Junge Allgemeinmedizin kommentiert Die Videosprechstunde

Kolumnen Autor: Sandra Blumenthal

Wie blicken junge Ärztinnen und Ärzte auf die Hausarztmedizin? Wie beurteilen sie berufs- und gesundheitspolitische Entwicklungen?Sandra Blumenthal, Mitglied im Vorstand der Jungen Allgemeinmedizin Deutschland (JADE) und derzeit in der Weiterbildung zur Allgemeinärztin, kommentiert die Sorgen und Nöte des Hausarzt-Nachwuchses.

Nüchtern betrachtet ist die Videosprechstunde vorerst nichts anderes als ein Telefonat mit bewegten Bildern. Zurzeit wird verhandelt, welche Ärzte bei welchen Erkrankungen ab Juli 2017 dieses Medium einsetzen dürfen. Derweil wagen sich erste Krankenkassen in Selektivverträgen, beispielsweise die TKK mit den Dermatologen, bereits an den Praxistest. Bei dem aktuellen Gesetzentwurf zur Videosprechstunde wird weiterhin mindestens ein vorangegangener Arzt-Patienten-Kontakt vorausgesetzt. Vor der ersten Online-Konsultation müssen wir unsere Patienten also mindestens einmal persönlich gesehen und untersucht haben. So sieht es das ärztliche Fernbehandlungsverbot vor. Die Videosprechstunde eignet sich somit beispielsweise zur Verlaufskontrolle, für Gespräche mit pflegenden Angehörigen oder zur Beruhigung besorgter Patienten. Dinge, die wir heute schon am Telefon leisten. Nur eben mit Bild. Das heißt nicht, dass wir unsere Patienten zukünftig per Skype aus dem Café oder ICE behandeln dürfen. Es heißt auch nicht, dass wir unsere Hausbesuche einstellen und die Menschen nur noch per Webcam besuchen.

Lobbyisten aus dem Bereich der Internetmedizin geht das alles aber nicht weit genug. Ihnen schwebt der "Doc around the clock" vor, ausgestattet mit Webcam und Online-Rezeptblock. Gerne wird auch auf Europas größten, in der Schweiz ansässigen telemedizinischen Dienstleister MedGate verwiesen. MedGate wirbt mit Videokonsultationen bei über 70 Ärzten bei 24-stündiger Erreichbarkeit an 7 Tagen die Woche. In einem Animationsfilm stellt das Unternehmen seine Vorzüge dar: Eine Frau entwickelt nach einem Ausflug zum See Fieber und Kopfschmerzen und wendet sich umgehend per Video an die Ärzte von MedGate. Dort kann man ihr online mit Tipps aus der Hausapotheke rasch helfen. Tag und Nacht.

Wer hat Interesse an der Internetmedizin?

Brauchen wir das wirklich? Der digitale Doc, so verfügbar wie E-Books und Kleidung bei Amazon oder Filme und Serien bei NetFlix? Onlineportale, die immer mehr Nachfrage generieren, um immer mehr Umsatz zu erwirtschaften? Sollten wir nicht stattdessen, gemäß den DEGAM-Zukunftspositionen, Lotsen für unsere Patienten sein? Lotsen, die nicht nur durch das Gesundheitssystem navigieren, sondern auch Patienten wieder zu Experten machen. Experten für ihren Körper, die auch dank ärztlicher evidenzbasierter Aufklärung nicht 24 Stunden am Tag am Doktor-Smartphone kleben? Wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, dass an der Einführung digitaler Medizin nicht nur Ärzte und Patienten ein Interesse haben. Mit Internetmedizin lässt sich viel Geld verdienen. Jameda, eines der größten Onlineportale für Arztbewertung und Terminvermittlung, hat im Januar 2017 Patientus gekauft, den führenden Anbieter für Online-Videokonsultationen. Jameda gehört zur Burda Digital Gruppe, die auch Portale wie HolidayCheck oder Xing betreibt. Aber Patientenversorgung ist mehr als ein Daumen hoch für das richtige Hotel! Lassen Sie uns an dieser Stelle wachsam bleiben – und wenn nötig Grenzen ziehen.

Sandra Blumenthal
Ärztin in Weiterbildung


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (5) Seite 34
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.