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Expertenanhörung: Versorgungsstärkung oder -schwächung?

Autor: Michael Reischmann, Foto: fotolia/Pixelot

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Mögen KV- und Ärzteverbandsvertreter über das Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) zetern, bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss bekamen die Bundestagsabgeordneten meist bestätigt, dass das geplante Gesetz in die richtige Richtung geht.

Expertenanhörung zum VSG: Versorgungsstärkung oder -schwächung?
Öffentliche Anhörungen im Gesundheitsausschuss – wie am 25. März zum VSG – wirken wie einstudiert: Der aufgerufene Sachverständige oder Verbandsvertreter argumentiert i.d.R. kerzengerade in die Richtung, die der fragende Fraktionsvertreter hören möchte.

Und so hatte der Einzelsachverständige Professor Dr. Ferdinand M. Gerlach die Ehre, als Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen den ersten Haken unter den Gesetzentwurf zu machen.

Der Frankfurter Hochschullehrer für Allgemeinmedizin bestätigte der Union, dass die geplante Regelung zur Stilllegung frei werdender Praxissitze in überversorgten Gebieten ein „notwendiger Schritt“ ist, um Ärzte dazu zu bewegen, sich in unterversorgten Regionen niederzulassen.

Eine Bedarfsplanung ohne Kenntnis des Bedarfs

Ob das ab einem Versorgungsgrad von 110 % zu geschehen habe, „weiß keiner“, so Prof. Gerlach. Aus Sicht des Rates sei spätestens ab 200 % von Nachbesetzungen abzusehen. Den Zulassungsausschüssen müsse jedoch die Möglichkeit bleiben, Sonderbedarfe feststellen zu können.

Prof. Gerlach unterstrich, dass die Bedarfsplanung nicht vom wahren Bedarf ausgeht. Für dessen Messung fehlen die Indikatoren. Zu beachten sei z.B. die Entwicklung der Morbidität, die Verlagerung stationärer Leistungen in die ambulante Versorgung und die tatsächliche Erreichbarkeit von Praxen. Es bedürfe einer sektorübergreifenden wie prospektiven Bedarfsplanung.

Der GKV-Spitzenverband findet wiederum, dass der Gesetzgeber bei der Stilllegung nicht versorgungsrelevanter Praxen „mehr Mut“ zeigen könne, wie es Vorstandsvize Johann-Magnus v. Stackelberg formulierte. Ausnahmeregelungen wie etwa für Bewerber, die vorher in einer unterversorgten Region tätig waren und nun in einen Ballungsraum wechseln wollen, seien „kontraproduktiv und zu überdenken“.

Praixsaufkauf: Papiertiger oder Sargnagel?

Die Einschätzungen, ob die geplante Soll-Regelung für den Zulassungsausschuss ein Papiertiger oder ein Sargnagel für die Einzelpraxis ist, gehen nach wie vor weit auseinander. So erwartet z.B. der hessische KV-Vorsitzende Frank Dastych, dass die Kassen ein starkes Interesse an der Schließung von Praxen zeigen werden. „,Soll‘ heißt ,muss‘, wenn ,kann‘“, lautete seine Übersetzung bei einer Pressekonferenz der KV im Vorfeld der Ausschussanhörung.

Zudem gebe es einen Rattenschwanz an Problemen, wenn Sitze unbesetzt bleiben und die KV Entschädigung leisten muss. Was passiert mit Miet- und Leasingverträgen, mit den Beschäftigten und den Patientendaten, fragt der KV-Chef.

Und: Bei einem jährlich unveränderten Einwohnerzuwachs sinke selbst in einer angeblich überversorgten Stadt wie Frankfurt der Versorgungsgrad bei Haus­ärzten von 119 % (Ende 2013) bis zum Jahr 2018 auf 108 %. Bei Päd­iatern, Augenärzten und Orthopäden rutsche der Bestand bis 2019 oder 2020 auf unter 110 %. Warum also noch Praxen absichtlich aufkaufen?

Besser als „abschaffen, bestrafen und reglementieren“ sei „fördern, begeistern und finanzieren“, lautet Dastychs Rat an den Gesetzgeber.

Im Fall der Allgemeinmedizin tut der das auch mit einer Ausweitung der Förderung auf 7500 Weiterbildungsstellen. Allerdings fehlen dafür bislang die Interessenten; die Ist-Förderung betrifft etwa 2500 bis 3000 Vollzeitstellen, so Prof. Gerlach. Er plädiert für die bundesweite Einrichtung von Kompetenzzentren für Allgemeinmedizin wie es sie in Baden-Württemberg und Hessen gibt. Diese steigerten nachweislich das Interesse von Nachwuchsmedizinern am Hausarztberuf.

Baden-Württembergs KV-Chef Norbert Metke forderte als Einzelsachverständiger im Gesundheitsausschuss auch eine entsprechende Förderung für Kinderärzte. Auf diese kämen neue Aufgabenschwerpunkte wie Migranten, ADHS oder die Prophylaxe des Kindesmissbrauchs zu. Auch bei Gynäkologen und anderen grundversorgenden Fachärzten sei eine Weiterbildung in Praxen wichtig. „Sie können nur lieben, was Sie kennen“, veranschaulichte Dr. Metke den Zusammenhang von Erfahrung und Berufswahl.

Gestaltungsfreiheiten bei der Selbstverwaltung

Für ein VSG-Schaufensterprojekt der Großen Koalition, die Vier-Wochen-Facharzttermin-Garantie mit Vermittlungsstellen bei den KVen, gab es von den angehörten Experten allerdings keine Blumen.

So forderte beispielsweise Dr. Elisabeth Fix vom Caritasverband eine Öffnungsklausel für regionale Lösungen wie das saarländische Modell der gestuften Überweisung nach Dringlichkeit. Zu den Befürwortern regio­naler Lösungen gehören auch die KBV und der Bundesrat.

Ulrich Weigeldt, der als Bundesvorsitzender des Hausärzteverbandes die Stoßrichtung des VSG in der Anhörung grundsätzlich lobte, bezweifelt ebenfalls den Nutzen von Terminservicestellen – bei den Selektivverträgen seien diese jedenfalls „komplett überflüssig“.

Zu verfassungsrechtlichen Bedenken bei den geplanten Eingriffen in die Mehrheitsverhältnisse der KV-Vertreterversammlung befragt, verwies der Berliner Rechtsanwalt Professor Dr. Wolfgang Spoerr auf einen „weiten Ermessensspielraum“ des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung von Selbstverwaltungsorganen. Allerdings riet er, weitere strukturelle Konkretisierungen zu Haus- und Fachärzten gesetzlich zu treffen.

Der weitere parlamentarische Weg des VSG sieht die zweite und dritte Lesung im Bundestag im Mai vor. Mit dem voraussichtlichen Inkrafttreten wird zum 1. Juli gerechnet.

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