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Regress? Die individuelle Richtgröße als Fluchttür nutzen!

Autor: Michael Reischmann, Foto: thinkstock

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Geht es um die Abwendung eines Arzneimittelregresses, wird der „Individuellen Richtgrößenvereinbarung“ (IRV) zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei wurde diese Fluchttür gerade noch weiter geöffnet.

Die  „Individuelle Richtgrößenvereinbarung“ (IRV) wurde mit der Gesundheitsreform 2004 ins Sozialgesetzbuch aufgenommen. Im praktischen Prüfgeschäft fristet sie bis heute ein Schattendasein, berichtet Rechtsanwalt Lars Wiedemann, Fachanwalt für Medizinrecht in der Dortmunder Kanzlei pwk & Partner Rechtsanwälte. Wiedemann war jüngst mit einer Revision vor dem Bundessozial­gericht erfolgreich. Einem Allge­meinarzt in Sachsen eröffnet das die Chance, sich von einem Regress in Höhe von 36 000 Euro zu befreien.

Arznei-Richtgrößenvolumen um über 100 % übertroffen

Der Fall: Der Hausarzt überschritt im Jahr 2005 sein Richtgrößenvolumen um 102 %. Nach Festsetzung eines Regresses durch den Prüfungsausschuss machte der Arzt vor dem Beschwerdeausschuss die Anerkennung weiterer Praxisbesonderheiten sowie den Anspruch auf Abschluss einer IRV geltend. Beides lehnte der Ausschuss ab; nach Erlass des Prüfbescheids sei eine IRV ausge­schlossen.

§ 106 Absatz 5d SGB V besagt: Ein vom Vertragsarzt zu erstattender Mehraufwand wird nicht festgesetzt, soweit die Prüfungsstelle mit dem Arzt eine individuelle Richtgröße vereinbart, die eine wirtschaftliche Verordnungsweise unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten gewährleistet. Der Arzt verpflichtet sich, ab dem Quartal, das auf die Vereinbarung folgt, jeweils den sich aus einer Überschreitung dieser Richtgröße ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten. Die Richtgröße ist für vier Quartale zu vereinbaren.

Mit einer IRV den Regress abwenden

Mit einer IRV kann also der Vollzug eines Regresses i.d.R. abgewendet werden. Sie kommt damit für Ärzte in Betracht, die den Vorwurf einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise nicht mehr ausräumen können, aber für die Zukunft sparsameres Verhalten versprechen. Oder für Ärzte mit einer untypischen Patientenstruktur. Wird diese mit den üblichen Praxisbesonderheiten nicht ausreichend abgebildet, kann die IRV dem Arzt Planungssicherheit geben, so Wiedemann.

Um dem Risiko zu entgehen, dass mehrere unerwartete Behandlungsfälle mit hohen Arzneiausgaben die IRV-Einhaltung gefährden, sollte der Arzt versuchen, eine Öffnungsklausel für Neuverhandlungen (wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage) zu vereinbaren, rät der Fach­anwalt.

Sein Mandant musste bis vors Bundessozialgericht ziehen, weil das Landessozialgericht in Chemnitz der Argumentation des Beschwerdeausschusses gefolgt war, wonach der Abschluss einer IRV nur vor Regressfestsetzung möglich sei, der klagende Arzt dies jedoch nicht vor der Prüfungsstelle beantragt habe.

Das BSG in Kassel entschied am 28. August 2013 (Az.: B 6 KA 46/12 R): Der Beschwerdeausschuss muss neu über den Widerspruch des Hausarztes entscheiden und mit ihm über eine IRV verhandeln. Zwar seien die Prüfgremien nicht verpflichtet, von sich aus dem Arzt eine IRV anzubieten oder ihn zu Verhandlungen aufzufordern. Doch sie müssen verhandeln, wenn der Arzt dies anregt oder beantragt.

Beschwerdeausschuss handelt eigenständig

Der Beschwerdeausschuss, so die BSG-Richter, habe dieselben Befugnisse wie die Prüfungsstelle und prüfe nicht nur die Rechtmäßigkeit einer angegriffenen Entscheidung, sondern handele als zweite Verwaltungsinstanz auch eigenständig.

Für die Annahme, dass eine IRV nur geschlossen werden könne, solange noch kein Regress festgesetzt worden ist, bestehe keine hinreichend deutliche Gesetzesgrundlage.

Allerdings besteht kein Anspruch auf Abschluss einer IRV. Einigt man sich nicht, sind die Verhandlungen gescheitert. Dann bleibt dem Arzt nur das klassische Widerspruchsverfahren mit dem Antrag, bei den Verordnungen anerkennungswürdige Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen, erklärt Wiedemann.

„Beratung vor Regress“ – und was kommt danach?

Die Vereinbarung einer individuellen Richtgröße ist aufwendig. Sie bietet einem regressbedrohten Arzt allerdings die Chance, einer (erheblichen) Regresssumme zu entgehen.

Laut Wiedemann sehen nur wenige Prüfvereinbarungen zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkassenverbänden das Angebot einer IRV vor, so beispielsweise seit dem Jahr 2008 in Sachsen.

Möglicherweise könnte die individuelle Richtgröße noch aus einem „Dornröschenschlaf“ erwachen. Derzeit sorgt die Regelung „Beratung vor Regress“ (§ 106 Abs. 5e SGB V) für Luft bei den Verordnern.

Anwalt Wiedemann bemerkt, dass die Anzahl der Prüfverfahren stark rückläufig ist. Allerdings: Die Beratung ist ein einmaliger Freischuss. Kommt ein Arzt anschließend wegen seiner Verordnungskosten wieder in Schwulitäten, könnte eine IRV seine nächstbeste Wahl sein.

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