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Klinikeinweisung mit Widmung an die Kollegin

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Was tun, wenn Patient oder Angehörige aus banalen Gründen auf eine Krankenhauseinweisung bestehen? Erfahren Sie, wie MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner damit umgeht und warum ihm das eine Widmung wert ist.

Sagen wir mal etwas großspurig, diese Kolumne soll ein Beitrag gegen den zunehmenden Ärztemangel in den Kliniken sein. Daher widme ich sie den Klinikärzten und -ärztinnen, allerdings mit dem Hinweis, dass sie sich darauf wirklich nichts einbilden müssen. Denn wer sich ein bisserl umhört, der weiß, Widmungen sind heutzutage wie Grabreden – da wird gelogen, dass sich die Balken biegen, auf denen der Sarg steht. Und bei jeder Gelegenheit wird gewidmet. Politiker/-innen erheben Anspruch darauf, dass ihnen Hymnen auf ihre Lebensleistung gewidmet werden. Besonders dann, wenn sie etwa Doktortitel und Amt auf tragische Weise verloren haben.


Anlass meiner Widmung ist eine Krankenhauseinweisung, die ich ausgestellt habe. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich der Aufnahmearzt, in diesem Fall die Frau Kollegin, die Augen rieb und fragte: „Muss das denn sein?“ Ja, es musste sein. Und das kam so: Als ich kürzlich frühmorgens in mein Sprechzimmer ging, an der Rezeption vorbei, stand dort bereits ein altbekannter Patient samt seiner Tochter. Neben ihnen eine vollgepackte Reisetasche.


Als die Tochter mich sah, sagte sie, besonders laut, zu meiner Helferin: „So kann es nicht weitergehen. Da muss jetzt etwas geschehen.“ Der Patient selbst, der seine durchschnittliche Lebenserwartung bereits weit überschritten hat, was ihm von Herzen vergönnt sei, sagte nichts und sah mich nur hilflos an. Was mich nicht weiter wunderte. Denn wenn ich Konflikte in der Praxis bekomme, so selten mit Patienten, sondern meist mit Angehörigen, die ich bei dieser Gelegenheit wenigstens das erste Mal zu sehen bekomme.

Wegen Weißkittel-Hypotonie ins Krankenhaus?

Im Sprechzimmer zählte ich erst einmal ganz langsam zehn, neun, acht, sieben ... und mühte mich um einen Gesichtsausdruck, der möglichst wenig von dem preisgeben sollte, was ich mir gerade dachte. Ich ließ dazu die junge Frau einfach reden, was ihr auch, wie erwartet, mühelos gelang. Und ausdauernd. Ich hätte besser bei hundert mit dem Zählen angefangen. Es ging um den Blutdruck, wobei meiner gerade sicher höher war als jener des Patienten. Kurz und gut, sie hatten zu Hause immer erhöhte Werte ermittelt. Mit den Messungen in der Praxis stimmte dies freilich nie überein. Nach mehreren Anläufen endlich gelang es mir, den Redefluss der Tochter zu stoppen. Jetzt traute sich auch der Patient aus der Deckung. Nein, Beschwerden habe er keine, er habe nichts gemerkt. Seine Enkelin aber sei Sanitäterin und habe dreimal am Tag gemessen. Heute Morgen sei der Blutdruck wieder sehr hoch gewesen. Leicht schwindlig sei ihm geworden. Allerdings erst, nachdem er von dem erhöhten Blutdruckwert erfahren habe.


Da ich von einer Weißkittelhypotonie noch nichts gehört hatte, machte ich nun Vorschläge, wie man das Problem einkreisen könne. Kontrolle des Messgeräts, ambulante Langzeit-RR-Messung, eventuell entsprechende Anpassung der Dosierung des Blutdruckmedikaments. Denn der betagte Patient hatte eigentlich ganz andere Baustellen – von Diabetes bis zu Herzrhythmusstörungen –, die Probleme bereiten konnten. Auf meine Erklärungen folgte tiefes, ausdrucksstarkes Schweigen. Die beiden saßen einfach da, in ihren Wintermänteln, die sie anbehalten hatten, neben sich die fertig gepackte Tasche für den Krankenhausaufenthalt.


Sie warteten also auf die Krankenhauseinweisung. Für mich als Lotsen im Gesundheitssystem war diese bisher immer eine der letzten Wirkmöglichkeiten, in die mir niemand dreinreden kann. Zudem sei sie einfach und klar geregelt. Dachte ich. Ja, von wegen! Die KV Berlin wies kürzlich in einem Internet-Beitrag darauf hin, welch „problematische Varianten“ es bei der KH-Einweisung gebe. Ich zitiere: „Neben einer Einweisung wird vom Krankenhaus (oft) zusätzlich eine – unzulässige – Überweisung gefordert; Krankenhäuser bieten auch nach und außerhalb einer stationären Aufnahme Spezialsprechstunden als klar erkennbare ambulante Versorgung an, für die der Vertragsarzt keine Einweisung ausstellen darf; ein Krankenhaus fordert einen zweiten Einweisungsschein an, wenn die Aufnahme nicht innerhalb der vorgesehenen Frist nach einer prästationären Behandlung erfolgt – diesen darf der Vertragsarzt jedoch nicht ausstellen, da die Einweisung grundsätzlich gültig ist, bis der Behandlungsfall durch das Krankenhaus abgeschlossen ist.“ Da stand allerdings nirgendwo meine problematische Variante: der Wunsch des Patienten und/oder seiner Angehörigen.

Erregung der Tochter als Grund für die Einweisung


Okay, sagte ich mir und hakte in Gedanken die Argumente ab, die ohne allen Zweifel für eine Krankenhauseinweisung sprachen: Erregungszustand der Tochter, gepackte Tasche. Soweit für die Kollegin in der Klinik. Für etwaige Medical Tribune lesende Krankenkassen-Mitarbeiter die offizielle Version auf dem roten Einweisungsschein: Schwindel, Verdacht auf hypertensive Krise.


Stimmte. War ja nichts erfunden. Dennoch, sorry, Frau Kollegin! Dafür brauchen Sie jetzt auch nicht mehr in die Politik zu gehen wie andere Mediziner. Ihre Widmung haben Sie schon. Und ich habe hiermit meinen Beitrag gegen den zunehmenden Ärztemangel abgeliefert.

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