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Praxistipp: Konflikte feiern wie sie fallen!

Autor: R. Robert Oberpeilsteiner

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Deeskalation ist gut - auch und gerade in der Praxis, bestätigt Dr. Robert Oberpeilsteiner. Aber manchmal ist es besser, einen Konflikt auszutragen.

Kennen Sie das auch? So ein Wort, das sich im Kopf einnistet wie eine Melodie, die man nicht loswird. Dieser Hirnwurm, ich nenne ihn so, analog zum Ohrwurm, heißt bei mir „Deeskalation“.


Seit Wochen sumst er durch meine zerebralen Windungen. Was war der Auslöser? Ich komme einfach nicht dahinter. Denn kein nennenswerter Streit im familiären Beziehungsgeflecht ist mir erinnerlich. Auch auf den sonst stets verlässlichen Nebenkriegsschauplätzen ist Langeweile eingekehrt.

Für den Kampf an der Rezeption von der Polizei lernen

Bayerns Hausärzte und die Kassen gehen erschreckend zivil miteinander um. Die Hausärzte lecken sich noch die Wunden, die Kassen die Lippen, weil sie mit jedem Monat, in dem es keine adäquaten Hausarztverträge gibt, Kohle einsparen. Deeskalation, klug eingesetzt, hält den Gegner davon ab, seine Muskeln spielen zu lassen. In diesen Friedenszeiten kann man daher in Ruhe über den Begriff ein bisschen sinnieren.


Deeskal
tion bedeutete in den Sechzigerjahren auch „Münchner Linie“. Dabei handelte es sich um keine Straßenbahn (die gibt es bereits seit 1876), 
sondern um die Chaostheorie der Münchner Polizei während der Studentenunruhen. Eigentlich war sie so angedacht: Ordnungsmacht und Demonstranten stehen sich brav gegenüber, kommunizieren friedlich und blasen gemeinsam Pusteblumen aus.

Aber, Pustekuchen! Diese Flower-Power-Strategie klappte in der revolutionären Praxis nicht immer. Denn die auf friedlich gebürsteten Beamten klatschten sich leider nicht nur auf die eigenen Schenkel. Wenn die Demonstranten Spottlieder sangen: „Auf der Straße seid ihr Bullen, doch im Bett, da seid ihr Nullen“, wollten die Bullen bei der Gaudi auch mitlachen dürfen. Da ging der eine oder andere Schlag zufällig schon mal so was von daneben.


Zurück zu uns. Im Sprechzimmer geht es ja in der Regel doch gesitteter zu. Der revolutionäre Straßenkampf findet ohnehin bereits an der Rezeption statt. Und in der Sprechstunde hat wohl jeder so seine eigene „Münchner Linie“.


Ein Kollege erzählte mir einmal von seiner Methode, die er bei einer Patientin beim Blutabnehmen anwendet. Diese Dame war einerseits sehr resolut, beim Blutabnehmen aber ein Häufchen Elend. Sie überspielte dies, indem sie den Kollegen unaufhörlich mit allen möglichen Fragen bombardierte. Er wusste sich aber zu helfen. Als sie Luft holen musste, nutzte er die logorrhoische Pause und sagte. „So, jetzt pressen Sie die Lippen fest aufeinander. Dann kommen die Venen besser raus!“ Es funktionierte


Aber leider helfen manches Mal alle Tricks nicht mehr. Ich kann mich an einen Nachtdienst in der chirurgischen Ambulanz erinnern. Der um Mitternacht eingelieferte Patient kam direkt aus dem Bierzelt. Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma, Lippenplatzwunde, alkoholisiert bis Unterkante Oberlippe. Das Flicken der Platzwunde war, grob gerechnet, in einer Viertelstunde erledigt. Es ging so flott, weil wir es ohne missbräuchliche Verwendung eines Lokalanästhetikums durchziehen konnten.

Ab in die Geschossene mit dem besoffenen Randalierer

Doch dann randalierte der Besoffene in der Ambulanz rum. Ein Deeskalationsversuch meinerseits dauerte bis kurz vor Morgendämmerung. Als er auch noch der Nachtschwester an die Wäsche wollte, platzte mir der Kragen. Ab in die Geschlossene! Ersparen Sie mir die juristischen Details. Die Kollegen der Psychiatrie fanden den Fall jedenfalls so interessant, dass sie den Patienten für drei Wochen einbehielten


Der Vorteil dieser konfliktorientierten Strategie – im Gegensatz zur Deeskalation – zeigte sich ein halbes Jahr später. Der gleiche Patient saß wieder im Wartezimmer. Aber als er mich sah, sprang er auf, lispelte mit einer dicken Lippe: „Mir fehlt nichts mehr“ – und rannte davon. Absolut rekordverdächtig, wie schnell dem Manne plötzlich zu helfen war.

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