Berufsperspektive Hausarzt "Hausarzt wird man nicht mal eben so"

Gesundheitspolitik Autor: Julian Wangler, Michael Jansky

© Sergey Nivens - Fotolia

Es ist eine Tatsache, dass die Allgemeinmedizin im Studienverlauf an Attraktivität einbüßt. Zum Ende des Studiums entscheidet sich nur noch ein geringer Teil der Absolventen für eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Die Universitätsmedizin Mainz will diesem Trend nun entgegenwirken und startet dazu ein Projekt, um bei den Studierenden ein nachhaltiges Interesse für den Hausarztberuf zu wecken und wachzuhalten. Auftaktinterviews mit den ersten Teilnehmern zeigen, welche Unsicherheiten und Sorgen angehende Mediziner mit Blick auf eine mögliche Niederlassung als Allgemeinarzt haben.

Für die kommenden Jahre sehen manche Regionen in Deutschland einem dramatischen Schwund an Hausärzten entgegen – es besteht die Gefahr von Versorgungslücken. Aus diesem Grund sind einige Universitäten bereits kreativ geworden: Gestartet wurde eine Reihe von Initiativen, um den Hausarztberuf zu stärken. Nun hat das Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie (ZAG) der Universitätsmedizin Mainz ein entsprechendes Programm initiiert. Von der Stiftung Perspektive Hausarzt unterstützt, soll das Projekt "Mainzer Allgemeinmedizin – Begleitetes Studieren" (MA-BS) einen Beitrag leisten, um mehr Medizinstudierende für eine hausärztliche Tätigkeit zu begeistern (siehe Kasten).

Das Mainzer MA-BS-Programm

Mit Beginn des Wintersemesters 2016/17 werden jedes Semester 8 bis 10 Projektteilnehmer vom 5. bis einschließlich 10. Semester durch die klinischen Abschnitte des Studiums begleitet. MA-BS verfolgt dabei verschiedene Ziele. Zum einen sollen Studierende frühzeitig und kontinuierlich mit Patienten in Kontakt kommen sowie praktisches Know-how erlernen, z. B. diagnostische und therapeutische Kompetenzen, aber auch praxisrelevante technische Verfahren, die im regulären Medizinstudium oft nur gestreift werden. Hierzu werden MA-BS-Teilnehmer in eine Mentorenpraxis eingebunden, in der sie mehrere Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern zur Langzeitbegleitung zugeteilt bekommen und diese einmal im Quartal mitbetreuen. Zum anderen sollen Unsicherheiten und Sorgen im Hinblick auf eine mögliche Tätigkeit als Allgemeinarzt diskutiert werden.


Ergänzend sind Exkursionen zu Praxen in ländliche Regionen vorgesehen. Dabei haben Landärzte, Studierende und Gemeindevertreter die Gelegenheit zum direkten Austausch. MA-BS-Teilnehmer lernen die umfangreichen Kontaktpunkte zwischen Allgemeinmedizin und weiteren Heilberufen kennen, bspw. in Form von Praxistagen in der physikalischen Therapie, in Rehabilitationseinrichtungen oder in Pflege- und Altenheimen. Darüber hinaus sollen die Studierenden vom engen Austausch mit den Hausärzteverbänden, KVen und wissenschaftlichen Gesellschaften profitieren.

"Es sind neue Herangehensweisen zur Förderung des Hausarztberufs gefragt", sagt Prof. Dr. med. Michael Jansky, Lehrstuhlinhaber für das Fach Allgemeinmedizin und Direktor des Zentrums für Allgemeinmedizin und Geriatrie an der Universitätsmedizin Mainz. "Um mehr Studierende für die Allgemeinmedizin zu begeistern, müssen wir zunächst wissen, was dem Berufsziel Hausarzt entgegensteht. Die intensiven Gespräche, die wir mit den Projektteilnehmern führen, ermöglichen uns, praxis- und bedarfsorientierte Lösungen anzubieten."

Hausarztberuf ist nicht attraktiv genug

So zeigte sich in den Interviews mit den ersten Teilnehmern, dass alle Projektteilnehmer eine hohe Motivation in Bezug auf eine hausärztliche Tätigkeit mitbringen. Als besonders attraktiv am Hausarztberuf werden die ganzheitliche Medizin, der intensive Patientenkontakt und die Patientenbindung, das große Spektrum an Themen und Behandlungsfeldern sowie die besonderen Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesehen.

Die persönliche Sichtweise des Hausarztberufs steht bei allen Studierenden mehr oder weniger stark im Kontrast zur allgemein erlebten Attraktivität des Hausarztberufs. Ungeachtet ihrer persönlichen Einstellung gehen nahezu alle Teilnehmer davon aus, dass der Hausarztberuf aktuell aus Sicht von Medizinstudierenden nicht ansprechend genug erscheint. Begründet wird dies vorwiegend mit dem eher auf Spezialisierung ausgerichteten Studium, den Karriereaussichten, der Bezahlung im Verhältnis zu anderen Fachrichtungen, der Arbeitsbelastung, der Verantwortung für die eigene Praxis sowie zeitraubenden Abrechnungsverfahren.

"Das ist zwiespältig, glaube ich. Ich denke jetzt nicht, dass dieser Beruf übermäßig beliebt ist. Das mag am Geld liegen, das man verdient, und an den Karriereaussichten. Einmal Hausarzt, immer Hausarzt. Und viel weniger stressig ist der Job auch nicht." (m)

"Ja, ich glaube, heutzutage ist er nicht mehr so angesehen, auch nicht mehr unter den Ärzten. Wenn ich mich so bei meinen Kommilitonen umhöre: Ich kenne da niemanden, der sich vorstellen kann, Allgemeinmediziner zu werden. Also, es tendiert schon alles eher in Richtung Krankenhaus oder Karriere." (w)

Angst vor Überforderung ist groß

Als wesentlicher Grund, warum sich nach Abschluss des Studiums vergleichsweise wenige Medizinstudierende vorstellen können, Hausarzt zu werden, sprechen die Teilnehmer Unsicherheitsfaktoren an. Diese seien dem Hausarztberuf inhärent und auch für einen selbst ausschlaggebend, wenn es darum gehe, sich später einmal tatsächlich für die Weiterbildung zum Allgemeinarzt zu entscheiden.

"Ist Hausarztmedizin attraktiv? Ich glaube, für viele nicht. […] Weil ich da in verschiedener Hinsicht ein durchaus großes Risiko eingehe. Wenn ich einfach ins kalte Wasser geworfen werde und nicht weiß, wie ich diese Risiken handeln kann, schrecke ich doch vor einer solchen Berufsperspektive zurück. Hausarzt wird man nicht mal eben so." (w)

Dominierend bei den Sorgen sind verschiedene Fragen des Praxismanagements sowie der Praxisführung – von der Übernahme über Personalführung bis hin zu Fragen der Abrechnung. Nahezu alle Studierenden äußerten die Befürchtung, mit einer eigenen Praxis womöglich überfordert und orientierungslos zu sein, da sie das Studium ihrer Meinung nach nicht adäquat auf eine solche Verantwortung vorbereite.

"Ich mache sechs Jahre Studium, und danach heißt es dann: So, jetzt bist Du in der Praxis. Sieh zu, wie Du klarkommst. Und das ist ein Problem, dass ich, wenn ich mit dem Studium fertig bin, plötzlich eine Praxis leiten soll. Ohne dass ich irgendetwas davon gehört habe, wie das gehen soll. […] Klar, Patienten behandeln ist das eine. Aber eine Praxis mit allem, was dazugehört. Das ist eine große Unsicherheit." (w)

"Praxisführung, Abrechnung mit den Krankenkassen … Das sind Sachen, da habe ich zumindest Angst vor. Da fühlt man sich unsicher und unvorbereitet. Und das ist ein Grund, der einen abschreckt, dass man sagt: Ich gehe doch lieber ins Krankenhaus. […] Dieser Kampf zwischen Patientenversorgung, Abrechnung, Krankenkassen. […] Wie kann ich mich in diesem Dschungel da zurechtfinden?" (m)

"So eine Hausarztpraxis muss ja auch geführt werden. Also, ein bisschen ein BWL-Aspekt ist da auch mit drin. Das macht man auch kaum im Studium. […] Und ich glaube, diese ganze Frage ‚Praxisführung und so‘, das schleppen die Leute lange mit sich herum, als Sorge meine ich. Und vielleicht hält es die Leute zum Teil auch davon ab, sich an eine eigene Praxis heranzuwagen und dann doch etwas ganz anderes zu machen." (m)

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor, der bei einer beträchtlichen Zahl der Teilnehmer zur Sprache kam, besteht in der Fähigkeit, sich als Hausarzt von seinem Umfeld in gesunder Weise abzugrenzen. Es wird als große Herausforderung empfunden, die richtigen Strategien zu finden, als Hausarzt eine intakte Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten, ohne seine Patienten dabei zu vernachlässigen.

"Als Hausarzt, gerade auf dem Land, hat man ein bisschen auch eine Priesterfunktion. Rund um die Uhr. Und wenn halt jemand nach Ende Deiner Öffnungszeit vorbeikommt, weil das Kind Durchfall hat, dann musst Du Dich halt damit beschäftigen. […] Aber wo verläuft die Grenze? Ich kann doch nicht die ganze Zeit, rund um die Uhr, verfügbar sein. Wo sage ich ‚Nein‘, und wie tue ich das?" (w)

"Du therapierst ja die ganze Familie als Hausarzt. […] Aber ich muss ja selber damit klarkommen. Ich bin ja auch ein Mensch, ich habe ja auch ein Leben. […] Die Leute wissen auch, wo Du wohnst im Dorf. Und dann kommen die auch mal sonntags klingeln. Und da muss man sich abgrenzen. Das ist ein großes Pro-blem. Wo ist die Grenze? Ich muss lernen, mich abzugrenzen." (w)

Kritik am bestehenden Medizinstudium

Die Projektteilnehmer übten von sich aus in verschiedenen Zusammenhängen Kritik am bestehenden Medizinstudium. Dieses sei unter anderem ursächlich dafür, dass es Probleme beim hausärztlichen Nachwuchs gebe. Zum einen sei das Studium zu stark auf eine "Spezialistenkarriere" hin ausgerichtet und die Allgemeinmedizin strukturell zu schwach im Curriculum verankert.

"Ich glaube, dass am Ende des Studiums die Facharzttendenz einfach sehr ausgeprägt ist, und dann macht man nur noch das, was man kennt. […] Dass dieser Wunsch so stark abnimmt [bei den Studierenden], liegt glaube ich daran, dass die Allgemeinmedizin doch sehr unterrepräsentiert ist im Verlauf des Studiums." (w)

"Strategisch ist die Allgemeinmedizin im Studium nicht unbedingt so toll platziert. […] Ich denke, die Allgemeinmedizin kommt zu spät und zu kurz." (m)

Doch um ein stärkeres Interesse zu wecken, müsse die Allgemeinmedizin nicht nur quantitativ präsenter im Lehrangebot sein, sondern auch eine frühzeitige, stärkere und kontinuierliche Betonung von Praxisveranstaltungen sei notwendig.

"Ich denke, das mangelnde Interesse vieler Studierender am Hausarztberuf hat damit zu tun, dass man mit der ganz praktischen Hausarztmedizin doch relativ wenig in Kontakt kommt. Das ist irgendwie nicht so Teil des Programms. Man könnte daraus vermutlich ein ganz eigenes Studium machen, weil die Hausarztmedizin ganz eigene Anforderungen stellt." (w)

"Der Witz ist ja: Wir werden ja eigentlich zum Allgemeinmediziner ausgebildet im Studium, denn wir spezialisieren uns noch nicht, aber wenn wir etwas nicht kennenlernen, dann ist es der Praxisalltag und der Alltag eines Hausarztes und die Herausforderungen, mit denen er täglich zu tun hat. Das ist komisch. […]" (w)

Das Fazit der Teilnehmer ist eindeutig: Selbst Personen, die mit einer natürlichen Begeisterung für die hausärztliche Tätigkeit ins Studium starten, werden durch dessen Ausrichtung am Ende in eine spezialistische Perspektive gedrängt.

Das Potenzial der Allgemeinmedizin fördern

Genau dieser Tendenz möchte das Mainzer Projekt MA-BS etwas entgegensetzen. Die Ergebnisse der Interviews werden in das bedarfsorientierte Angebot einfließen, das MA-BS den Studierenden an die Hand geben will.

"Die Ergebnisse der Interviews haben uns gezeigt, dass trotz umfangreicher Bemühungen mit hoher Präsenz im vorklinischen und klinischen Abschnitt des Medizinstudiums die derzeitige Form nicht ausreichend ist, um auf eine hausärztliche Tätigkeit vorzubereiten – weder in Bezug auf die hausärztliche Diagnostik noch auf den Umgang mit Praxis oder Patienten", stellt Prof. Dr. Jansky fest. "Darin liegt eine gewisse Verunsicherung für spätere berufliche Entscheidungen. Am Ende geht uns wichtiges Potenzial verloren. Genau dieses Potenzial wollen wir mithilfe von MA-BS fördern und wachhalten."

Prof. Dr. Jansky und sein Team von der Abteilung Allgemeinmedizin sind zuversichtlich, dass das MA-BS-Programm positive Effekte erzielen und das Interesse von Studierenden am Hausarztberuf langfristig unterstützen wird.


Autoren:
Dr. Julian Wangler, Prof. Dr. Michael Jansky
Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz
55131 Mainz

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (15) Seite 38-40
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.