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Ach, wär ich doch Veterinär geworden – oder Katze

Autor: Dr. Jörg Vogel

Katze müsste man sein. Dann könnte man sich in der Sonne rekäln, anstatt sich mit komplexen Abrechnungsverfahren herumzuschlagen. Katze müsste man sein. Dann könnte man sich in der Sonne rekäln, anstatt sich mit komplexen Abrechnungsverfahren herumzuschlagen. © fotolia/Alena Ozerova
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Das Thema in unserer Praxiskolumne: Der Kampf der Ärzte durch den Dschungel der Abrechnungsziffern und anderer bürokratischer Komplexe.

Eines hätte ich nie gedacht. Nämlich, dass mir der Satz „Ich freue mich auf mein Rentnerdasein“ irgendwann einmal über die Lippen kommt. Aber nun ist es passiert. Dabei bin ich eigentlich sehr gerne Arzt. Ich bin jetzt 57, fühle mich wesentlich jünger, bin fit, esse vernünftig und mache dreimal in der Woche Sport. Also alles das, wovon viele Patienten in diesem Alter nichts hören wollen. Dafür fehlt mir dann eben auch die Dauer­medikamentenliste.

Dass es trotzdem zu diesem Seufzer kam, ist nicht meine Schuld. Es liegt vielmehr an all denen, die mir den Arztjob seit vielen Jahren verleiden. Es begann mit der Einführung von Abrechnungskomplexen und fünfstelligen Abrechnungsziffern. Was für ein bürokratischer Wahnsinn! Heute zählen wir tagtäglich die Quartale, in denen der Dauerpatient wegen seiner Dauerdiagnose bei uns war, um ja nicht einen Chroniker-Komplex zu viel abzurechnen.

Fehler sind regelrecht vorprogrammiert. Allein ein simpler Zahlendreher, z.B. 32030 („orientierende Untersuchung mittels vorgefertigter Reagenzträger“, hier Urintest) anstatt 03230 („problemorientiertes ärztliches Gespräch“), sorgt dafür, dass 8,74 Euro quasi die Toilette hinuntergespült werden.

Nach dem Bereitschaftsdienst sucht man nach der Liste mit den Erschwerniszuschlagsnummern, die sich keine Sau merken kann. Das alles neben einem Wochenend- und Notdienstziffernsalat, der – natürlich mit genauer Zeitangabe der Erbringung – aufwendig angerichtet sein will. Immer bei Strafe des Umsonstarbeitens. Hinzu kommen Budgetentlastungsnummern für insulinpflichtige Diabetiker, Morphinpatienten usw.

Für besonders akute Patienten, die man dringend beim Facharzt unterbringen muss, gibt es fünfstellige A- und B-Notfallnummern. Aber nur von der AOK, der Barmer und der TK. Bei dem Rest der Kassenpatienten kleben wir in diesem Fall gar sogenannte „Dringlichkeitsaufkleber“ auf den Überweisungsschein. Damit wir die Diagnosen schön „in die Tiefe verschlüsseln“, gibt es fünfstellige Prämienzahlen, die aber wiederum bei der AOK für andere Krankheiten stehen als bei der Barmer oder TK.

Als Krönung dessen kommt man uns mit der Telematikgeschichte. Tausende Euro werden in die Hand genommen, nur weil sich sturköpfige Politiker nicht nachsagen lassen wollen, schon wieder Milliarden für das „Herzensprojekt“ eines Ministers versenkt zu haben. Das BER-Desaster lässt grüßen. Und wir Ärzte müssen uns darum kümmern.

Wir haben aber keinen IT-Beauftragten wie die Bundesregierung. Die unterschiedlichen Geräte verschiedener Anbieter sollen wir vergleichen, da das Angebot vielfältiger würde, die Konkurrenz größer, die Preise und damit unser finanzieller Ausgleich geringer. Aber nach welchen Kriterien sollen wir das tun? Lesen die Dinger nicht alle einfach nur die Chipkarte und senden die Daten an die Krankenkasse? Wie sollen wir da Unterschiede oder Vorteile erkennen? So etwas kann ich als Arzt höchstens bei AT1-Blockern oder Kalziumantagonisten. Vielleicht auch noch bei Autos. Aber bei Chipkartenlesegeräten?

Gestern war ich zum Hausbesuch bei einer Patientin am Stadtrand. Ihre Katze räkelte sich dort faul und zufrieden in der Sonne. Das Tier war am Vortag beim Tierarzt zur Untersuchung und Impfung gewesen. Dass sie Miezi heißt, wurde der Besitzerin prompt geglaubt. Ganz ohne Chipkarte. Ihr Frauchen bekam für die Leistung der Tierärztin eine Rechnung in die Hand gedrückt und alle waren zufrieden. Ach wäre ich doch Veterinär geworden! Oder wenigstens Katze!

So aber kann ich nur voller Inbrunst stöhnen: Lasst uns doch endlich mal in Ruhe arbeiten! Lasst uns einfach nur Ärzte sein, die sich um das kümmern, was sie gelernt haben: Und zwar die Patienten ordentlich zu versorgen. Bitte! Wenigstens noch die zehn Jahre bis zur Rente.

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