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Schweigepflicht einhalten: eine Herausforderung!

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Nicht darüber sprechen und sich trotzdem alles behalten? Wie soll man sich pikante Details aus dem Praxisalltag merken und gleichzeitig die Verschwiegenheit nicht verletzen, fragt sich MT-Kolumnistin Dr. Cornelia Tauber-Bachmann.

Das sage ich nur Ihnen, Frau Doktor, nur Ihnen! Zu Ihnen habe ich Vertrauen und ich will nicht, dass es jemand anderer erfährt ... Gerade hat mir die hübsche Mittvierzigerin Interna aus ihrer inzwischen beendeten Ehe und dem mittlerweile tobenden Scheidungskrieg anvertraut. Und da sind schon Brocken dabei, die selbst für mich als „altgediente“ Hausärztin und „hartgesottene“ Psychotherapeutin schwer verdaulich sind.


Die chronischen, therapierefraktären Rückenschmerzen der Patientin werden dadurch allerdings plausibel – sowohl für mich als auch für sie. Schon vor ein paar Wochen hatte ich vorsichtig eine mögliche psychosomatische Komponente erfragt, was sie aber damals vehement ablehnte. Inzwischen hat sie sich selbst wohl Gedanken darüber gemacht.


„Bitte sagen Sie meinem Sohn nicht, worüber wir gesprochen haben. Dem ist das so peinlich, er will nicht drüber reden“, bat mich die Frau inständig. Dass dem pubertierenden Sohn die familiäre Situation Kopfzerbrechen bereitet, leuchtet mir unmittelbar ein und ist wohl die wahrscheinlichste Ursache für seine häufigen Kopfschmerzen – neurologisch und orthopädisch sind sie bereits abgeklärt.

»Ich möchte auch nicht, dass andere meine Daten lesen«

Für mich wird’s jetzt aber kompliziert. Die „ärztliche Schweigepflicht“ ist ein leidiges, aber immer wiederkehrendes und wichtiges Thema in meiner Praxis. Das liegt nicht nur daran, dass ich in einer Kleinstadt tätig bin, in der jede(r) jede(n) kennt und fast alles über ihn oder sie weiß. Mit allen positiven Konsequenzen. Mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, in dem eine Leiche erst nach Wochen oder Monaten in einer Wohnung aufgefunden wurde. Aber die kleinstädtische Nähe hat auch negative Folgen, etwa neugierige Fragen und verstärkte soziale Kontrolle. Das hat auch meine Familie gleich nach unserem Zuzug an den Praxisstandort registrieren müssen.


So liegt mir das Thema Schweigepflicht sehr am Herzen und deshalb ist es oft ein TOP in unseren Praxisbesprechungen. Wir diskutieren dann im Team und beraten über die praktische Umsetzung. Ich selbst fände es auch sehr befremdlich, wenn meine eigenen Daten – ohne von mir beabsichtigt – eingesehen und öffentlich gemacht würden. Und ich finde es auch indiskutabel und unerhört, mal ungeachtet aller Moral und persönlicher Ansichten, dass z.B. Steuerdaten von Prominenten einfach über Lecks in den Behörden an die Presse gegeben werden. Über diesen Straftatbestand redet eigentlich fast niemand!


Also mittlerweile funktioniert der Datenschutz in meiner Praxis recht gut, denke ich. Es liegen keine Karteikarten mit einsehbaren persönlichen Daten herum, der PC-Bildschirm schaltet nach kurzer Zeit ohne Befehle auf bunte Bilder um. Und alles, was über rein Organisatorisches hinausgeht und persönlich ist wie Diagnosen, Labordaten, Medikamente etc., wird nur hinter geschlossenen Türen besprochen, auch vom Personal untereinander.

»Erinnern ohne Notizen, das schaffe ich nicht!«

Aber nun wird’s – wie schon erwähnt – kompliziert: Meine Patientin möchte nicht, dass ich ihrem pubertierenden Sohn gegenüber meine Kenntnisse der familiären Situation zeige. Außerdem wünscht sie weder Eintragungen auf ihrer Karteikarte noch eine Dokumentation via PC. Mein Hinweis, dass auch die Helferinnen der Schweigepflicht unterliegen, reicht ihr nicht.


Aber gleichzeitig möchte sie natürlich, dass ich bei der nächsten Konsultation alles noch präsent habe. Das macht mein Gehirn bei den vielen Patienten und längeren Zeitabständen nicht mit! Wer mit wem was besprochen hat und wer etwas wissen darf – und soll – und wer nicht, das ist zu viel. Schließlich gibt es ja nicht nur einen Patienten mit persönlichen Problemen und ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste.


Natürlich könnte ich mir eine spezielle Notiz machen und extra abheften. Mit solchen „Extrablättern“ könnte ich nach nunmehr 20-jähriger Praxistätigkeit zwar keine Bibliothek, aber doch eine geräumige Schublade füllen. Doch würde ich dieses Blatt dann auch rechtzeitig wieder herausholen? Oder sollte ich eine Notiz unter einem geheimen Passwort im Computer abspeichern? Da bin ich mir aber sicher, dass meine Helferinnen viel findiger sind als ich und viel schneller an die Datei kämen. Was mache ich also?


Ich schreibe immer noch vorsichtige, allgemein klingende Stichpunkte in die Karteikarte. Daraus lassen sich keine Einzelheiten ableiten und ich hoffe nur, dass beim Lesen meine Erinnerung wieder kommt. Bis jetzt funktioniert’s. Oder haben Sie eine bessere Idee? Wenn ja, bitte ich um Mitteilung.

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