Schwindel und neuropathische Schmerzen Was steckt dahinter?

Autor: Carsten Isenberg

Frage: Ich wurde notfallmäßig zu einem 69-jährigen Patienten gerufen. Aus "heiterem Himmel" klagte dieser über extremen Schwindel, Erbrechen und Umfallen nach links. Bei der Untersuchung zeigten sich keine Großhirn-Symptomatik, keine Sprachstörungen, keine Paresen, keine weiteren neurologischen Ausfälle, Spontannystagmus nach links, gering ausgeprägt mit angedeuteter rotatorischer Komponente, blickrichtungsverstärkt nach links. Gang und Stand mit erheblicher Unsicherheit und prompter Fallneigung nach rechts. Wegen Verdacht auf Kleinhirn-Symptomatik wies ich den Patienten ins Krankenhaus ein. Die dortige Diagnostik (CT, MRT, Serologie auf Herpes simplex, Herpes zoster, Borreliose, Echokardiographie, Doppler-/ Duplex-Sonographie der extrakraniellen hirnversorgenden Arterien) ergab keinen pathologischen Befund. Es wurde der Verdacht auf eine Neuritis vestibularis geäußert. Nach hochdosierter Kortisontherapie über eine Woche besserte sich die Symptomatik. Der Patient leidet aber immer noch an einem mäßigen Schwindel mit leichten Koordinationsstörungen. 4 Wochen nach Entlassung klagte er über rezidivierende, neuropathische Schmerzen (Segment-begrenzt) an Kopf, Hals, Thorax, Abdomen und Extremitäten. Eigenartigerweise halten diese Schmerzen nur 2 bis 3 Tage an. Bei dem Patienten ist in der Anamnese kein Herpes simplex oder Herpes zoster bekannt gewesen. Vor 10 Wochen habe ich einen Versuch mit einer antiviralen Behandlung gemacht, in den letzten Wochen sind die neuropathischen Schmerzen nicht wieder aufgetreten. Waren sie vielleicht doch durch eine nicht bekannte Herpesinfektion entstanden, sollte man noch eine Impfung gegen Herpes zoster durchführen? Die Schwindelattacken werden weiterhin mit Antivertiginosa (z. B. Betahistin) behandelt, ohne wesentliche Besserung. Wie sollte man weiter vorgehen?

Antwort:

Die initiale Schwindelsymptomatik, die im vorliegenden Fall beschrieben wird, ist typisch für einen akuten Ausfall des rechten Vestibularorgans (Nystagmus zur gesunden Seite und Fallneigung zur betroffenen Seite). Die Verdachtsdiagnose kann zusätzlich gesichert werden durch den Nachweis einer Untererregbarkeit des betroffenen Labyrinths nach kalorischer Reizung und den klinischen Halmagyi-Kopf-Impulstest.

Die Wirksamkeit von Methylprednisolon in der Akutphase ist durch Studien belegt. Es werden verschiedene Dosierungsschemata empfohlen (initial 100 mg, alternativ 1 mg/kg, schrittweise Dosisreduktion über 3 – 4 Wochen), die eine schnellere Symptomreduktion erreichen, wobei ein langfristig besseres Outcome gegenüber Plazebo nicht gesichert ist. Der Einsatz von Antivertiginosa sollte auf die symptomatische Behandlung von starker Übelkeit und Erbrechen in der Initialphase beschränkt werden.

In den meisten Fällen tritt bereits nach wenigen Tagen eine deutliche klinische Besserung ein. Eine apparative Vestibularisprüfung weist in dieser Zeit jedoch unverändert die einseitige Unterfunktion eines Vestibularorgans nach, so dass die Besserung wahrscheinlich auf Kompensationsmechanismen des ZNS beruht. Leichtere Schwindelsymptome und Gangunsicherheit können allerdings in einzelnen Fällen monatelang persistieren.

Residuelle Schwindelbeschwerden werden durch Antivertiginosa nicht nennenswert gebessert. Da es Hinweise darauf gibt, dass der prolongierte Einsatz die notwendige zentrale Kompensation des Ausfalls eines Vestibularorgans sogar beeinträchtigen könnte, wird eine langfristige Therapie mit Antivertiginosa wie Betahistin nicht empfohlen. Man würde daher im hier beschriebenen Fall dazu raten, die Therapie mit Betahistin zu beenden.

Schwindeltraining richtig durchgeführt, ist nach einer Cochrane-Analyse von 2015 wirksam in der Behandlung von Folgesymptomen nach Neuritis vestibularis. Der Patient sollte nach Möglichkeit dort gezeigte Übungen auch selbst durchführen.

Die vom Kollegen berichteten rezidivierenden neuropathischen Schmerzen lassen sich nicht einfach mit der vorangegangenen Neuritis vestibularis in Einklang bringen. Ein direkter Zusammenhang ist eher unwahrscheinlich. Man sollte hier zunächst von einem eigenständigen Krankheitsbild ausgehen und bei Wiederkehren der Beschwerden eine neurologische Diagnostik veranlassen.

Die Frage, inwieweit hier eine Herpesvirusinfektion eine Rolle spielen kann, wäre nur durch den Nachweis eines Exanthems oder durch eine Liquoruntersuchung zu beantworten.

Literatur:
Methylprednisolone, valacyclovir, or the combination for vestibular neuritis.
Strupp M, Zingler VC, Arbusow V, Niklas D, Maag KP, Dieterich M, Bense S, Theil D, Jahn K, Brandt T
N Engl J Med. 2004; 351 (4): 354

Vestibular rehabilitation to improve dizziness, balance and mobility in patients with unilateral peripheral vestibular dysfunction
Cochrane Evidence Jan. 2015


Autor:
Klinikum St. Elisabeth II. Medizinische Klinik
94315 Straubing

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (16) Seite 65
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.