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BSG-Urteil: Rentenversicherungspflicht für angestellte Freiberufler?

Gesundheitspolitik Autor: Hermann Müller

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Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass angestellte Syndikusanwälte, die in Unternehmen tätig sind, sich nicht mehr von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen können. Das hat auch die ärztlichen Versorgungswerke alarmiert.

Falls das Berufsbild in Bundesärzteordnung und Berufsordnung nicht angepasst wird, so die Sorge, könnte das Urteil auf die Ärzteschaft übertragen werden.

Die Bundessozialrichter haben die Klagen von drei Syndikusanwälten (u.a. der Hausjurist eines Chemie­unternehmens und der Justiziar einer Versicherung) verworfen und Bescheide der Deutschen Rentenversicherung, mit denen eine Befreiung von der gesetzlichem Rentenversicherung abgelehnt worden war, bestätigt. Altfälle genießen Bestandsschutz. Zuvor hatten Landessozialgerichte gegensätzliche Entscheidungen gefällt.

Als Rechtsberater, aber nicht als Rechtsanwalt tätig

Der 5. BSG-Senat verneinte in allen drei Verfahren ein Befreiungsrecht. Begründung: Angestellte und weisungsgebundene Syndikus­anwälte seien keine Rechtsanwälte im klassischen Sinn.

Nach der "gefestigten verfassungsrechtlichen und berufsrechtlichen Rechtsprechung" zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts sei ein "ständiger Rechtsberater, der in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig". Das Kriterium erfülle nur ein freiberuflich tätiger Rechtsanwalt.

Als abhängig Beschäftigte seien Syndikusanwälte in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Zugleich sind sie als zugelassene Rechtsanwälte und Kammermitglieder auch Pflichtmitglieder im jeweiligen Versorgungswerk.

Vor­aussetzung zur Befreiung sei jedoch: "Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und im berufsständischen Versorgungswerk muss wegen ein und derselben Beschäftigung bestehen", so das BSG.

Beiträge in die Rentenkasse und ans Versorgungswerk?

Jetzt müssen Syndikusanwälte und ihre Arbeitgeber Beiträge zur Rentenversicherung abführen. Ob betroffene Juristen zudem auch Beiträge ans Versorgungswerk abführen müssen (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil), hängt von der Satzung des Versorgungswerks ab. 

Der Vorsitzende der Arbeitsgemein-schaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen, Hartmut Kilger, kritisiert die BSG-Entscheidung scharf ("völlig falsche Vorstellung zeitgemäßer anwaltlicher Tätigkeit"). Er ruft nach einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht.

In einer internen Mitteilung der Berliner Ärzteversorgung wird kritisch angemerkt, dass die Anwaltschaft es 15 Jahre lang versäumt habe, berufsrechtlich klarzustellen, dass auch ein Syndikusanwalt anwaltliche Tätigkeit ausübt.

Durch die BSG-Entscheidung sei die Gefahr größer geworden, "dass auch die Befreiungsfähigkeit für Tätigkeiten von Ärzten, für die die Approbation nicht unmittelbare Tätigkeitsvoraussetzung ist, künftig nicht mehr von den Sozialgerichten anerkannt werden könnte", warnt das Berliner Versorgungswerk die Kammer.

Notwendig seien Änderungen bzw. Konkretisierungen des Tätigkeitsfeldes des Arztes in der Bundesärzteordnung und vor allem in der Berufsordnung, um sich gegen restriktive Auslegungen der Befreiungspflicht (§ 6 Abs. 1 SGB VI) durch die Deutsche Rentenversicherung sowie Gerichte zu wappnen.

Ein Tagesordnungspunkt für die Kammerversammlung

Die Ärztekammern packen das Thema etwas schlafmützig an, lauten Klagen bei den Versorgungswerken. Das Thema sei auf dem Ärztetag 2013 diskutiert und eine Arbeitsgruppe gebildet worden. Man hofft auf Ergebnisse beim Ärztetag im Mai.

Dem Vernehmen nach will die Berliner Ärztekammer die BSG-Entscheidung und ihre möglichen Folgen  demnächst auf die Tagesordnung der Delegiertenversammlung setzen.
Die Berliner Ärzteversorgung verlangt von Medizinern, denen die Rentenversicherung eine Befreiung verweigert, keine Zusatzbeiträge. Die Versorgungswerke praktizieren das allerdings unterschiedlich.

Wird nach der BSG-Entscheidung die Rentenversicherung angestellten Ärzten die Befreiung verweigern? Das wäre der worst case für die Versorgungswerke. Jetzt ist das BVerfG gefragt, die unterlegenen Kläger haben Verfassungsbeschwerde angekündigt. 

BSG-Urteile vom 3.4.2014: Az.: B 5 RE 13/14 R; B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R
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