Anzeige

Pool-Arzt Es hat sich ausgepoolt

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Eine Sozialversicherungspflicht Poolärzte stellt den ÄBD vor ein Problem. Eine Sozialversicherungspflicht Poolärzte stellt den ÄBD vor ein Problem. © ipopba – stock.adobe.com
Anzeige

Ein sog. Pool-Arzt im vertragszahnärztlichen Notdienst ist nicht automatisch selbstständig. Diese Klarstellung des Bundessozialgerichts sorgt auch bei Vertragsärzten und KVen für Stress, denn damit wird das Poolarztsystem im Bereitschaftsdienst zum Risiko.

Pool-Ärzte haben in vielen KVen die niedergelassenen Kollegen im Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) entlastet. Sie übernahmen mehr oder weniger regelhaft Dienste in Bereitschaftsdienstpraxen, im fahrenden Bereitschaftsdienst oder in Praxen, die außerhalb der regulären Sprechstunden für nicht lebensbedrohliche Notfälle geöffnet werden.

Bisher wurde keine Pflicht zur Versicherung angenommen

Der Auftrag für die Sicherstellung der Notdienstversorgung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V liegt bei den KVen. Diese organisieren den ÄBD unterschiedlich und teilweise wurden dazu eben jene Nicht-Vertragsärzte hinzugezogen – in der Annahme, für sie bestehe keine Versicherungspflicht, da sie keine angestellten Ärzte sind. Das Bundessozialgericht (BSG) hat jedoch der Klage eines Pool-Zahnarztes gegen die Deutsche Rentenversicherung stattgegeben und damit an der bisherigen Annahme einer Versicherungsfreiheit Zweifel aufkommen lassen (Az.: B 12 R 9/21 R). 

„Ein Zahnarzt, der als sogenannter ,Pool-Arzt‘ im Notdienst tätig ist, geht nicht deshalb automatisch einer selbstständigen Tätigkeit nach, weil er insoweit an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnimmt“, schreibt das BSG. Maßgebend seien vielmehr – wie bei anderen Tätigkeiten auch – die konkreten Umstände des Einzelfalls. Die Formulierung „wie bei anderen Tätigkeiten“ legt die Überprüfung der Verträge zur Poolregelung bei KVen nahe. 

Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus, aber die Sorge, dass die Niedergelassenen ab jetzt entweder den Arbeitgeberanteil sozialversicherungspflichtiger Pool-Ärzte zahlen müssen oder die Bereitschaftsdienste gar nicht mehr stemmen können, ist groß. Wie in einer Pressekonferenz des Mediverbundes Baden-Württemberg deutlich wurde, waren nicht selten Ärzte im Ruhestand im Pool oder jene, die aus familiären oder sonstigen privaten Gründen ohne Festanstellung arbeiteten. Müsse die KV die Pool-Ärzte anstellen, sei wegen der Sozialversicherungsbeiträge nicht nur mit mindestens 30 % mehr an Kosten zu rechnen, so Medi-Chef Dr. Norbert Smetak. Hinzu kämen Ausgleich von Urlaubs- und Krankheitszeiten sowie die ganze Organisation der Abrechnung. 

Die KV Baden-Württemberg hat deshalb kurz nach dem BSG-Urteil die Poolarztregelung gestrichen. Als Übergangslösung sollen in den ers­ten drei bis vier Monaten nach dem Urteil ausschließlich Arztsitzinhaber oder vom MVZ bestimmte angestellte Ärzte zum Notdienst eingeteilt werden. Das sei die „Notbremse“ bis erstmal zur Urteilsbegründung

Der Allgemeinarzt Dr. ­Michael Oertel, Mitglied im Notfallausschuss der KV, verweist auf ein weiteres Problem: das Arbeitsschutzgesetz samt Arbeitszeitlimit. Laut Überschlagsrechnung kann die Einhaltung dieser Regelungen in Stuttgart aus 260 angeforderten ÄBD-Ärzten schnell 800 machen. Ob diese Menge an Kollegen verfügbar ist, bleibt für Dr. Oertel fraglich. In Rheinland-Pfalz hatten sich 90 % der Pool-Ärzte gegen eine Festanstellung ausgesprochen. Die KV Westfalen-Lippe befürchtet laut ihres Vorstandsvorsitzenden Dr. Dirk Spelmeyer durch die drohende Sozialversicherungspflicht „Mehrbelastungen, die  finanziell und logistisch nicht zu stemmen sind“. 

„Die ambulante ärztliche Versorgung außerhalb der regulären Sprechstunden gehört zu den unverzichtbaren Interessen des Allgemeinwohls und muss der Bevölkerung uneingeschränkt und niederschwellig zur Verfügung stehen“, mahnt Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) angesichts der BSG-Entscheidung. Das Land hat 2023 den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz inne und sich gemeinsam mit den anderen Ländern im Bundesrat für das Schaffen einer gesetzlichen Grundlage für eine Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht für die Poolärzte eingesetzt. „Leider hat der Bund diesem berechtigten Anliegen eine Absage erteilt“, bedauert der Minister. Zumindest erwartet er jetzt für die Bereitschaftsdienstpraxen zeitnah eine Lösung vom Bund.

Aus den KVen kommt u.a. die Forderung nach einer Ausnahmeregelung von der Versicherungspflicht wie bei Ärzten im Rettungsdienst. Neu eingefügt wurde hierzu § 23c Abs. 2 SGB IV. Danach sind Einnahmen aus der Tätigkeit als Notarzt im Rettungsdienst nicht beitragspflichtig, wenn diese Tätigkeit neben einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden pro Woche außerhalb des Rettungsdienstes oder einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung ausgeübt wird.

Auch die KV Berlin hat umgesteuert. Ab Dezember sollen hier keine Nicht-Vertragsärzte mehr im ÄBD eingesetzt werden. Rund ein Drittel der ca. 14.000 ­Dienste im Jahr im ÄBD waren bisher von Nicht-Vertragsärzten geleistet worden. Infolge der Neuregelung könnten „Patient:innen, die aufgrund einer akuten Erkrankung bei der 116117 anrufen und eine ärztliche Beratung bzw. einen Hausbesuchsdienst benötigen, mit sehr viel längeren Wartezeiten rechnen müssen“, informiert die KV. 

Ab Januar würden zudem die KV-Notdienstpraxen von dieser Reduktion betroffen sein, was zu eingeschränkten Öffnungszeiten führen werde. Nach dem BSG-Urteil seien zeitnah Konsequenzen nötig, um Schaden von der KV Berlin abzuwenden und die ohnehin schon desolate finanzielle Lage des ÄBD nicht noch weiter zu verschlechtern. 

Mit politischen Entscheidungen ist allerdings nicht so bald zu rechnen: „Die Problematik ist seit Monaten bekannt, und selbst jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, warten wir vergebens auf ein Zeichen des Gesetzgebers“, so der Berliner KV-Vorstand. Ob sich eventuell ergebende Leistungsreduzierungen rechtssicher sind, bleibt abzuwarten. „Die Sicherstellung wird bleiben, allerdings kann es für Patienten unter Umständen längere Wartezeiten auf Termine geben“, heißt es vonseiten der KBV. 

Anzeige