Anzeige

Krimistunde mit fünf spannenden Fällen aus der Gerinnungsmedizin

Autor: Dr. Carola Gessner, Foto: thinkstock

Anzeige

Ein Mann stellt sich mit riesigen Hämatomen vor, eine Frau mit Blutungsneigung entwickelt wiederholt Thrombosen. Wie klären Sie die Ursachen und welche Schlüsse ziehen Sie aus den Gerinnungsparametern?

Fall 1

In einem wahren Kasuistik-Feuerwerk plauderte eine Kollegin aus dem Nähkästchen. Der 47 Jahre alte Mann, der über immer mehr blaue Flecke seit vier Wochen klagte, präsentierte tatsächlich „krasse“ Hämatome, vor allem an den Extremitäten, berichtete Professor Dr. Bettina Kemkes-Matthes vom Universitätsklinikum Gießen. Zudem erschien er psychisch „irgendwie ein bisschen merkwürdig“. Bei der Labordiagnostik sprangen neben einem Hämoglobin-Wert von 5,6 g/dl ein Quick < 5 % und eine aPTT (activated Partial Thromboplastin Time) > 120 Sekunden ins Auge. Woran litt der Patient?

Leberversagen? Extreme Diät? Blutverdünnung!

Die Kollegin bat ihr Auditorium auf dem Internistenkongress um Verdachtsdiagnosen. Leberversagen, lautete ein Vorschlag. Dafür fanden sich jedoch keine klinischen Zeichen und keine passenden Laborwerte, erklärte die Referentin. „Futtert der Mann Marcumar oder bekommt er es gefüttert?“, mutmaßte ein Kollege. Nein, dies ließ sich ausschließen, so die Antwort. Vorschlag Nummer drei, „extreme Diät oder Resorptionsstörungen“, kam der Sache schließlich näher.

Zwar antwortete der Patient auf die Frage nach dem Stuhlgang, alles sei „normal wie immer“. Doch die Klinikärzte gaben sich damit nicht zufrieden und nahmen die Fäzes in Augenschein. Es stellte sich heraus, dass der Patient dreimal am Tag „riesige stinkende Haufen“ produzierte. Die Diagnose lautete schließlich: Malabsorptionssyndrom im Rahmen einer Sprue.

Die fettlöslichen Vitamine waren zum Teil stark erniedrigt. Nach Substitution der Vitamine A, D, E und K berichtete der Patient, dass er auf einmal im Dunkeln viel besser sehen könne – „das lag am Vitamin A“, vermutete Prof. Kemkes-Matthes. Und bei der Kontrolle wenige Monate später erzählte der Mann ihr stolz, er sei bei seiner Mutter ausgezogen und habe jetzt eine Freundin – „das war bestimmt das Vitamin E“.

Fall 2

Eine 76-Jährige kam zur Abklärung einer Blutungsneigung. Starkes Nasenbluten und blaue Flecken kannte sie seit dem Kindesalter. Bei Geburt einer Tochter 1968 erlitt sie schwerste Blutungen. Menorrhagien vor der Hysterektomie 1978 und massive Blutungen bei Zahnextraktionen vervollständigten das Bild. Die eigene Mutter, berichtete die Patientin, sei bei der Geburt eines Geschwisterkindes verblutet.

Das Gerinnungslabor ergab einen hoch pathologischen Quick bei normaler aPTT. Da die aPTT alle Gerinnungsfaktoren außer VII und XIII prüft, kann es also nur am VIIer liegen, wenn der Quick erniedrigt ist, erläuterte die Expertin. In der Tat wies die Patientin einen schweren, hereditären Mangel auf (Faktor VII: 3 % der Norm). Das Komplizierte an diesem Fall kommt aber jetzt, so die Kollegin.

Wegen erheblicher Blutungen bei der Hysterektomie hatte die Frau 1978 Prothrombinkonzentrat (PPSB) erhalten – damals die einzige Methode, Faktor VII zu substituieren. Danach erlitt sie eine tiefe Beinvenen- sowie eine Armvenenthrombose. Gleiches Spiel 1981: Schwere Blutung nach Zahnextraktion, wieder PPSB-Gabe, danach eine Beckenvenenthrombose. 1985 kam es zur Lungenembolie nach Substitution von Gerinnungsfaktoren.

Faktor-VII-Konzentrat löste das Problem

Es fehlte der Patientin nicht nur an Faktor VII, sondern auch an Antithrombin, wie sich herausstellte. Die genetische Diagnostik bestätigte schließlich drei Mutationen im „Faktor-VII-Gen“ plus eine großräumige Deletion im Bereich des Antithrombin-Gens. Letzteres erklärt, warum die Gabe des Gerinnungsfaktor-Cocktails immer wieder Thrombosen auslöste.Wie die Expertin berichtete, geht es der Frau aktuell gut. Sie bekommt niedermolekulares Heparin in niedriger Dosis und bei Eingriffen gezielt nur Faktor-VII-Konzentrat.

Fall 3

Ein 84-Jähriger wurde um 9 Uhr stationär zur Knie-TEP aufgenommen. Doch die Laborwerte machten stutzig: Quick 60 %, aPTT 42 Sekunden. So können wir nicht operieren, meinte der Anästhesist. Bei der Kontrolle sechs Stunden später fanden sich plötzlich wieder normale Werte – was war da los?

Ein Freund des Seniors hatte sich kurz zuvor einem ähnlichen Eingriff unterzogen und Rivaroxaban als Thromboseprophylaxe bekommen. „Es sind davon welche übrig, die sind super, nimm die mal“, so seine Empfehlung. Tatsächlich hatte der 87-Jährige am Tag des Eingriffs zum Frühstück um 6 Uhr eine Dosis Rivaroxaban (10 mg) geschluckt. Drei Stunden später befand er sich am Wirkungsmaximum, um 15 Uhr war der Effekt wieder vorüber (Quick 90 %, aPTT 36 sec).

Fall 4

Ein 40-Jähriger kam in die Klinik wegen eines Riesenhämatoms am Oberschenkel und drohenden Kompartmentsyndroms. Quick und aPTT „liefen durch“, der Arzt der Notaufnahme bekam einen Riesenschreck und verpasste seinem Schützling 3500  I.E. PPSB und eine Ampulle Konakion®. Eigentlich kommt ja erst die Diagnose und dann die Therapie, kommentierte Prof. Kemkes-Matthes, doch in diesem Fall sei das Handeln des Kollegen gut gewesen, die Laborwerte normalisierten sich. „Irgendein Vitamin-K-Problem also.“

Gift mit extrem langer Halbwertszeit

Doch am nächsten Tag folgte die große Enttäuschung, der Quick war wieder unten und alle Vitamin-K-abhängigen Faktoren deutlich vermindert, berichtete die Referentin. So ging das eine ganze Woche, Konakion® wirkte kurz, tags darauf war vom Effekt nichts mehr übrig. Die Lösung des Rätsels brachte die toxikologische Diagnostik: Brodifacoum, Rattengift! Als Quelle entlarvte man die „Müslidose“ im Keller der Großmutter, die für Nager hoch attraktive, aber tödliche Haferflockenköder (Ratron-Brodifacoum-Flocken) enthielt. Attraktiv war die Mischung offenbar auch für unseren Patienten, so die Kollegin. Es gebe Weiterentwicklungen dieser Gifte mit Halbwertszeiten bis zu einem halben Jahr: „Dann müssen Sie sehr lange behandeln.“

Fall 5

Eine 80-Jährige, aufgenommen mit intrazerebraler Blutung, wies einen normalen Quick, aber eine aPTT von 120 sec auf bei stark  erniedrigtem Faktor XII. Dem Auslöser der schweren Blutung kam ein findiger Assistenzarzt auf die Spur. Er fand bei der Frau Hämatome am Bauch – Folge einer Heparingabe? Der Anti-Faktor-Xa-Spiegel (0,55 U/ml) sprach für eine voll therapeutische Heparinisierung. Die Patientin war wegen Vorhofflimmerns auf Phenprocoumon eingestellt gewesen. Das hatte man pausiert, weil für die kommenden Tage ein kleiner Eingriff geplant war. Es erfolgte ein Bridging mit viel zu viel niedermolekularem Heparin bei bestehendem Faktor-XII-Mangel, erklärte Prof. Kemkes-Matthes.

Quelle: 122. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

Anzeige