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Selbst ein Notfall: Kliniken stoßen an ihre Grenzen

Autor: Dr. Günther Gerhardt

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Notfall-Patienten gehen zu oft in die Notaufnahme beschweren sich die Krankenhausbetreiber - den Hausärzten bleibt so eine Einnahmequelle verwehrt. Unser Kolumnist über Bereitschaftsdienst und die Politik.

Frau/Herr Doktor, kann ich nicht Ihre Privattelefonnummer haben – ich rufe Sie auch nur an, wenn es wirklich dringend ist.“ Diese Bitte kennen Sie, liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege. Nur: Wer entscheidet, was dringend ist und was nicht?

Im Zeitalter des Mobiltelefons haben viele Ärztinnen und Ärzte ihre Erfahrungen mit sog. Notfällen gemacht. Sie haben Patienten (versehentlich) mit ihrem Handy angerufen – und schon war die Nummer dem Patienten und damit auch seinen Freunden und Nachbarn bekannt. Als letzte Möglichkeit bleibt dann oft nur noch der Wechsel zu einer neuen Telefonnummer.

Das Problem „Versorgung der Patienten außerhalb der Praxisöffnungszeiten“ ist uralt und wird in konstanter Regelmäßigkeit medial hochgeschrieben. Früher waren die Hausärzte entweder erreichbar, haben sich von Kollegen vertreten lassen, setzten technische Hilfsmittel wie Anrufbeantworter, Rufweiterleitung und Eurosignal ein – oder die Schwiegermutter hütete das Telefon und rief die Tochter samt Schwiegersohn beim Italiener an und orderte einen Hausbesuch.

Das war alles sehr mühsam. Und so stellte ein potenzieller Praxisnachfolger schon vor 30 Jahren die Frage: „Wie ist denn der Bereitschaftsdienst geregelt?“ Zum Glück wurde dieser mit Bereitschaftsdienstzentralen (BDZ) flächendeckend von den KVen organisiert. Zugegebenermaßen in manchen Regionen mehr schlecht als recht. Aber immerhin, es gibt sie. Und bei Bedarf kann ja nachgebessert werden.

Von unserem Nachwuchs, mehr als 70 % Frauen, wird die BDZ-Lösung sehr begrüßt. Und ich behaupte mal: Das Problem Ärztemangel wäre ohne BDZ noch wesentlich größer. Der jetzt in zahlreichen Medien erscheinende Vorwurf der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die Notaufnahmen der Krankenhäuser würden immer mehr zum Lückenbüßer für die eigentlich zuständigen BDZ, stellt die Realität auf den Kopf.

Notfallbehandlung trägt unwirtschaftliche Krankenhäuser

Viele Krankenhäuser haben ihre ambulante Tätigkeit forciert und sich so ihre Betten gefüllt sowie eine Daseinsberechtigung geschaffen. Diese Vorgehensweise kennt die DKG. Das geht so weit, dass zu besten Praxisöffnungszeiten sehr viele Notfälle über die KVen aus unserem Honorartopf abgerechnet und so unrentable Krankenhäuser am Leben erhalten werden. Diesem Gebaren wird versucht, Einhalt zu gebieten.

Und just jetzt behauptet die DKG-Führung: „Die ambulante Notfallversorgung findet im Krankenhaus statt.“ Es geht, und damit hat sich die DKG selbst entlarvt, um eine Erhöhung der wirtschaftlichen Mittel, um von der Unwirtschaftlichkeit der eigenen Strukturen abzulenken. Letztere wird schon dadurch belegt, dass identische ambulante Behandlungen im Krankenhaus teurer sind als in unseren Praxen bzw. in der BDZ.

Zugleich ist diese Diskussion interessant vor dem Hintergrund des Versorgungsstärkungsgesetzes, wo der Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung viel Raum gegeben wird. Das wird vom Chef der KBV, Dr. Andreas Gassen, zu Recht folgendermaßen kommentiert: „Die DKG zeigt selber auf, dass die Kliniken eine weitergehende Öffnung für die ambulante Versorgung nicht verkraften können. Dieses Eingeständnis muss die Politik hellhörig machen.“

Dem Gesetzgeber fehlt der Mut anzupacken

Fakt ist: Vertragsärzte behandeln nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung 70 % der Notfallpatienten. Fakt ist: Die BDZ werden von den Vertragsärzten mit einer nicht unerheblichen Bereitschaftsdienstumlage finanziert. Die Krankenhäuser werden aus den Finanztöpfen der Länder und Kassen bezahlt.

Dass viele Patienten lieber ins Krankenhaus gehen als in eine BDZ, ist bekannt. Doch warum findet nur eine Einbahnstraßensteuerung statt, nämlich bei Bedarf von der BDZ ins Krankenhaus und nicht vom Krankenhaus zur BDZ? Lösungen für die Defizite in der Patientensteuerung und eine mangelnde Verantwortung der Patienten gibt es.

Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Er muss die Grundsatzentscheidung treffen, nicht mehr an der uneingeschränkten Öffnung der Krankenhäuser für jede Notfallbehandlung festzuhalten. Und auch wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen Aufklärungsarbeit leisten. Der Politik fehlt der Mut, im laufenden Gesetzgebungsverfahren, die Ursachen zu behandeln. Und uns? Fehlen da ebenfalls der Mut und die Solidarität, das gemeinsam anzupacken? 

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