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Manche Patienten kosten mich den letzten Nerv

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Beratungsresistente Patienten? Dr. Cornelia Tauber-Bachmann berichtet, wie sie in so einem Fall sogar die Polizei einschalten musste.

Manchmal kann das Leben als Hausärztin ganz schön an den eigenen Nerven zerren. Und damit meine ich nicht die üblichen Patienten, die fröhlich ihre Non-Compliance pflegen: „Aber Frau Doktor, meinen Blutdruck habe ich in der Apotheke messen lassen. Der war ganz in Ordnung. Deswegen nehme ich die Blutdrucktabletten auch nicht weiter ... Aber ich ernähre mich jetzt glutenfrei. Das tut mir gut, ich fühle mich viel besser!“ Auf Nachfragen bezieht sich die Patientin auf einen Artikel über Diäten in einer der bekannten Zeitschriften, die sich die gesundheitliche Aufklärung der Leser seit Neuestem aufs Panier geschrieben haben. Oder: „Der Fettsenker, den Sie mir neulich verschrieben haben, kann ja Muskelschmerzen machen. Das steht in der Patienteninformation. Sie wissen doch, wie empfindlich ich auf Medikamente reagiere! Den habe ich lieber mal nicht genommen. Ich setze jetzt lieber auf Vitamine. Die können doch nicht schaden.“


Und ich meine auch nicht die Patienten, die nachts „im Dusel“ die Kabel vom Langzeit-EKG abreißen – sodass wir einen neuen Kabelsatz bestellen müssen. Es geht auch nicht um die Patienten, die das 24-Stunden-Blutdruck-Gerät abnehmen, weil es ja so lästig ist, und es ins Nebenzimmer legen, damit sie trotz des Pumpgeräusches schlafen können. Am nächsten Tag ist der Akku komplett hinüber und muss ausgetauscht werden. Eine aussagekräftige Auswertung ist natürlich nicht möglich. Und der neue Akku kostet ungefähr sechsmal so viel, wie mir die Untersuchung einbringt. Dass wir beim Anlegen des Geräts dem Patienten ausführlich erklären, wie er oder sie das Gerät ausschalten kann, versteht sich ja von selbst. Aber das alles ist ja irgendwie der normale Alltag.

»Freilich drängte ich auf urologische Abklärung«

Nein, an meinen Nerven zerren ganz andere Vorkommnisse, wie kürzlich dieses: An einem Freitag stellte sich ein Patient mit Makrohämaturie vor. Freilich drängte ich auf urologische Abklärung. Da sich der Mann aber nur unter der Woche an meinem Praxisort aufhielt und seine Familie eine gute Autostunde weit weg wohnte, wollte er nach dem Wochenende zum Urologen an seinem Wohnort gehen. Den Kollegen kannte er bereits von früheren Konsultationen. Vom Allgemeinzustand her ging es dem Patienten gut. Die Laborwerte wiesen nur leichte Entzündungszeichen auf, im Urin fanden sich allerdings einige Leukozyten und Bakterien. So versorgte ich ihn mit einer AU, einem Antibiotikum und der Überweisung zum Fachkollegen.


Am Montag war der Patient wieder da! Er wolle diese Woche wieder arbeiten gehen – aber nach der Autofahrt heute fühle er sich doch noch nicht so gut. Ins wohnortnahe Krankenhaus, das sogar eine urologische Abteilung hat, wollte er nicht. „Die haben da Probleme mit einem Keim“, so seine Argumentation. Die Makrohämaturie war zurückgegangen. Also entschloss ich mich zwecks Kontrolle noch mal zur Blutabnahme. Außerdem gab ich ihm die dringende Empfehlung, sich zu Hause ins Bett zu legen.

»Und so rief ich die Polizei in seinem Wohnort an«

Dann kamen die Laborwerte zurück: eine Katastrophe! Die Entzündungsparameter waren in luftige Höhen geschnellt, die Niere des Mannes ging zusehends „in die Knie“. Nun war aber wirklich Schluss! Ich rief den Patienten an. Am Handy keine Antwort, keine Mail-Box. Die Privatnummer mit einer sachlich-freundlichen Frauenstimme und dem bekannten Dreiklang: „Dieser Anschluss ist momentan nicht besetzt.“ In seiner Firma ein Anrufbeantworter – dieser bedauert, dass die Aufzeichnungsfunktion ausgeschaltet sei. E-Mail-Adresse nicht vorhanden. Also, was tun?


Bei einem Patienten hier am Ort könnte ich ja vorbeifahren. Aber abends noch eine Stunde hin- und eine Stunde zurückfahren? Angesichts der abendlichen Erschöpfung? Ich beriet mich mit zwei Kollegen: Der eine, ein Krankenhausarzt, meinte, der Patient hätte doch Familie und die würde schon den Notarzt rufen, wenn er zusammenklappe. In meinen Augen keine gute Lösung: Das Zuwarten hätte meine Nerven überstrapaziert. Die andere Kollegin riet dazu, die Polizei einzuschalten. Das wiederum hielt ich für übertrieben.


Nach mehreren, ebenfalls frustranen weiteren Telefonversuchen fand ich den Mittelweg. Und so rief ich die Polizei in seinem Wohnort an und fand einen wirklichen Freund und Helfer. Er gab mir die Telefonnummer eines deutsch sprechenden Nachbarn. Und dieser freundliche Nachbar drang tatsächlich zu meinem Patienten vor, der sich regelrecht „eingeigelt“ hatte und im Bett lag.


So konnte ich am Ende doch die sofortige Krankenhauseinweisung veranlassen. Mittlerweile hat der Patient angerufen: Es geht ihm besser und er fühlt sich gut betreut. Was für eine Aufregung – und was für eine Erleichterung!

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