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Überredet – oder: das ärztliche Gespräch

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Das ärztliche Gespräch ist die Basis jeden Heilerfolgs. Nur manchmal kommt man eben auch mit reden nicht weiter ...

"Du meinst also, das ärztliche Gespräch sei die Mutter der Medizin?“ Mein Freund Fred schien leicht erschöpft. Vermutlich aber wollte er mich provozieren. Ich wartete ab, welcher Kommentar noch folgen würde. Denn wenn Fred eine Angelegenheit aufgetan hat, lässt er sich so leicht nicht stoppen. Dann ist er verbissen wie ein Verteidiger eines Holzklassen-Fußballvereins.


Wir waren uns beim sonntäglichen Frühschoppen ein bisschen in die Haare geraten. Na ja, vielleicht mehr als ein bisschen. Während ich ein Hohelied auf den Leuchtturm der Arzt-Patienten-Beziehung sang, der uns den Weg zu Diagnostik, Therapie und Heilung weisen sollte, motzte Fred die ganze Zeit. „Ärztliches Gespräch ...  das ist doch nur akademischer Dünkel. Von Theoretikern, die von der Praxis nicht die geringste Ahnung haben.“ Und er hatte auch gleich ein Beispiel parat.

»Wo kämen wir hin, wenn wir Patienten ausreden ließen«

„Kürzlich kommt einer zu mir, Adi heißt er, den erkenne ich schon an seinem kratzigen Husten im Wartezimmer. Vierzig Zigaretten am Tag seit fünfzig Jahren. Macht nach Adam Riese circa 730 000 Glimmstängel. Damit kannst du die Autobahn Salzburg-München neu asphaltieren. Da kannst du dir also vorstellen wie seine Lunge ausschaut ...“ Fred kam langsam in Form. „Und weißt du, was er sagt?“ Er seufzte tief. „Er sagt, Doktor, ich brauch’ einen Hustensaft, aber einen g’scheiten.“ Fred machte erst eine kleine Pause, ehe er zum nächsten Schlag ausholte.


„So, jetzt stehst du da mit all deiner Empathie. Mit deinem Wissen über die Struktur des ärztlichen Gesprächs. Der Adi bleibt nämlich einfach sitzen und sagt nichts mehr. Der will sich nicht unterhalten. Schon gar nicht übers Rauchen. Der will keine verbale und keine nonverbale Kommunikation. Sondern nur seinen Hustensaft. Daher bleibt er so lange sitzen, bis du das Rezept ausgestellt hast.“ Als Fred „verbale und nonverbale Kommunikation“ sagte, hätte er sich beinahe verschluckt und so fuchtelte er wie ein Erstickender mit den Händen. Diese Wörter waren ihm offensichtlich ein Gräuel.


Dabei weiß ich, dass Fred ein beliebter und umsichtiger Allge­meinarzt ist. Welche Laus war ihm denn nur über die Leber gelaufen?  Doch er grinste mich nur an. „Du glaubst, ich bin verbohrt und altmodisch.“ Er blinzelte etwas. „Aber es gibt Menschen, die sind nicht so kommunikativ, wie sie unsere Lehrbücher immer zeigen. Adi ist halt so einer.“


Und jetzt spielte er seinen Royal Flash aus. „Schau mal, ich hab’ schon drei Telefonate geführt, bevor der Adi in der Praxis war. Zuerst hat mich seine Frau angerufen, ich darf ihm das aber nicht sagen, weil, sonst schimpft er sie. Seit drei Wochen huste er so gruselig, dass sie aus dem Ehebett ausgezogen sei. Sie wolle ja nicht jammern, aber es störe sie doch irgendwie, dass er das noch nicht bemerkt habe.“ Er holte zwischendurch kurz Luft.


„Und gleich danach rief eine Nachbarin an. Sie geht regelmäßig mit Hund und Adi spazieren. Schon nach kurzer Zeit müsse er stehen bleiben, der Adi nämlich, und schnaufen. Das sei in den letzten Wochen ganz schlimm geworden. So, und das dritte Telefonat habe ich mit dem internistischen Kollegen geführt und Adi dort zur Untersuchung und zum Röntgen vorangemeldet.“ Fred schaute mich triumphierend an. „Mit dem Hus­tensaftrezept in der Tasche und einem Überweisungsschein ist er dann brav zum Kollegen gegangen. Das Ergebnis ist übrigens gut ausgefallen, wenn man die Vorgeschichte berücksichtigt.“

»Manche Patienten muss man übertölpeln«

Nach den überwiegend sachlichen Ausführungen konnte Fred jetzt aber mit seiner privaten Meinung nicht länger zurückhalten. „Jeder, der gesundheitspolitisch viel redet, aber nichts zu sagen hat, fällt  in letzter Zeit über das ärztliche Gespräch her. Der Arzt nehme sich zu wenig Zeit, müsse mehr Empathie aufbringen ... Wie sieht’s aber in der Wirklichkeit aus? Im alten EBM existierte das ärztliche Gespräch überhaupt nicht. Da konnte man es unter Arzt-Patienten-Kontakten, Betreuung und Koordination eines Patienten vermuten. Ohne eigene Ziffer, klar, war im opulenten Pauschalbetrag fürs Quartal schon mit enthalten. Jetzt sollen wir wieder ein paar Groschen dafür kriegen, die sie uns anderswo schon lange abgezogen haben.“


Jetzt wurde Fred etwas leiser und beugte sich verschwörerisch zu mir: „Und da wir hier unter uns sind, kann ich es ja sagen. Wenn wir ans Ziel kommen wollen, dürfen wir uns mit dem ganzen psychologischen Geschwafel gar nicht aufhalten. In der Praxis muss es doch zack, zack, zack gehen! Wo kämen wir denn hin, wenn wir die Patienten ausreden lassen wollten? Ach Gott, die medizinische Versorgung hierzulande würde am ersten Tag zusammenbrechen!“


Fred setzte am Schluss noch einen drauf. „Verstehst du jetzt was ich meine? Wenn wir den Patienten helfen wollen, dann geht es nicht nur mit Überzeugen oder Überreden. Dann müssen wir sie manchmal übertölpeln. Dafür sind sie uns hinterher dankbar. “Es handelt sich hier übrigens ausschließlich um die Meinung von Fred. Sollte ein Leser unter einem ärztlichen Gespräch etwas grundsätzlich anderes verstehen, so akzeptiert Fred das natürlich. Denn er sagt von sich selbst, er sei unglaublich tolerant. Dafür rede er aber wie ihm der Schnabel gewachsen sei. Seine Patienten mögen ihn jedenfalls, den großen Kommunikator.

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