Anzeige

HzV - „Rote Karte für den Einheitskassenmief“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Thinkstock Thinkstock
Anzeige

Die hausarztzentrierte Versorgung (HzV) zeigt Vorteile in puncto Patientenversorgung, Krankenhauseinweisungen und Einsparungspotenzial bei der Arzneimittelverschreibung.

Wer sich in Baden-Württemberg als chronisch Kranker in der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) betreuen lässt, ist fein raus, denn „chronisch Kranke werden im Südwesten besser versorgt“. Das ist das Fazit der wissenschaftlichen Untersuchung des AOK-Hausarztvertrages in Baden-Württemberg, die beim Hauptstadtkongress vergangene Woche vorgestellt wurde.

Folge der HzV: Patienten zufriedener

„Die Patienten sind insgesamt zufriedener und fühlen sich umfassender betreut als die Vergleichsgruppe in der Regelversorgung – dem System der Kassenärztlichen Vereinigung“, so die Bilanz von Professor Dr. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt. Chronisch Kranke werden in der HzV intensiver, strukturierter und planvoller behandelt, so die Analyse.


Patienten erhalten in HzV-Praxen mehr Angebote zur Krankheitsvorbeugung und fühlen sich besser (körperlich) untersucht. Die DMP-Teilnahmequote ist in der HzV zum Teil doppelt so hoch wie die der Nicht-HzV-Teilnehmer.

Zwei Hausarztkontakte mehr pro Patient

Bei HzV-Patienten sind im Schnitt im Halbjahresvergleich die unkoordinierten Facharztbesuche um rund 12,5 % zurückgegangen, berichtete Prof. Gerlach. Zugleich wurden pro Patient zwei Hausarztkontakte mehr verzeichnet (+38 %). Dennoch, so Prof. Gerlach: „Trotz stärkerer Arbeitsbelastung fühlen sich die Ärzte weniger gestresst und sind außerdem motiviert, notwendige Veränderungsprozesse in der Praxisorganisation anzustoßen.“


Grund für die Zufriedenheit sind zum einen die um rund 30 % höheren Honorare, zum anderen die spürbaren Ergebnisse: 40 % der HzV-Ärzte bemerken eine bessere Bindung der Patienten an die Praxis, 27 % eine bessere Kommunikation und 29% eine bessere Zusammenarbeit mit den Patienten.

HzV sorgt für einen besseren Überblick über Situation des Patienten

Knapp jeder zweite Hausarzt gibt an, die gesundheitliche Versorgung des Patienten besser koordinieren zu können, jeder dritte Arzt konstatiert einen verbesserten Überblick über die gesundheitliche Situation des Patienten. Es sei ein „Tag der Freude und der Genugtuung“, sagte der badenwürttembergische AOK-Chef Dr. Christopher Hermann in Berlin, denn die HzV habe sich „über Jahre Anfeindungen ausgesetzt gesehen“. Nun sei dem „Einheitskassenmief die rote Karte gezeigt“ worden.

Erfreut zeigte sich auch der Landesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Berthold Dietsche. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse kämen allerdings nicht ganz überraschend. Viele Gespräche mit Hausärzten hätten bereits gezeigt, dass Akzeptanz und Zufriedenheit mit dem Vertrag sehr hoch seien.

Weitere positive Effekte der HzV werden erwartet

Dr. Dietsche hob lobend das flächendeckende Netz aus 400 Qualitätszirkeln hervor. Dies sei eine einmalige Fortbildungsstruktur. Zwar sind die Unterschiede zwischen HzV- und Regelversorgung in der Evaluation insgesamt betrachtet nicht gravierend. Prof. Gerlach und Mitautor Professor Dr. Joachim Szescenyi, Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg, gaben jedoch zu bedenken, dass sich die Analyse auf Routinedaten der Jahre 2008 bis 2010 stützt, also auf die HzV-Anlaufphase abstellt.


Die beiden Wissenschaftler sind sich sicher, dass im Laufe der Zeit – weitere Analysen sind geplant – die Vorteile des Hausarztsystems klar zum Tragen kommen werden. „Wir wissen, dass sich Alltagsroutinen nur langsam verändern lassen. Daher erwarten wir im weiteren Zeitverlauf noch erheblich stärkere Effekte“, so Prof. Gerlach. Er geht sogar davon aus, dass sich die Versorgung von HzV-Patienten in der Praxis eines Hausarztes auch auf Patienten auswirkt, die nicht am Vertrag teilnehmen („Kontaminationseffekt“).

Flächendeckende ambulante Versorgung könnte gewährleistet werden

Auch AOK-Chef Dr. Hermann geht davon aus, dass die kommenden Evaluationen noch positiver ausfallen werden: „Krankenhauseffekte sind in den Finanzdaten von 2011 schon deutlich erkennbar.“ Der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, forderte die Politik auf, Änderungen an dem für die HzV wichtigen § 73b SGB V zurückzunehmen. Kritiker der HzV sollten sich jetzt mit den vorgelegten Zahlen auseinandersetzen: „Wenn es künftig mehr Hausarztverträge nach dem Vorbild in Baden-Württemberg gäbe, wäre eine flächendeckende ambulante Versorgung in ganz Deutschland auf Dauer zu gewährleisten.“

HzV in Baden-Württemberg: 3500 Hausärzte machen mit

250 Millionen Euro kostete der Hausarztvertrag in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr. Rund 180 Mio. Euro davon kamen aus der Bereinigung des KV-Honorars. Etwa 70 Mio. Euro erwirtschafteten die HzV-Ärzte über Einsparungen im Arzneimittelbereich, bei Krankenhauseinweisungen und wegfallenden Einzelleistungen „aus dem Hamsterrad“, so Dr. Hermann. 1,1 Millionen Versicherte sind derzeit eingeschrieben und 3500 Hausärzte machen aktiv mit.

Anzeige