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Regress treibt Hausarzt aus der Praxis

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

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Die Ärzte haben die Nase voll von den Arzneiregressen. In Nordrhein überlegt Hausarzt Stefanus Paas sogar, das Handtuch zu werfen und auszuwandern. Denn allen Protesten zum Trotz bleiben die Regresse bestehen.

Hausarzt Stefanus Paas führt eine Hausarztpraxis in Bergneustadt im Oberbergischen Land. Ihm drohen rund 22 000 Euro Regress für zwei Verordnungsjahre. Von seinem Mitstreiter Dr. Jörg Blettenberg, Hausarzt aus Lindlar, werden gar Regresse in Höhe von 100 000 Euro verlangt. Im Zentrum der Kritik steht der nordrheinische Beschwerdeausschuss mit seinem Vorsitzenden Rechtsanwalt Dr. Peter Backes. Die Ärzte werfen ihm rechtswidrige Entscheidungen, Willkür und Vorteilsnahme im Amt vor.

So berichtet z.B. Dr. Blettenberg, dass er für 2012 keinen Regress bekam, obwohl er da genauso verordnet habe wie in den Jahren, in denen gegen ihn Strafzahlungen verhängt wurden. Paas soll 15 000 Euro überschritten haben. 14 Tagen nach Einreichen der Unterlagen habe er einen Bescheid bekommen. „Mir ist schleierhaft, wie man in so kurzer Zeit diese komplexen Sachverhalte sorgfältig prüfen kann“, meint Paas gegenüber Medical Tribune.

Gemeinsam mit Dr. Ralf Krolewski, dem Vorsitzenden des Haus­ärzteverbandes Oberbergischer Kreis, haben die beiden Kollegen nahezu alles versucht, um die Regresse abzuwenden und dieses „Repressionsinstrument“ abzuschaffen. Sie haben Rechtsmittel eingelegt, schriftlich und mündlich bei der KV protestiert sowie gemeinsam mit Patienten demonstriert. Bis nach Berlin sind sie gefahren, um mit zuständigen Bundespolitikern zu sprechen.

Die grüne Landesgesundheitsminis­terin Barbara Steffens sei „eine Enttäuschung“ gewesen. Sie habe trotz der Belege für das umstrittene Vorgehen des Beschwerdeausschusses nicht eingegriffen, klagt Dr. Blettenberg. Dagegen verliefen die Gespräche in Berlin „konstruktiv“. Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn sei von den Verflechtungen in Nordrhein rund um die Kassen und Dr. Backes irritiert gewesen; er strebe eine Klärung an.

Alle Politiker halten Prüfungen für wichtig

„Die SPD hält sich im Wesentlichen raus“, sagt Paas. Sie schiebe die Tatsache, dass es überhaupt noch Wirtschaftlichkeitsprüfungen gebe, auf den Koalitionspartner. Eine Prüfung der wirtschaftlichen Verwendung von Beitragsmitteln würden allerdings alle Politiker auch weiterhin für notwendig halten.

Die KV Nordrhein hat sich für die Abschaffung der Regresse ausgesprochen. KV-Chef Dr. Peter Potthoff äußerte Verständnis für den Unmut der Kollegen. Doch „die KV macht gar nix“, schimpft Dr. Blettenberg.

„Ich gebe zu, dass ich nach den überwiegend frustranen Gesprächen in den letzten Monaten und den Lippenbekenntnissen unserer Politiker ein wenig die Nase voll habe“, erklärt Paas. Deshalb hat er sich über seine Chancen erkundigt, als Arzt im Ausland zu arbeiten. Sicher sei, dass er aus der Freiberuflichkeit aussteigen wird und nur noch eine Festanstellung anstrebt. Allein der Zeitpunkt stehe noch nicht fest.

Paas hofft, damit ein Zeichen zu setzen. Dass dies bei den verantwortlichen Personen ankommt, bezweifelt er jedoch selbst. Er glaubt, dass viele von denen sich ins Fäustchen lachen werden, weil sie meinen, es geschafft zu haben, „den Paas weichzuspülen oder gar aus dem Land zu ekeln“.

Solange die Bank Kredit gibt, macht Dr. Blettenberg weiter

„Solange die Bank mir nicht den Kontokorrent kündigt, werde ich weiter kämpfen“, meint dagegen Dr. Blettenberg. Seit 60 Jahren gebe es einen Hausarzt Blettenberg in Lindlar. „Wenn meine tollen Patienten nicht wären, ich wäre schon lieber gestern als heute weg aus diesem System, in dem den Patienten alles versprochen, aber dann doch verweigert wird.“

Die KVen rührten sich keinen Deut für die Ärzte, so Dr. Blettenberg. „Sie sind keine Gegner der Kassen, sondern deren Helfershelfer.“ Die Politik höre auf sie und wisse manchmal gar nicht, was sie damit bei Ärzten und Patienten anrichte.

Künftig gar 100 Stunden in der Woche arbeiten?

Für die Versorgung im Oberbergischen Kreis seien beide Kollegen unverzichtbar, betont der Haus­ärzteverband. Dort liege in Teilen die haus­ärztliche Versorgung 36 % unterm Regelsoll. Paas: „Die haus- und fachärztliche Versorgung auf dem Land wird in den nächsten fünf Jahren ausbluten. Das ist auch ein Grund für meinen Ausstieg. Ich arbeite in Spitzenzeiten 70 bis 80 Stunden in der Woche. Soll ich in Zukunft 100 Wochenstunden arbeiten? Und immer mit dem Regressrisiko im Nacken? Nein danke!“

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