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Berlin: Verlagerung von Arztstellen in unterversorgte Gebiete

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Berlin hat als bisher einziges Bundesland die Bedarfsplanung mit Sozialindikatoren verknüpft. Das bildet die Basis für die Verlagerung von Arztsitzen aus über- in unterversorgte Gebiete. Praktisch geht das allerdings nicht ohne Probleme vonstatten.

Aktuelles Beispiel ist das denkmalgeschützte "Haus der Gesundheit" am Alexanderplatz, in dem seit 1923 Ärzte arbeiten und wo heute rund 70 000 Patienten von 23 angestellten Ärzten (auf 19 Arztsitzen) behandelt werden.

Berlin-Mitte gehört zu den mehr als gut versorgten Bezirken der Hauptstadt. Und so plante der Zulassungsausschuss, nachdem das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) Bedarf angemeldet hatte, die Arztsitze vom "Haus der Gesundheit" ans ukb in den unterversorgten Ostbezirk Marzahn-Hellersdorf zu verlagern. Zugleich sollte das derzeit von der Sana Gesundheitszentren GmbH betriebene Haus am Alexanderplatz geschlossen werden.

Patienten finden beim Senat für ihre Befürchtungen Gehör

Der ukb-Antrag auf Übertragung der Sitze war formal korrekt. Er hätte entsprechend der Bedarfsplanung positiv beschieden werden können, denn in Mitte wäre keine Unterversorgung entstanden. Doch die Rechnung wurde ohne die Patienten gemacht.

Über den Landesseniorenbeirat meldeten sie beim Senat Einspruch an. Sie befürchteten erhebliche Einschnitte in die medizinische Grund- und Regelversorgung – vor allem für die älteren Bewohner rund um die Karl-Marx-Allee. Schließlich einigten sich alle Beteiligten auf einen Kompromiss: Die Versorgung am jetzigen Standort wird nicht gänzlich eingestellt, allerdings wird die Trägerschaft wechseln.

"Ich begrüße diese Entscheidung sehr, weil sie eine pragmatische für die Patienten ist", sagte Gesundheitssenator Mario Czaja. Das Ergebnis entspreche der Verabredung des Gemeinsamen Landesgremiums, dass nur Arztumzüge "abwärts", also in schlechter versorgte Gebiete der Stadt, zu befürworten sind.

Kein Patient in Mitte muss sich einen neuen Hausarzt suchen

"Wir sind sehr froh, dass wir diese einvernehmliche Lösung gefunden haben", bestätigte der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des ukb, Professor Dr. Axel Ekkernkamp.

Zum 1. Oktober werden 15 der jetzt dem Haus der Gesundheit zugeordneten Arztsitze an das bis dahin fertiggestellte MVZ des ukb im Stadtteil Marzahn übergehen. Umziehen werden die Orthopädie, die Radiologie, Neurologie und Psychologische Psychotherapie.

Auch zwei Stellen für Allgemeinmedizin werden verlagert. Da die umziehenden Allgemeinarztstellen schon bisher nicht besetzt waren, wird sich deswegen in Mitte kein Patient einen neuen Hausarzt suchen müssen.

Den Anlass für die Errichtung des ukb-MVZ erklärte Prof. Ekkernkamp damit, dass pro Jahr mehr als 5000 der werktags zwischen 8 und 18 Uhr in die Rettungsstelle des Unfallkrankenhauses kommenden Patienten auch durch ambulante Ärzte versorgt werden könnten.

Mindestens 12 angestellte Ärzte für 15,25 Arztsitze

Insgesamt werden 60 Personen – ärztliches und nicht ärztliches Personal – per Betriebsübergang in das neue MVZ übernommen. Es ist vorgesehen, dass die 15,25 Arztsitze durch mindestens zwölf angestellte Ärzte besetzt werden. Darüber hin­aus ist Raum für zehn Vertragsarztpraxen.

In Mitte verbleiben drei angestellte Allgemeinmediziner und ein Urologe. Zudem soll sich ein Gynäkologe im Haus der Gesundheit niederlassen und es ist noch Platz für Interessenten anderer Fachgebiete.

Laut KV-Vize Dr. Uwe Kraffel finden Gespräche mit Ärzten statt, die an einer Arbeit am Standort Alex­anderplatz interessiert sind. Neuer Betreiber des dortigen MVZ wird ab Oktober die Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin GmbH sein.

Allerdings läuft der jetzige Mietvertrag Ende 2015 aus und bisher ist nicht klar, ob die AOK Nordost weiterhin Eigentümer des Gebäudes und somit Vermieter für das MVZ sein wird. Die AOK wolle derzeit keine Aussage diesbezüglich machen, so Dr. Kraffel, da im Verwaltungsrat über einen eventuellen Verkauf von Immobilien diskutiert werde.

"Unser Ziel ist, dass die Versorgung am Haus der Gesundheit dauerhaft erhalten bleibt", versichert der Alexianer-Regionalgeschäftsführer Alexander Grafe. Sollte ein Eigentümer dennoch andere Pläne haben, werde die Versorgung "in jedem Fall dort in der Gegend bleiben".

Klageverfahren gegen die Planung mit Sozialindikatoren

Nach ersten Einschätzungen hat sich die Bedarfsplanung nach Sozialindikatoren auf die Versorgung durch Haus- und Kinderärzte positiv ausgewirkt, ebenso auf die Arztsteue­rung "bergab" bei anderen Fachgruppen, so der Gesundheitssenator.

Es gibt aber auch Klageverfahren gegen entsprechende Entscheidungen des Zulassungsausschusses. Laut Czaja warten Berlin und die anderen Bundesländer darauf, wie die Richter die Nutzung von Sozialindikatoren bewerten.

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