Anzeige

Blutige Entlassungen: Die Akten haben entschieden

Autor: Dr. Günter Gerhardt

Viele Ärzte haben schon entmutigt aufgegeben im Kampf gegen Entscheidungen nach Aktenlage. Viele Ärzte haben schon entmutigt aufgegeben im Kampf gegen Entscheidungen nach Aktenlage. © Photographee.eu – stock.adobe.com; MT
Anzeige

Warum entscheiden Ärzte, die nur die Akten kennen? Warum tun das nicht die behandelnden Ärzte? Über die Konkurrenz zwischen MDK und Arzt.

Als jemand, der seit 45 Jahren in unserem viel gepriesenen Gesundheitssystem tätig ist, kann ich leider nur immer wieder feststellen, dass die Gängelei der Ärzteschaft in Klinik und Praxis permanent zunimmt. Natürlich führt auch das – und darüber sollte sich die Politik im Klaren sein – zu einer Berufsverdrossenheit. Ärztinnen und Ärzte in Kliniken und Praxen sind frustriert, der schöne Arztberuf wurde und wird ihnen vergällt, sie üben lethargisch ihren Beruf aus, suchen nach Nischen, zählen die Tage bis zur Rente („Nach mir die Sintflut, die paar Jahre kriege ich noch rum“), gehen ins Ausland oder steigen einfach aus.

Wie ist das möglich? Es gehören ja immer zwei dazu. Einer, der gängelt, und einer, der sich gängeln lässt. Wir sind, ich muss es leider so sagen, willfähriger geworden, d.h. in würdeloser Weise bereit zu tun, was andere von uns fordern. Mag sein, dass es damit zusammenhängt, dass wir spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem wir äußern, Ärztin bzw. Arzt werden zu wollen, nur noch das tun, was man uns sagt, um das Ziel zu erreichen. Die Politik weiß das, und äußert sich öffentlich und mit Stolz dazu, leichtes Spiel mit uns zu haben.

Und wer gängelt uns? Sicher sind es auch unsere eigenen Selbstverwaltungen, also KVen und Kammern. Aber die möchte ich heute mal ausdrücklich nicht erwähnen, da wir hier z.B. durch Wahlen (an denen nur wenige teilnehmen) die Möglichkeit haben, etwas zu ändern. Nein, es sind – ich kann gar nicht oft genug darauf hinweisen – an vorderster Front die Krankenkassen mit ihrem MDK, die uns in Kliniken und Praxen die Freude am Beruf vergällen.

Eine Juristin des VdK hat mir gegenüber einmal ihr absolutes Unverständnis darüber geäußert, dass Ärztinnen und Ärzte des MDK, die die Patienten in der Regel nur nach Aktenlage „kennen“, entscheiden, was medizinisch indiziert ist. Und eben nicht die Klinikärzte oder die niedergelassenen Ärzte, die nah dran sind am Patienten, ihn oft über Jahre kennen. Da werden zum Teil haarsträubende, ja mitunter lebensbedrohende Entscheidungen getroffen, die einzig und allein das Ziel verfolgen, Geld einzusparen. Kliniken müssen unter der Knute des MDK-Patienten „blutig“ entlassen. Beantragt die Klinik dann für diesen Patienten eine Anschlussheilbehandlung (Reha) – lehnt der gleiche MDK die Maßnahme ab.

Krankenhausschließungen wegen angeblicher Misswirtschaft und Defiziten sind immer wieder Thema in der Presse. Diese Defizite sind das Ergebnis von Kürzungen der Krankenkassen mit ihrem Erfüllungsgehilfen, dem MDK. Einem mir bekannten Krankenhaus wurden letztes Jahr 6,6 Mio. € gekürzt für bereits erbrachte Leistungen.

Nicht systemrelevante Krankenhäuser verkraften solche Kürzungen oft nicht (andere Häuser wie beispielsweise Universitätskliniken sind systemrelevant und würden trotz der Defizite nie geschlossen). Zum Glück gehen hier dann mal Bürger aus dem Umkreis des Krankenhauses auf die Straße. Ärzte aus Kliniken und Praxen, Schwestern, Pfleger, MFA und die Verwaltungsangestellten fehlen leider – was Herrn Spahn ­ermutigt, dem für 2020 geplanten MDK-Reformgesetz noch eine Sanktionsstrafe von 25 % hinzuzufügen. Was nichts anderes heißt, als dass diese Strafe noch on top zur Kürzung dazukommt.

Von solchen Kürzungen sind wir Niedergelassenen noch verschont. Wir werden stattdessen mit immer mehr und umfangreicheren Formularen und Anträgen traktiert. Das Ziel: Wir sollen bestimmte Leistungen erst gar nicht beantragen, dann müssen sie auch nicht begutachtet werden. Und sogar das Ablehnen kann man sich dann sparen.

Beantragen wir aber eine Leistung wie beispielsweise eine Fahrt mit dem Taxi in die Praxis, die eine stationäre Einweisung verhindern könnte, wird uns eine stationäre Einweisung empfohlen und der „Taxischein“ abgelehnt. Und warum macht man das alles? Um zu sparen? Die Krankenkassen haben 30 Milliarden Euro auf der hohen Kante.

Anzeige