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Heute schon einen Kaktus verteilt?

Autor: Dr. Frauke Höllering

Lästige Patienten bekommen einen Kaktus. Oder zwei? Oder drei? Lästige Patienten bekommen einen Kaktus. Oder zwei? Oder drei? © fotolia/mfroey01
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Wer muffelig und lästig ist, verdient einen Kaktus, so die Meinung von Dr. Frauke Höllering. Nur blöd, dass man bei manchen Patienten ein ganzes Kakteenfeld benötigt!

Auf meiner Seite der Rezeptionstheke steht seit langer Zeit ein kleiner Plastikkaktus. Ursprünglich ein Werbegeschenk der Pharmaindustrie, in dem sich ein Kugelschreiber versteckt, hat der Kaktus recht schnell eine neue Bedeutung gewonnen. Steht er friedlich nah an der Wand, ist alles in Ordnung. Steht er demonstrativ da, wo die Karten meiner wartenden Patienten liegen, ist Alarmstimmung angesagt.

"Warum habe ich den Kaktus?", fragte ich eines Morgens, mich völlig unschuldig wähnend. "Sie haben nicht einmal guten Morgen gesagt und wortlos gleich drei Formulare auf den Tisch gelegt, die wir wegschicken sollen", war die Antwort meiner Mitarbeiterin. "Ich habe durchaus guten Morgen gesagt!", protestierte ich schwach, hoffend, dass das missmutig gemurmelte "Moin", das ich mir an diesem grauen Tag abringen konnte, als ein solches gelte. "Sie sind aber auch streng!" Meine Mitarbeiterin lächelte breit und zuckte mit den Schultern: "Kann sein, aber gerade so ein Montagmorgen braucht Freundlichkeit!"

»Der Kaktus ist eine Art "Goldene Zitrone" für Muffeligkeit«

Sie sehen, was der Kaktus darstellt: Eine Art "Goldene Zitrone" (für Gold hat unser Praxisbudget nicht gereicht) für Muffeligkeit oder auch für Unhöflichkeit, wie sie im hektischen Praxisalltag durchaus hin und wieder einmal vorkommen kann. Natürlich kann ich mich durchaus revanchieren und auch meiner Mitarbeiterin den Kaktus auf den Schreibtisch stellen, wenn ich der Meinung bin, dass sie etwas zu "stachelig" ist; was aber, zugegeben, sehr selten vorkommt.

Nicht immer erfahre ich rechtzeitig, wann eine "Kaktusübergabe" sinnvoll gewesen wäre. "Warum haben Sie sich in einer Vertretungspraxis impfen lassen?", fragte ich neulich einen jungen Mann. "Wir waren doch immer hier?" Die Antwort erschütterte mich: "Ich hatte angerufen, und da sagte man mir, es wäre in den nächsten drei Wochen kein Termin für eine Impfung frei. So viel Zeit hatte ich nicht." Impfungen erledigen wir zwischendurch und ohne Termin, und Termine gab es auch noch. Da bei dieser Arbeitseinstellung der Kaktus nicht gereicht hätte, bin ich froh, dass die Mitarbeiterin damals von selber gekündigt hat.
Gerne würde ich auch dem einen oder anderen Patienten mal den Kaktus reichen. Jenem älteren Herrn zum Beispiel, der das "Bitte-hier-warten"-Schild auf dem Boden ignoriert und sich wartend über die Theke lehnt, während er versucht, einen Blick auf die Namen der dort liegenden Karteikarten zu erhaschen (was meine Mitarbeiterin durch demonstratives Umdrehen der Karten verhindert). Oder der Dame, die mit den Worten "Ich habe einen Termin. Kann ich schon reingehen?" auf meine Sprechzimmertür zustrebt, in der sicheren Überzeugung, ich hätte nur auf sie gewartet und säße dort tatenlos, bis sie einträte. Was sie im Übrigen fast bei jedem Besuch auf diese Weise versucht.

Diese Patienten sind zwar lästig, aber genauso "harmlos" wie jene, die im Kommandoton Rezepte verlangen und das Lächeln längst verlernt haben. Viel schlimmer und schon zwei Kakteen wert sind allerdings Patienten, die jegliche Aufforderung, im Wartezimmer Platz zu nehmen, ignorieren, und sich im Rezeptionsbereich herumdrücken, bis sie meine Kollegin oder mich erwischen mit ihrem "Ich habe nur kurz eine Frage".

»Ungehobelte Patienten werden vergrault«

Nicht nur, dass sie neugierig jedem Gespräch lauschen, dass meine Mitarbeiterinnen in der Zwischenzeit zu führen versuchen, sondern auch, dass sie sich gnadenlos an allen vorbeidrängeln wollen, die vor ihnen da waren (und evtl. auch nur eine kurze Frage hatten). Wenn einer von ihnen mich am Wickel hat, gibt es jedoch keinen Kaktus, sondern eine kurze Information: "Ich führe keine Thekengespräche, es sei denn, es gäbe ein Bier dazu. Auch möchten Sie gewiss nicht, dass andere hören, welches Problem Sie haben". Dann öffne ich schwungvoll die Wartezimmertür und komplimentiere die Betroffenen hinein.

Natürlich gibt es auch Patientinnen und Patienten, bei denen ein ganzes Kakteenfeld angemessen wäre, weil sie ungehobelt, anmaßend oder konsequent so ungewaschen daherkommen, dass jeder um Luft ringt, wenn sie zur Tür hinein kommen. Diese vergraule ich dann aus Überzeugung: Praxishygiene, auf die eine oder andere Art. Wieso steht da eigentlich der Kaktus für mich?
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