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Ich bin stolz auf die Zunft der Allgemeinmediziner!

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Dr. Frauke Höllering fühlt sich als Vertreterin einer stolzen Zunft der Allgemeinmediziner. Sie berichtet über die Vorteile, ein Mitglied in der DEGAM zu sein.

Wütend peitschte der Sturm den Regen gegen den Stall, an dessen Wand wir uns kauerten, um nicht völlig durchnässt zu werden. Auf der anderen Seite stampften die Kühe, die sich kurz vor dem Almabtrieb noch auf 1500 m Höhe befanden, und suchten Schutz vor dem Unwetter. Was, um Himmelswillen, machte ein Fischkopf wie ich in den Südtiroler Bergen? Bis dato wandern, und ich hatte Sonne, Bewegung und Ausblick so lange genossen, bis der schäbige Schauer die Freude trübte.

»Mediterranes 
Flair statt Janker 
und Dirndl«

Bis dahin waren wir nur zum Skilaufen in die Berge gefahren, aber nun war ich stolzes Neumitglied der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), und ihr Jahreskongress fand in Bozen statt. Die Verbindung von Fortbildung mit Dolce Vita war verlockend genug, um auch den Mann meines Herzens in die spätsommerlichen Berge zu locken. Hier wohnten wir auf 1000 m Höhe, wo es frisch und der Ausblick überwältigend war. Bei der Ankunft in Bozen kam mein Kulturschock: 26 statt 16 Gad, Aperol schlürfende Müßiggänger in Straßencafes, mediterranes Flair und modische Highlights statt Janker und Dirndl.

"Ich habe meine Fortbildungs- Barcodes vergessen", murmelte ich versonnen; "vielleicht ist der Kongress gar nicht so wichtig?" Aber schnell siegte das Pflichtbewusstsein über die Faulheit, und ich strebte auf die Universität zu, während der Mann meines Herzens in die Gegenrichtung schlenderte. Ein Workshop stand zuerst auf dem Programm, und dieser war ebenso gut für das Gemüt wie der spätere Stadtbummel: Nicht nur alte Hasen, sondern auch junge Allgemeinmediziner/innen gestalteten die Diskussion lebhaft und zeigten, dass hausärztliche Themen auch unter dem Nachwuchs Gewicht haben.

Die Zeit verging wie im Flug: Workshops, Vorlesungen und Poster-Präsentationen hatten über 500 Kolleginnen und Kollegen angelockt; ich fühlte mich fast in Uni-Zeiten zurückversetzt. "Entschuldigen Sie bitte", hätte ich fast zu dem einen oder der anderen gesagt, "darf ich Sie bitte mit nach Hause in meine sauerländische Praxis nehmen und als Partner und Nachfolgerin einarbeiten?" Hier war sie ja, die Zukunft, repräsentiert durch wissbegierige, lässige und kluge Mitmenschen; betrunken machen und davonschleppen, wie es damals die Seeleute machten (shanghaien nannte man diese Art der Mitarbeitergewinnung damals) kam trotz meiner maritimen Neigungen nicht in Frage … Schade eigentlich.

Frei von Klebezetteln (die Fortbildungspunkte würde ich nun andererorts erwerben müssen) schnupperte und arbeitete ich mich durch das Angebot, frei wie ein Vogel. Herrlich! Abends genossen wir dann Bozen, Sitzen im Freien, leckerer Wein und mediterrane Speisen… besser konnte man es nicht haben.

»Die DEGAM tut uns 
Hausärzten gut«

Ich gebe zu, ich habe lange gebraucht, um Mitglied in der DEGAM zu werden. Aber sie tut gut, um sich als Hausärztin nicht als Wackeldackel der Fachärzte zu fühlen, sondern als Vertreterin einer stolzen Zunft der Allgemeinmediziner. Sie richtet nicht nur Kongresse aus (der nächste wird in Frankfurt etwas weniger südländisch, aber gewiss nicht minder interessant werden), sondern sie hilft uns auch sonst wissenschaftlich auf die Sprünge und wirbt junge Menschen für die Allgemeinmedizin.

Nach dem Kongress standen wir dann doch noch auf dem einen oder anderen Berg und stellten fest, dass das Hinaufwandern zwar anstrengend, aber doch außerordentlich lohnend war. Reisen bildet tatsächlich: Ich habe gelernt, dass Berge nicht nur lästige Hindernisse sind, die den Blick aufs Meer verstellen, und dass Allgemeinmediziner/innen gut daran tun, gemeinsam zu forschen, zu lernen und ihren ganz eigenen, ganzheitlichen Blick auf ihre Patient/-innen weiter zu entwickeln.

Meine Kollegin schwärmt von der Fortbildungswoche auf Borkum (zwar ganz ohne Berge, aber hier pustet der Wind den Kopf frei), andere lieben die Practica in Bad Orb; wieso ich trotzdem erst hart auf die 60 zusteuern musste, um wieder zu entdecken, wie schön das gemeinsame, kollegiale Lernen ist, kann ich nicht sagen.

Darauf einen Aperol und noch zwei für die liebenswerte jungen Kollegin und den charmanten Kollegen am Nachbartisch. Vielleicht shanghaie ich sie ja doch noch fürs Sauerland!

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