Anzeige

Mein Ausstiegstraum: als Schiffsärztin aufs Meer

Autor: Dr. Frauke Höllering

Anzeige

MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering hat sich auf hohe See begeben - als Urlauberin, versteht sich - und dabei das Berufsbild Schiffsarzt unter die Lupe genommen. Wäre das vielleicht eine Alternative? Die Kollegin machte überraschende Entdeckungen.

Wenn unsere Praxisräume tropische Temperaturen annehmen und meine zerebralen Neuronen so langsam arbeiten, dass selbst meine Patienten mir Urlaub gönnen, taucht in der Salzwüste meines Gehirns eine Melodie auf: Erst leise, dann lauter werdend, triumphal geradezu, ein Marsch aus einer Oper, die einer Schiffsflotte ihren Namen gab.


„Raus aus der Praxis, rauf aufs Mittelmeer“, hieß darum auch diesmal die Devise und ich mutierte von der Ärztin zur Passagierin. Beladen mit Sommergarderobe und einigen Kilos Übergewicht, begleitet vom Manne meines Herzens, der selbst beim vierten Gang zum Buffet niemals nur eine Augenbraue heben würde.


Nach einigen Jahren Erfahrung mit All-inclusive-Clubs und Schiffsreisen war ich dieses Mal klug genug, nicht von einem diätetischen Effekt der Reise auszugehen. Natürlich gab es topmoderne Fitnessgeräte, einen Joggingparcours an Deck, schweißtreibende Fahrradtouren im Angebot und die Möglichkeit, sich ganztags nur von Früchten und Salat zu ernähren. Aber mit der Weisheit der mittleren Lebensjahre wusste ich diesmal von vorneherein: Üppigen Speisen würde ich nicht widerstehen können und die Frage „Lesen in der Hängematte oder morgendliches Lauftraining?“ würde jedes Mal zuungunsten der körperlichen Ertüchtigung ausfallen. Sei es drum, schließlich war Urlaub angesagt.


Herrlich, ganz privat zu sein und die Seele baumeln zu lassen! Aus der Ferne den alten Herren in blauem Anzug zu bestaunen, der auf dem Revers ein Schildchen mit dem Aufdruck „Schiffsarzt“ trug. „Der ist doch mindestens siebzig Jahre alt! Hier darf man wirklich nicht krank werden“, hörte ich eine Mitreisende tuscheln. Auch mich irritierte dies:


Wo waren die athletischen Gestalten mit ihren schmucken Uniformen, die ich sonst als Kollegen an Deck identifiziert hatte? Dieser schweigende Mitsiebziger, der stets einsam irgendwo lehnte und nie ein Wort mit einem Gast sprach, war ein merkwürdiger Ersatz. Würde der mich retten können, falls ein ungnädiges Schicksal mir die üppige Kost mit einer Gallenkolik oder einem Ulkus vergelten würde?

Süßes Ärzteleben an Bord des schicken Luxusliners?

Es half nichts, ich musste raus aus der Deckung und zum „Ärztestammtisch“, um mehr über den seltsamen Kollegen in Erfahrung zu bringen. Unser Gastgeber dort sah aus, wie ich es erwartet hatte: in den besten Jahren, drahtig, kontaktfreudig. Ich zog den Bauch ein. Wo war der Greis im Anzug?


„Der ist nur pro forma an Bord“, wurden wir aufgeklärt. „Da wir unter italienischer Flagge segeln, muss nach einem neuen Gesetz auch ein italienischer Arzt an Bord sein.“ Doch da der Anwesende weder der deutschen Sprache noch der modernen Medizin mächtig war, entnahm ich der diplomatischen Umschreibung des Kollegen, diente er nur der Staffage und war zu ärztlichem Tun nicht eingeplant. Bella Italia, auch du förderst mit sinnlosen Gesetzen medizinische Bürokratie!

Am Stammtisch verpuffte meine letzte Illusion

Nun kam die Diskussion in Fahrt. Wie war das wohl mit dem Papierkram an Bord? Der Doc lächelte verhalten: „Nicht zu unterschätzen.“ Soweit zum Thema „Freiheit auf den Weltmeeren“ und meinem Ausstiegstraum Schiffsärztin zu werden, wenn die Kassenpraxis zu nervig wird. „Wie ist denn das mit der Dienstbelastung?“, wollte ich doch noch wissen.


„Hier habe ich alle zwei Tage 24 Stunden Bereitschaft und ein paar Sprechstunden am Tag. Das ist Luxus“, meinte der Kollege. „Auf den meisten Schiffen bin ich der einzige an Bord und somit immer im Dienst.“ Hmmm. „Die besten Schiffe sind dennoch die Luxusliner mit sehr alten Passagieren!“, sagte er dann. „Die sind meist topfit und stören einen vor allem nachts nicht. Gestern Nacht hingegen bin ich dreimal aufgestanden, um Fieberkindern Paracetamol-Zäpfchen zu verabreichen.“


Mit einem lauten Knall verpuffte meine letzte Illusion. Wegen Fieberzäpfchen den Doc aus dem Bett werfen? Helfen sich die jungen Eltern nicht einmal mehr für ein paar Stunden selbst?


Dann bleibe ich doch lieber in meiner Praxis mit den geregelten Notdiensten, Fernweh hin oder her. Außerdem werde ich dort vor Kinetosen verschont und Schwindel tritt nur sporadisch beim Lesen von KV-Briefen auf. Schiff ahoi!

Anzeige