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Internet: Vor dem Urteil längst verurteilt

Gesundheitspolitik Autor: Anke Thomas

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Dass das Internet auch ein Fluch sein kann, muss derzeit ein Arzt aus Bamberg erfahren. Die mit Preisen ausgezeichnete Koryphäe erlangte innerhalb von wenigen Stunden im world wide web negative Berühmtheit.

Nach der Verhaftung des Facharztes überschlugen sich die Medien geradezu.   Das Beispiel zeigt deutlich, wie schnell Menschen vorverurteilt werden, sagt Norbert Weinhold, der seit Jahren auf die Gefahren des Internets aufmerksam macht.

Den Stein ins Rollen brachte eine Medizinstudentin, die an dem Klinikum in Bamberg ein Praktikum absolvierte. Sie hatte der Teilnahme an einem (angeblichen) Forschungsprojekt zugestimmt, dass der Arzt ihr offenbar vorgestellt hatte.

Der Arzt hatte ihr im Rahmen des "Projekts" ohne Ankündigung oder Erklärung ein Narkotikum gespritzt. Weil sie zeitweise bewusstlos war und ihr das alles nicht geheuer vorkam, ließ sie kurz darauf in einer anderen Einrichtung ihr Blut untersuchen, in der das Narkotikum in starker Dosis nachgewiesen wurde. Daraufhin zeigte die Medizinstudentin den Arzt an; die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein.

Klinikleitung verriet Status und Fachrichtung des Arztes

Nach den Ermittlungen wurde eine Hausdurchsuchung in der Klinik und bei dem Arzt zu Hause durchgeführt, bei der laut Staatsanwaltschaft umfangreiches und belastendes Fotomaterial gefunden wurde. Die Fotos sollen beweisen, dass der Arzt mehrere Frauen betäubt und missbraucht hat. Die erdrückenden Beweise führten zu seiner Verhaftung.

Etwa dreieinhalb Stunden nach der Festnahme des Arztes wurde die Klinikleitung in Bamberg bereits von einem Presseteam gefilmt und um ein Statement gebeten. Sich der Gefahren des Internets sicher nicht bewusst, verriet ein Leiter der Klinik den Status und die Fachrichtung des Arztes.

Obwohl dessen Name bereits von der Homepage des Klinikums entfernt worden war, genügten die Informationen des Leiters bereits, um den betroffenen Arzt in Sekundenschnelle über Google zu identifizieren.

Familie und Kollegen stehen oft mit am Pranger

Innerhalb von wenigen Stunden berichteten z. B. der Bayerische Rundfunk, T-Online, Focus, die Huffington Post, die Welt, die Stuttgarter Nachrichten, Süddeutsche, das Hamburger Abendblatt, RTL-Online, N24, die Münchner Abendzeitung usw. über den Arzt. Die Bild druckte sogar ein Foto des Arztes - zwar mit einem Augenbalken, aber durchaus erkennbar - ab.

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, sagt Norbert Weinhold, Vorstand von Wakeupinternet (www.wake­up­internet.de), wie schnell Menschen vorverurteilt werden. Schließlich wurde, auch wenn die Beweislage erdrückend sein mag, noch kein Urteil über den Arzt gesprochen. Und das Internet vergisst nicht.

Seit über 15 Jahren arbeitet Weinhold daran, auf die Gefahren des Internets und den unbedachten Umgang mit Informationen/Bildern aufmerksam zu machen. In dem aktuellen Fall sei ja nicht nur der Beschuldigte betroffen, sagt Weinhold, Auch die Namen und Adressen von Familienmitgliedern oder Arbeitskollegen sind leicht herauszufinden, ohne dass diese Schuld an dem Unglück tragen.

Der Druck ist oft immens, wie auch im vorliegenden Fall: Ein Tag nach der Verhaftung des Arztes beschloss der Stiftungsrat des Sozialklinikums den zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft sitzenden Arzt außerordentlich zu kündigen.

Ärzte beliebte Angriffsziele

Ärzte sind dabei beliebte Angriffsziele, weiß Weinhold, und zwar nicht nur in Bezug auf Hetzjagden im Netz. Mitunter findet Weinhold bei seinen Recherchen heraus, dass Kriminelle Fotos von Praxismitarbeiterinnen von der Homepage des Arztes stehlen und diese zum Beispiel für Einträge in Singlebörsen oder Erotikportalen nutzen.

Weinhold rät: Gehen Sie äußerst vorsichtig mit Informationen und Bildmaterial um, die im Internet veröffentlicht werden. Ob Homepage, soziale Medien oder Einträge in Foren, Chatbeiträgen, Blogs etc. - wirklich geschützt sind die Informationen nicht.

Und wenn Ärzte interviewt oder gefilmt werden, rät Weinhold zur Zurückhaltung. Denn Informationen - egal, ob falsch oder wahr - verbreiten sich im Netz rasend schnell.

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