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Kopfschuss übersehen Approbierte Ärzte müssen Leichenschau beherrschen

Autor: Tobias Stolzenberg

Die Obduktion ergab einen aufgesetzten Kopfsteckschuss mit Eintritt an der rechten Schläfe. Die Obduktion ergab einen aufgesetzten Kopfsteckschuss mit Eintritt an der rechten Schläfe. © Антон Фрунзе – stock.adobe.com
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Nicht immer werden Leichenschauen mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt. Dass ein gestandener Arzt aber einen Kopfschuss nicht erkennt, macht eine Gruppe Rechtsmediziner schier fassungslos.

Der Leichnam eines 74-jährigen Mannes war schon ins Stadium der Verwesung übergegangen, als er gefunden wurde. Für den leichenschauenden Arzt – ein Kollege, der schon mehrfach für die Polizei gearbeitet hatte – war schnell klar, dass der Mann eines natürlichen Todes gestorben sein musste. Auch die große Blutlache auf Höhe des Kopfes machte ihn nicht stutzig. Als Ursache notierte er eine gastrointestinale Blutung.

Angehörige ließen sich nicht ausfindig machen, und so wurde von Amts wegen die Einäscherung des Mannes angeordnet. Bei der zweiten Leichenschau im Krematorium fiel dann eine schwärzlich vertrocknete Verletzung an der rechten Schläfe auf. Daraufhin wurde die Kremation ausgesetzt und stattdessen eine gerichtliche Obduktion angeordnet. Als sich herausstellte, dass es sich um ein Einschussloch handelte, verständigte man die Polizei, die die Wohnung des Toten bis auf Weiteres versiegelte.

Die Obduktion ergab einen aufgesetzten Kopfsteckschuss mit Eintritt an der rechten Schläfe, berichtet eine Gruppe von Rechtmedizinern um Prof. Dr. Claas Buschmann vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Am linken Hinterkopf fand sich ein Beinaheausschuss mit Knochenabsprengungen samt eines deformierten 2,4 g schweren Bleivollgeschosses.

Weder der Polizei noch dem leichenschauenden Arzt war am Fundort der Leiche irgendeine Schusswaffe aufgefallen. Im Rahmen einer gründlichen Durchsuchung stieß man dann aber – rund zwei Wochen nach Auffinden des Leichnams – auf dem Schreibtisch des Toten auf zwei selbstgefertigte Schussapparate. In Aussehen und Größe waren sie einem Kugelschreiber nicht unähnlich. Der eine enthielt eine Kleinkaliberpatrone, der andere eine leere Patronenhülse.

Beide Geräte erwiesen sich bei Schussversuchen durch die Polizei als hocheffektive Feuerwaffen. Damit galt der Todesfall als Suizid, schreiben die Kieler Kollegen. Ob der Mann den Schießkugelschreiber nach dem Abdrücken noch hatte zurücklegen können oder ob jemand anderes die Apparate vor dem Versiegeln der Wohnung gefunden, für Stifte oder Werkzeug gehalten und auf den Schreibtisch gelegt hatte, ließ sich nicht mehr klären.
Mit dem leichenschauenden Arzt gehen die drei Autoren hart ins Gericht. Er habe sich ganz offenkundig kaum mit der Leiche beschäftigt, sonst hätte ihm zweifelsohne die Kopfverletzung auffallen müssen. Jeder approbierte Arzt in Deutschland muss Todesfeststellung und Leichenschau adäquat beherrschen, betonen die drei Rechtsmediziner. Wäre der Körper einer Erdbestattung zugeführt worden, wäre nicht nur der Suizid unentdeckt geblieben. Auch beim Hantieren mit dem zweiten, schussbereiten Schießkugelschreiber hätten Unbeteiligte schwer verletzt oder gar getötet werden können.

Quelle: Buschmann C et al. Rechtsmedizin 2023; DOI: 10.1007/s00194-023-00629-w