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