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Warum Ärzte schlechte Patienten sind

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Wenn Ärzte selbst krank werden, wird es kompliziert, stellt MT-Kolumnistin Dr. Cornelia Tauber-Bachmann fest. Es fällt schwer, damit umzugehen, dass man "die Seite gewechselt" hat. Dabei müsste man doch eigentlich nur das tun, was man täglich seinen Patienten rät.

Jetzt hat sie mich also doch erwischt: die „Sommergrippe“. Schon seit mehreren Wochen versorgte ich schniefende, hustende und fiebernde Patienten mit guten Ratschlägen, den üblichen Mitteln und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Und auf die Frage mancher Patienten, ob ich denn niemals krank werden würde, hatte ich lächelnd etwas von permanenter Immunstimulation und „stiller Feiung“ (ja, das habe ich noch gelernt!) gemurmelt.


Aber als ich den ständigen Niesreiz nicht mehr unterdrücken konnte und sich mein praxiseigener Vorrat an Papiertaschentüchern rapide  verringerte, mein Kopfschmerz nicht mehr mit einer Tasse Kaffee wegging und es mir stattdessen sehr warm wurde, musste ich mir doch eingestehen, dass es mich jetzt auch erwischt hatte. Mist!

Medizinstudium ist doch keine stille Feiung

Also bat ich meine Helferin, die Nachmittagssprechstunde nicht wie üblich mit allen möglichen Akutfällen zu „spicken“. Sie sollte lediglich die einbestellten und vermutlich immunkompetenten Psychotherapie-Patienten kommen lassen und alle aufschiebbaren Termine auf die nächsten Tage verteilen. Das klappte perfekt! Auf meinen warmen – wohl eher überwärmten – Händedruck mussten die Patienten an diesem Nachmittag allerdings verzichten. Die Reaktionen der Betroffenen variierten: von anerkennend („dass Sie so überhaupt arbeiten“) über depressiv-ängstlich („und wenn ich jetzt morgen krank bin“) bis schadenfroh („das ist aber beruhigend, dass Sie auch krank werden können“).

Zum Leid kommt noch die Schadenfreude

Klar, warum sollten Ärzte nicht krank werden? Nur, weil wir Medizin studiert haben, sind wir noch lange nicht vor Krankheiten geschützt. Wenngleich das freilich wünschenswert wäre und manch einer solchen Gedanken gelegentlich sogar nachhängt. Ich gestehe: Ich verfalle mitunter dieser Denkart und sie erscheint mir rational zwar absurd, aber dennoch gar nicht so abwegig. In solchen Momenten wird mir wieder bewusst: Habe ich - wie Schröder, die Figur aus den „Peanuts“ – Medizin studiert, um – wie er es so schön ausdrückt – „auf der richtigen Seite der Spritze zu sein?“. Ja, es stimmt, ich bin nicht gerne auf der Patientenseite!


Wir Ärzte gehören in der Regel zu den schwierigsten Patienten überhaupt: Entweder wissen wir alles besser und verwickeln unsere behandelnden Kollegen in wissenschaftlich spitzfindige Diskussionen oder wir misstrauen ihnen grundsätzlich und behandeln uns lieber selbst. Oder: Wir versuchen, unsere Erkrankungen schlichtweg zu ignorieren.


Einer meiner Ausbildungsärzte pflegte sich im Falle einer Erkältung so zu „dopen“, dass seine Frau scherzhaft meinte, er müsse im Falle seines Ablebens als Sondermüll entsorgt werden! Sowohl als Patientin als auch als behandelnde Ärztin erscheint es mir immer wieder schwierig, den richtigen Mittelweg zwischen Kontrolle und Vertrauen, Anleitung und Eigeninitiative zu finden.

Auf der richtigen Seite der Spritze ist es bequemer

Wenn ich dann von Kollegen höre, die schwer erkrankt sind, ihre Berichte lese, wie sie die Krankheit erleben oder erlebt haben, wie sie ihr Leben radikal geändert haben, bin ich voller Bewunderung und frage mich, ob ich das im Fall der Fälle auch könnte. Wie ist das bei denen, die sich nicht „outen“, die nicht an die Öffentlichkeit gehen? Wenn ich im schlimmsten Fall vom Tod erkrankter Kollegen erfahre und mir vorstelle, wie sie mitten aus ihrer Arbeit herausgerissen wurden – sicher um ihre Prognose wissend – bin ich voller Mitgefühl und weiß meine „Sommergrippe“ wieder richtig einzuordnen.


Ich übte mich also in Geduld, sagte die Sprechstunde am nächsten Tag komplett ab, legte mich ins Bett und war am übernächsten Tag wieder beschwerdefrei. Bin ich überhaupt noch eine typische Ärztin?

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