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In Aachen wäd allet Jod

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

IPPNW Aachen im Einsatz gegen Atomkraft. IPPNW Aachen im Einsatz gegen Atomkraft. © privat
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In der Region Aachen werden seit Anfang September Jodtabletten an die Bevölkerung ausgegeben – für den Fall, dass es zu einem Atomunfall in den belgischen Schrottmeilern Tihange und Doel kommt. Der Ärzteschaft reicht das aber nicht. Sie will stärker in den Katastrophenschutz einbezogen werden.

Dafür haben wir zwei Jahre gekämpft“, sagt die Aachener Allgemeinärztin Dr. Odette Klepper. Sie ist Mitglied der ersten Stunde bei IPPNW, der Organisation der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Zusammen mit Kollegen war sie vor zwei Jahren im Aachener Rathaus und verteilte dort Jodtabletten an die Ratsmitglieder, um zu erreichen, dass auch die Bevölkerung schon vor einer Katastrophe mit diesen Tabletten versorgt ist.

Es habe nicht gereicht, auf die akute Gefahr der belgischen Atommeiler aufmerksam zu machen, sagt Dr. Klepper. „Wir mussten aktiv werden und konkrete Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung fordern.“ Die Ausgabe von Jodtabletten vor dem GAU gehöre dazu. Denn was nützten diese Tabletten in zentralen Lagern, wenn bei einem Crash in Tihange für die Ausgabe wenig Zeit bleibt?

Reaktoren mit Rissen

Das Kernkraftwerk Tihange besteht aus drei Blöcken mit Druckwasserreaktoren. Das Kernkraftwerk liegt ca. 25 km südwestlich von Lüttich und 57 km west-südwestlich des Aachener Stadtgebiets. Es ist einer von zwei in Betrieb befindlichen Kernkraftwerksstandorten in Belgien; der andere ist das Kernkraftwerk Doel. Die sieben Kernreaktoren in Tihange und Doel werden von Engie Electrabel betrieben. 2012 entschied die damalige belgische Regierung eine Laufzeitverlängerung bis 2025. Man fürchte Engpässe in der Stromversorgung. Im selben Jahr wurden tausende feine Risse sowohl in Doel als auch auch in Tihange bekannt. Inzwischen soll es allein in Tihange 3150 Risse geben.

„Bei der vorherrschenden Westwindlage ist die radioaktive Wolke in drei Stunden in der Region Aachen“, sagt Dr. Klepper. Dann wäre kaum noch Zeit, die Jodid-Tabletten an die rund 1,2 Millionen Einwohner zu verteilen. Es wäre sogar kontraindiziert, zentrale Verteilerstellen aufzusuchen. Denn dann setze man sich der Gefahr aus, mit dem radioaktiven Fallout in Kontakt zu kommen. Besser sei es, man habe die Tabletten zu Hause, um sie auf Hinweis der zuständigen Stellen des Katastrophenschutzes einzunehmen.

Dieser Argumentation schlossen sich die Behörden in Aachen und Umgebung an. Sie haben mit der Verteilung von Jodtabletten begonnen. „Vor Ort klappt die Zusammenarbeit sehr gut“, ist Dr. Klepper zufrieden.

Auf Granit beißen die IPPNW-Aktivisten bisher mit ihrer Forderung, auch Kindergärten und Schulen mit Jod-Tabletten und Atemschutzmasken auszustatten. Dabei müssten die Tabletten dort vorrätig sein, wo sich die Menschen aufhalten, damit sie zwei bis sechs Stunden vor dem Kontakt mit einer radioaktiven Wolke eingenommen werden. Und bei den besonders gefährdeten Kindern seien das eben die Kindergärten und Schulen.

Nur Stilllegung hilft

Der IPPNW-Vorsitzende und Kinderarzt Dr. Alex Rosen stellt grundsätzlich klar: Die wichtigste und vordringlichste Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung vor einer Atomkatastrophe ist die Stilllegung aller Atomkraftwerke. „Nur ein umfassender Atomausstieg in Europa schützt vor den Gefahren dieser Risikotechnologie, da Jodtabletten lediglich vor radioaktiv bedingten Schilddrüsenerkrankungen schützen, nicht aber vor den sonstigen Strahlenfolgen eines Super-GAU.“

„Bezirksregierung hat die Lehrer zurückgepfiffen“

Dr. Klepper und ihre Mitstreiter konnten zwar in einzelne Schulen mit ihren Argumenten überzeugen. „Die Lehrer wurden aber von der Bezirksregierung zurückgepfiffen“, berichtet die Ärztin im Ruhestand. In einem Schreiben der Regierungspräsidentin heiße es, die Lehrer seien nicht geeignet, die Tabletten sachgerecht zu lagern und im Katastrophenfall an die Kinder auszugeben. Dabei sehe die Empfehlung der Strahlenschutzkommission genau dies vor, ärgert sich Dr. Klepper.

Briefe des IPPNW Aachen an die ehemals grüne Schulministerin und die SPD-Ministerpräsidentin seien nicht beantwortet worden. Die Allgemeinärztin sieht darin „ein eklatantes Behördenversagen auf Landesebene“.

Atemschutzmasken für Kindergärten und Schulen

Jetzt hoffen die Ärzte, dass die neue Landesregierung unter dem Aachener Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) dafür sorgt, dass die Jodtabletten in Kindergärten und Schulen gelagert und im Krisenfall ausgegeben werden können.

Auch von der Bundespolitik fühlen sich die Aachener „im Stich gelassen“. Bundesumweltministerin Hildegard Hendricks (SPD) habe nicht wirklich etwas unternommen, um die Schließung der Schrott-AKW durchzusetzen. Stattdessen werde der Reaktor Tihange-2 mit Brennelementen aus Deutschland beliefert. „Wir sind für die Berliner Politik so etwas wie Zonenrandgebiet“, klagt Dr. Klepper.

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Dr. Frank Bergmann, verlangt eine stärkere Beteiligung der Ärzteschaft an den Katastrophenplänen in Aachen. Denn die Kollegen würden schon von den Patienten zu den Vorgängen befragt. Bisher seien die zuständigen Stellen in Aachen noch nicht auf die Kassenärztliche Vereinigung zugekommen. „Es wäre aber außerordentlich sinnvoll, so etwas wie einen runden Tisch unter Beteiligung der KV einzurichten“, sagt Dr. Bergmann. Denn im Fall eines Atom­unfalls sei gerade die Ärzteschaft gefordert.

Quelle: Medical-Tribune-Recherche 

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