Anzeige

Übergangsgelder: Affäre Nr. 2 ante portas?

Gesundheitspolitik Autor: Hermann Müller, Foto: fotolia

Anzeige

2011 kassierte der wiedergewählte Vorstand der KV Berlin 549 000 Euro Übergangsgeld. Das war unzulässig, das Geld ging an die KV zurück. Im Februar 2017 endet die zweite Amtszeit –und wieder winkt Übergangsgeld. Kam der Beschluss dazu rechtskonform zustande?

Am 28. Februar 2017 laufen die sechsjährigen Dienstverträge mit der KV-Vorsitzenden Dr. Angelika Prehn, Vize Dr. Uwe Kraffel und Vorstand Burkhard Bratzke aus. Danach, so heißt es in dem am 10. März 2011 unterzeichneten Vertrag, stehen jedem Vorstandsmitglied sechs weitere Monatsgehälter zu – nach Information von Medical Tribune jeweils rund 110 000 Euro. Anders als früher ist die Auszahlung nicht mehr an eine wichtige Bedingung gebunden: die Rückkehr in die Praxis.

Erleichterung für die Rückkehr in die Praxis

Rückblende: Nach den alten, bis Ende 2010 geltenden Dienstverträgen hatte der Vorstand einen Anspruch auf Übergangsgeld von zwölf Monatsgehältern. Das Geld soll dem Arzt nach dem Ausscheiden aus dem Vorstand die Rückkehr in die Praxis finanziell erleichtern. Die Auszahlung war vertraglich an eine Bedingung geknüpft: Gezahlt wurde nur, sofern die Vorstände die "bisherige selbstständige ärztliche Tätigkeit hauptberuflich" fortsetzen.

2010 gibt es KV-intern Diskussionsstoff. Die Aufsicht will bei neuen Dienstverträgen die Übergangsgelder auf sechs Monatsgehälter beschränken. Dem Vorstandstrio, das eine zweite Amtsperiode anstrebt, schmeckt die Halbierung nicht.
Statt mit der KV-Vertreterversammlung (VV) eine Kompensation juristisch sauber auszuhandeln, kommt es am 27. Januar 2011 zu einer Nacht- und Nebelaktion. Am Tag ihrer Wiederwahl vereinbart der Vorstand mit dem VV-Vorsitzenden Dr. Jochen Treisch, das die im Haushalt als Übergangsgelder zurückgestellten Summen am 28. Februar ausgezahlt werden.

Sechs Wochen später, und offenbar ermuntert durch den (zunächst) gelungenen Coup – die Vorstände haben jeweils 183 000 Euro mehr auf dem Konto –, preschen Vorstand und Dr. Treisch erneut vor. Sie vereinbaren am 10. März Dienstverträge mit Übergangsgeldern für die neue Amtsperiode. Zusammengefasst geht es in diesen Wochen um fast 900 000 Euro.

VV regt sich auf – und winkt die neue Vereinbarung durch

Die Delegierten der VV fallen am 24. März 2011 aus allen Wolken, als sie erfahren, dass Übergangsgelder trotz Wiederwahl und ohne ihr Votum schon ausgezahlt wurden. Die Empörung ist groß, die Versammlung versagt nachträglich die Zustimmung. Erst Wochen später, am 5. Mai, billigt eine Mehrheit der VV nach heftiger Kontroverse im Nachhinein die Auszahlung.

Dagegen winkt die VV am selbigen 24. März 2011 die neuen Dienstverträge ohne große Debatte durch, der Vertragstext liegt den Vertretern nicht vor. Danach erwirbt der Vorstand "nach Beendigung der Vertragslaufzeit" (28.2.2017) einen Anspruch auf sechs weitere Monatsgehälter. Dem Gremium bleibt verborgen, dass durch den neuen Vertrag der Sinn von Übergangsgeldern ad absurdum geführt wird: Die Zahlung ist nicht mehr an die hauptberufliche Rückkehr in die alte Arztpraxis geknüpft. Angerechnet werden lediglich "Einkünfte aus der Verwertung der Arbeitskraft, außer der ärztlichen Tätigkeit".

Das bedeutet: Auch KV-Chefin Dr. Prehn kann die etwa 110 000 Euro kassieren. Dabei hat die Hausärztin ihre Praxis vor Jahren verkauft und wird sich im kommenden Jahr mit 72 Jahren vermutlich aufs Altenteil zurückziehen. Auch Augenarzt Dr. Kraffel (54) hat Ende 2014 seine Praxis veräußert. Nach der alten Regelung würde allein dem Dermatologen Bratzke (61) ein Übergangsgeld zustehen, bei einer hauptberuflichen Rückkehr in seine Moabiter Praxis.

Vor diesem Hintergrund ist unbegreiflich, dass die Aufsicht von Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) die vorgelegten Dienstverträge nicht beanstandet hat. Es fehlt die zentrale Voraussetzung für die Zahlung der Übergangsgelder. Schließlich betont das Bundessozialgericht in einer Entscheidung vom 28. Juni 2000 (Az.: B 6 KA 64/98), dass Übergangsgelder den KV-Vorständen den Wiedereinstieg in die Praxis erleichtern sollen. Die Berliner Aufsicht kennt das Urteil, sie weist in ihrem Verpflichtungsbescheid zur Rückzahlung der 549 000 Euro vom 27. Februar 2012 ausdrücklich darauf hin.

Beauftragte Kanzlei spricht von "eklatanten Mängeln"

Doch vielleicht sind die Dienstverträge unwirksam. Im Auftrag der VV hat die Stuttgarter Kanzlei BRP Renauld & Partner den Vorgang geprüft. Sie spricht von "eklatanten, schwerwiegenden Mängeln" beim Zustandekommen. Dr. Treisch habe die Verträge ohne vorheriges Votum der VV unterzeichnet. In seiner Einladung zur VV-Sitzung am 24. März 2011 sei der vorgesehene Beschluss nicht erwähnt, den Delegierten habe der Vertragstext nicht vollständig vorgelegen.

Klingt so, als könnte hier ein weiterer Rechtsstreit vor der Tür stehen. Im Fall der zurückgeforderten Übergangsgelder von 2011 muss sich die KV-Spitze demnächst vor dem Landgericht Berlin "wegen gemeinschaftlicher Untreue in einem besonders schweren Fall" verantworten.


Quelle: Medical-Tribune-Bericht

Anzeige