Hausarztzentrierte Versorgung Alle gewinnen
Prof. Ferdinand M. Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Frankfurt, stapelte bewusst tief, würde er doch "auch hier sitzen, wenn die Untersuchungsergebnisse keinen Vorteil der HzV gezeigt hätten". Doch dieser Canossa-Gang war nicht erforderlich. Im Ergebnis präsentierte Gerlach zusammen mit Dr. Jochen Szecsenyi, Ärztlicher Direktor für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung an der Uni Heidelberg, nur positive Zahlen. Erstmalig zeige sich, dass bei knapp 120.000 Diabetikern durch intensivere HzV-Betreuung in 3 Jahren über 1.700 schwerwiegende Komplikationen wie Amputationen, Erblindungen oder Schlaganfälle vermieden werden konnten. Pro Jahr reduzieren sich bei Herzpatienten die Krankenhauseinweisungen um 3.900 Fälle.
Weniger unkoordinierte Facharztkontakte
Grund für die positiven Resultate sei eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Haus- und Facharzt. Die regelmäßige Teilnahme an QM-Maßnahmen und Qualitätszirkeln zur Pharmakotherapie führe dazu, dass der Arzt über die neuesten Leitlinien optimal informiert sei. Durch die qualitativ verbesserte Lotsenfunktion des Hausarztes werde der von Patienten gefürchtete Drehtüreffekt ins Krankenhaus reduziert. Die Verträge mit niedergelassenen Fachärzten tragen ferner dazu bei, dass sich z. B. die Anzahl von Magen-Darm-Operationen um fast 30 % verringert hat. "Jeder HzV-Patient hat pro Jahr im Schnitt zwar 3 Hausarztkontakte mehr, gleichzeitig nimmt die Anzahl unkoordinierter Facharztkontakte in der HzV ab", so Szecsenyi. Konkret nachgerechnet lag dieser Wert 2014 in der HzV-Gruppe um 40 % (1,6 zu 2,7 Kontakte pro Jahr) niedriger.
Dieser Effekt ist umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund der Abschaffung der Praxisgebühr 2013, wodurch die Lotsenrolle des Hausarztes in der Regelversorgung eher geschwächt wurde. Der gezielte Einsatz der Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH®) führt dazu, dass die Ärzte entlastet werden und in der Folge mehr Zeit für medizinische Aufgaben haben. Inzwischen seien in den 4.000 HzV-Praxen mehr als 2.000 VERAH® tätig.
Die wissenschaftliche Studie kommt darüber hinaus zu dem Schluss, dass die bessere Qualität in der HzV nicht im Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit steht. So konnte die AOK sogar einen Einspareffekt erzielen. Dabei gingen diese Einsparungen nicht auf Kosten der Behandlung, versicherte Baden-Württembergs AOK-Chef Dr. Christopher Hermann. 2015 habe allein seine Kasse 530 Millionen Euro in die Haus- und Facharztverträge in Baden-Württemberg investiert. "Im Ergebnis lägen die jährlichen Gesamtkosten für die Versorgung der teilnehmenden Versicherten aber um 35 Millionen Euro niedriger als für eine entsprechende Vergleichsgruppe in der Regelversorgung." Von der Politik erwartet Hermann keine Unterstützung, gerade mit Blick auf die Geldströme, die in den nächsten 3 Jahren in den Innovationsfonds fließen. Der Innovationsfonds würde mit 1,2 Milliarden Euro "gepampert". Es sei aber ein "Irrglaube der Politik, diese Modellprojekte auf die Regelversorgung auskippen zu können". Statt regionale Modelle für exotische Kleinkonzepte zu generieren, sollten die Verantwortlichen endlich erkennen, dass es in Baden-Württemberg längst eine bewährte Alternative zur Regelversorgung gebe. Die Rahmenbedingungen für diesen Weg weiter zu ebnen, müsse das Ziel sein. Stattdessen werde mit dem nun gestarteten Innovationsfonds wieder ein riesiges Laborszenario mit zweifelhaftem Nutzen begünstigt, so die Kritik des AOK-Vorstands.
Hausarztpraxen mit HzV steigen im Wert
Dr. Berthold Dietsche, Vorsitzender des Hausärzteverbandes in Baden-Württemberg, hofft ebenfalls, "dass die mit Abstand wichtigste Errungenschaft der letzten 20 Jahre" bald in weiteren Bundesländern umgesetzt werden kann. In einigen Regionen müssten die HzV-Initiatoren "gegen Widerstände arbeiten", erläuterte Dietsche, der unklare Regelungen zu Honorarbereinigungen in anderen KV-Bezirken als Problem sieht. Dagegen lobte er die gute Zusammenarbeit zwischen Krankenkasse, Hausärzteverband und MEDI. "Die Unstimmigkeiten mit der KV konnten wir dann mit der letzten KV-Wahl beseitigen." Das HzV-Modell werde zwischenzeitlich flächendeckend von den Kollegen "akzeptiert und engagiert unterstützt.
Das zeige sich auch im Wert der Praxen: Eine Hausarztpraxis, die nicht an den HzV-Verträgen teilnehme, sei inzwischen kaum noch zu verkaufen. Für Dr. Werner Baumgärtner, den Vorsitzenden von MEDI Baden-Württemberg, liegt der Vorteil des Vertragsmodells nicht nur in der einfacheren Abrechnung verglichen mit der EBM-Bürokratie. Weitere Pluspunkte sind das Fehlen von Budget- und Fallzahlbegrenzung. Die Aufnahme neuer Leistungen sei attraktiv, die kontaktunabhängigen Pauschalen sinnvoll.
Hausärzte werden gestärkt
Insgesamt beweise die Studie, dass die politische Vorgabe zur Umsetzung der HzV erfolgreich gelinge, wenn die regionale Versorgungsgestaltung selbst in die Hand genommen wird, bilanzierten die beiden Studienleiter die Ergebnisse. Hausarztverträge würden die medizinische Versorgung verbessern, die Rolle des Hausarztes als Gesundheitslotse stärken und zu einer spürbaren finanziellen Entlastung beitragen, indem Über-, Fehl- und Unterversorgung systematisch abgebaut würden.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (14) Seite 26-28
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.
