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Kuhmilchallergie Sturm in der Milchflasche

Autor: Dr. Vera Seifert

Eine Immuntoleranz kann dazu führen, dass Milch wieder vertragen wird. Eine Immuntoleranz kann dazu führen, dass Milch wieder vertragen wird. © evso – stock.adobe.com
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Bei Säuglingen und Kleinkindern steht Kuhmilch zwar auf Platz 1 der allergieauslösenden Nahrungsmittel. Die Symptomatik ist aber oft leicht und ein kompletter Verzicht auf Milch langfristig meist überflüssig. Wie viel Dia­gnostik und Therapie nötig ist, hängt vom Einzelfall ab.

Dass Kuhmilch mit einer Prävalenz von 2 bis 5 % bei Säuglingen und Kleinkindern das häufigste Nahrungsmittelal­lergen darstellt, verwundert kaum. Schließlich wird über sie in aller Regel das erste tierische Eiweiß in die Ernährung der Kleinen eingeführt. Schon eher überrascht hingegen, dass einige Eltern mehr oder weniger glaubhaft versichern, ihr Kind habe bereits auf die allererste Milchmahlzeit al­lergisch reagiert, schreiben Prof. Dr. Axel­ Trautmann­ vom Universitätsklinikum Würzburg und der 2023 verstorbene Prof. Dr. Jörg Kleine-­Tebbe­. Sollte das tatsächlich stimmen, müsste man eine intra­uterine Sensibilisierung voraussetzen. Bislang bleibt diese Annahme aber eine Hypothese.

Typ-I-Allergie mit meist milder Symptomatik

Zum einen kann eine Milchal­lergie als IgE-vermittelte Sofortreaktion auftreten (Milch-Typ-I-Allergie). Dann zeigen sich wenige Minuten nach dem Verzehr Symptome wie Urtikaria und Angio­ödem. Säuglinge und Kleinkinder reagieren meist leicht bis mäßig mit Rötung und Schwellung der Lippen, Flush und Urtikaria. Häufig kommt Erbrechen hinzu. Die Zeichen einer schweren Anaphylaxie sind selten. Je älter das Kind wird, desto schwächer fällt die Reaktion aus.

Zum anderen kann es, vor allem beim Säugling, zu einer nicht-IgE-vermittelten verzögerten Reaktion nach ein bis vier Stunden kommen, die sich durch Erbrechen und Durchfall äußert. In diese Kategorie gehört etwa die Nahrungsmittelprotein-Enterokolitis. Diese Erkrankung verläuft schwer mit teils unstillbarem Erbrechen und heftigem Durchfall.

Kuhmilch wird oft angeschuldigt, für ein atopisches Ekzem im Kindesalter verantwortlich zu sein. Die beiden Autoren halten diesen Zusammenhang für fragwürdig. Man findet zwar bei jedem dritten der betroffenen Kinder Sensibilisierungen gegen gewisse Lebensmittel, häufig auch gegen Milch. Aber Sofortreaktionen nach Milchverzehr kommen deutlich seltener vor. Den Autoren zufolge ist die Sensibilisierung nicht Auslöser, sondern Ausdruck der Atopie. Sie warnen davor, Eltern positive Test­ergebnisse als „endlich gefundene Ursache“ zu vermitteln. Dies lasse sich nur schwer wieder richtigstellen.

In der Milch gibt es ein breites Spektrum an Einzelallergenen, z.B.  die hitzestabilen Kaseine und ihre Komponenten, dazu verschiedene Molkeproteine wie α-Laktalbumin und β-Laktoglobulin. Auch Molke­reierzeugnisse wie Joghurt, Milcheis, Käse, Rahm und Butter sowie verarbeitete Lebensmittel wie Wurst, Süßwaren, Saucen oder Kekse können die schädlichen Eiweiße enthalten. Oft werden jedoch kleine Allergenmengen trotz Sensibilisierung vertragen.

Bei einer allergischen Sofortreaktion nach Milchzufuhr beweist der Nachweis von spezifischem IgE im Serum und der Pricktest mit Trinkmilch die Allergie. Dabei steigt der prädiktive Wert mit der Größe der Quaddel und der Titerhöhe des al­lergenspezifischen IgE. Verdächtig sind Werte von mindestens 10 mm Quaddeldurchmesser und mindestens 10 kU/l an spezifischem IgE. Bei Quaddeln größer als 12 mm und IgE-Spiegeln über 15 kU/l treten allergische Reaktionen bei über 90 % der Betroffenen auf. Im Alter bis 2 Jahren ist das bereits ab 6 mm und einem Titer von 5 kU/l der Fall. 

Provokation nur in einzelnen Fällen nötig 

Stimmen Symptome und Testbefunde nicht überein, ist eine orale Provokation notwendig. Bei ausschließlicher Magen-Darm-Symptomatik fußt die Diagnose auf Ernährungsanamnese und im Zweifel dem Provokationstest. Differenzialdiagnostisch ist an eine Laktose­malabsorption zu denken.

Steht die Diagnose Milchallergie, ist zunächst der Verzicht auf die entsprechenden Nahrungsmittel angesagt. Das soll aber nur für einen begrenzten Zeitraum von ca. einem Jahr erfolgen. Im Zuge einer Immuntoleranz kann es nämlich dazu kommen, dass Milch wieder vertragen wird. Prüfen sollte man das alle ein bis zwei Jahre mit der sogenannten Milchleiter, der schrittweisen Wiedereinführung von Kuhmilch und Molkereiprodukten in die Ernährung. Man startet mit wenig al­lergenen Backwaren mit Milchzutat, z.B. Kekse und Kuchen. Dann wird der Speiseplan um Gerichte mit gekochtem Käse wie Pizza, um Milchreis oder Sahnesaucen erweitert. Schließlich kommen Joghurt, Speiseeis und Weichkäse hinzu, zuletzt Trinkmilch. 

„Auftreten und Ausprägung al­lergischer Reaktionen hängen stark von der Al­lergenmenge ab“, betonen Prof. Trautmann­ und Prof. Kleine-­Tebbe. Backwerk mit Milch wird z.B. von 75 % aller Milchal­lergiker vertragen. 

Säuglinge mit Milchal­lergie, die nicht voll gestillt werden, benötigen Spezialpodukte. Als erste Wahl gilt die ehF*-Nahrung. Bei Milchkarenz älterer Kinder ohne Spezialnahrung ist unbedingt an die ausreichende Zufuhr von Kalzium zu denken. Säuglinge mit alleinigen Magen-Darm-Symptomen nach Milchverzehr müssen Trinkmilch und Produkte wie Quark und Joghurt zunächst streng meiden. Eine Toleranz stellt sich von selbst ein, meist nach 18 bis 24 Monaten, spätestens bis Ende des dritten Lebensjahres.

Kinder und Erwachsene mit Milch-Typ-I-Allergie sollten stets die erforderlichen Notfallmedikamente wie ein H1-Antihistaminikum, ein Glukokortikoid oder einen Adrenalinautoinjektor parat haben. Stillende Mütter mit Säuglingen mit Milchallergie anzuweisen, selbst auf Milch zu verzichten, halten die Autoren für unsinnig.

* extensively hydrolysed formula

Quelle: Trautmann A et al. Akt Dermatol 2023; 49: 5569-574; DOI: 10.1055/a-2126-5941