SUV raus aus der Stadt Hohe Motorhauben erhöhen Verletzungsgefahr

Gesundheitspolitik Autor: Angela Monecke

Bei einem Unfall trifft ein Fahrzeug mit hoher Front einen erwachsenen Fußgänger in der Regel oberhalb seines Körperschwerpunkts, wodurch oft zuerst lebenswichtige Organe verletzt werden. Bei einem Unfall trifft ein Fahrzeug mit hoher Front einen erwachsenen Fußgänger in der Regel oberhalb seines Körperschwerpunkts, wodurch oft zuerst lebenswichtige Organe verletzt werden. © scharfsinn86 – stock.adobe.com

Weil Motorhauben immer höher werden, steigt auch das Risiko für schlimme Verletzungen und Todesfälle, warnt die Deutsche Umwelthilfe. Sie will SUV und Pick-ups in Innenstädten deshalb verboten sehen.

SUV sind fürs Abenteuer gebaut. Doch fast ausschließliche Aufgabe der heutigen Stadtpanzer, ob in Bielefeld, Buxtehude oder Bauzen: Angeberkarre, Einkaufsvehikel, Familienkutsche. Viele (Groß-)Städter sind von den Luxusautos und Parkplatzräubern (siehe Kasten rechts) nur noch genervt. SUV & Co.­ gelten zudem als Verursacher vor allem schwerer Verletzungen, wenn nicht tödliche Waffen, wie so mancher Horror-Unfall mit Schwerverletzten und Toten in Berlin, Stuttgart oder Düsseldorf bereits bitter vor Augen geführt hat. Dass die Motorhauben neuer Autos in Europa im Schnitt noch um etwa einen halben Zentimeter pro Jahr wachsen, wirkt vor diesem Hintergrund makaber. Übergroße SUV und Pick-ups in Innenstädten sofort verbieten will deshalb die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und beruft sich auf eine neue Studie der Nichtregierungsorganisation Transport & Environment (T&E).

Verkehrsmedizin empfiehlt passive, defensive Fahrweise

Aus verkehrsmedizinischer Sicht lässt sich dem Risiko schwerer Unfälle durch drei zentrale Maßnahmen gekonnt gegensteuern:

  1. infrastrukturelle Anpassungen: bessere Strukturierung des Straßenraums, klare Trennung von motorisiertem und nichtmotorisiertem Verkehr, Kreuzungsumbauten zur Reduktion von Konfliktpunkten, verstärkter Einsatz von Kreisverkehren statt Ampelanlagen
  2. adaptive Geschwindigkeitsregulierungen in Städten, die durch eine bedarfsangepasste Verkehrsinfrastruktur und neue Technologien unterstützt werden
  3. kommunikationsförderung im Straßenverkehr: Verbesserung der Sichtbeziehungen und Interaktionsmöglichkeiten zwischen Verkehrsteilnehmenden, Förderung einer passiven und defensiven Fahrweise, besonders seitens der stärkeren Verkehrsteilnehmenden

Diese Forderungen berühren alle für Verkehrspolitik zuständigen Ebenen: den Bund, der die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen muss (StVO, Geschwindigkeitsregeln, Fahrausbildung), die Länder, die für Bildung und landesweite Programme verantwortlich sind (Verkehrserziehung in Schulen mit Unterstützung der Polizei) und die Kommunen, die neue Vorgaben im Straßenraum konkret umsetzen müssen, etwa durch infrastrukturelle Anpassungen (neue Verkehrslenkung, Schulstraßen) und lokale Kampagnen.

Die Untersuchung zeigt, dass die mittlere Höhe der Motorhaube eines Neuwagens im europäischen Raum seit 2010 von etwa 77 auf heute knapp 84 Zentimetern gestiegen (EU, Vereinigtes Königreich, Norwegen) ist. Deutschland liegt hier leicht unter dem europäischen Schnitt (76,5 cm in 2020 und 82,3 cm in 2024). Immer mehr Autofahrende blicken sogar auf über einen Meter hohe Hauben; bei Monster-Pick-ups wie dem RAM sind es bis zu 1,30 Meter. Der Grund: Mehr SUV werden verkauft, gesetzliche Vorgaben zur Höhe der Motorhauben fehlen, so die Organisation.

Crash mit SUV enden häufiger tödlich

Dabei steigt das Risiko eines tödlichen Unfalls für Fußgängerinnen und -gänger, Radfahrende und andere ungeschützte Verkehrsteilnehmende schon bei einer 10 cm höheren Motorhaube (von 80 auf 90 cm) um 27 %, wie eine weitere Auswertung aus Belgien ergab. Diese nahm 300.000 Unfälle unter die Lupe. 

Ein weiteres Problem der Allrad-Monster: Bei einem Unfall trifft ein Fahrzeug mit hoher Front einen erwachsenen Fußgänger in der Regel oberhalb seines Körperschwerpunkts, wodurch oft zuerst lebenswichtige Organe verletzt werden. „Während z.B. ein erwachsener Mann mit stabiler Statur hier im Brustbereich getroffen wird, kann ein Kind oder eine kleinere Person im Kopfbereich von der Fahrzeugfront erfasst werden – mit hohem Risiko für Schädel-Hirn- oder Polytraumata“, präzisiert PD Dr. Christopher Spering, Leiter der Sektion Prävention der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), die Verletzungsmuster, die immer häufiger auch auf seinem Tisch landen. Zwar hätte die Fahrzeugindustrie in den letzten Jahrzehnten „erhebliche Fortschritte bei der Gestaltung der Frontpartien erzielt, wie verformbare Motorhauben, verdeckt angebrachte Scheibenwischer, optimierte Windschutzscheibenstrukturen und gezielt platzierte Versteifungselemente“, so Dr. Spering. Diese Maßnahmen könnten die Aufprallenergie teilweise ableiten und so Verletzungen reduzieren. „Dennoch bleibt die Höhe der Motorhaube ein gravierender Risikofaktor – insbesondere bei Kollisionen mit Kindern, älteren Menschen oder Radfahrenden.“

Auch Insassen normaler Pkw haben deutlich höheres Risiko 

Je höher die Motorhaube, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass eine Person bei einem Zusammenstoß mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 km/h unter das Auto geschleudert und nicht zur Seite geschoben wird. „Autos mit sehr hohen Motorhauben sind fahrende tote Winkel. Inzwischen fahren Autos durch unsere Städte, die so groß sind, dass selbst ein neunjähriges Kind vor der Motorhaube nicht mehr zu sehen ist”, kritisiert Sebastian Bock, Geschäftsführer bei T&E Deutschland. 

Zumal die höheren Motorhauben auch für Insassen herkömmlicher Autos gefährlich sind. Denn kollidiert ein SUV mit seiner hohen Frontpartie mit einem normalen Pkw, erhöht sich das Risiko, schwer verletzt zu werden für die Person, die im Wagen sitzt, um 20 bis 50 %. 

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurde im zurückliegenden Jahr alle 19 Minuten ein Kind im Straßenverkehr verletzt oder getötet. Rund 27.260 Kinder unter 15 Jahren verunglückten 2024 bei Verkehrsunfällen (2023: 27.240). Die Zahl an getöteten Mädchen und Jungen stieg gegenüber 2023 an – von 44 auf 53. Die meisten Kinder, die 2024 im Straßenverkehr verunglückten, saßen im Auto (35 %; besonders betroffen: die unter 6-Jährigen mit 58 % in 2024, die mit ihren Eltern unterwegs waren), 33 % auf einem Fahrrad, 21 % gingen zu Fuß und waren häufig auf dem Weg zur Schule, als der Unfall passierte. 

Laut ­Sebastian Bock fordern seine Organisation sowie weitere Unterstützende wie die Clean Cities Campaign von der EU, die Höhe der Motorhaube bis 2035 als Teil eines Reformpakets zu begrenzen und weitere Untersuchungen anzustreben. Die lange Vorlaufzeit für eine solche Regulierung würde auch den deutschen Autoherstellern genug Zeit geben, um Produktionsabläufe und das Design anzupassen. 

Dickes Auto, fette Parkgebühr?

In 150 deutschen Städten wie Köln, Düsseldorf, Mainz und Wiesbaden hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Juni 2024 Anträge zur Einführung höherer Parkgebühren und -beschränkungen für überdimensionierte Fahrzeuge (höhere Staffelung nach Fahrzeuggröße) gestellt. Weitere Antragsstellungen folgten im August 2024 in 174 zusätzlichen Städten.

In Koblenz wurde inzwischen die Anwohnerparkausweis-Gebühr nach Fahrzeuggröße erhöht, auch Aachen folgte diesem Beispiel. Tübingen hat schon früher reagiert, dort ist seit 2022 der Anwohnerparkausweis für SUV (Leergewicht ab ca. 1,8 t) teurer – statt 30 Euro müssen SUV-Fahrende knapp 180 Euro pro Jahr hinblättern.

Zwar lässt die Rechtslage solche Maßnahmen zu, schränkt sie aber auch ein. So stellte das Bundesverwaltungsgericht im Juni 2023 klar, dass Staffelungen nach Fahrzeuggröße zwar zulässig, aber nicht überzogen sein dürfen und eine unzulässige Ungleichbehandlung vermieden werden müsse. In Bayern, wie etwa in München, ist nicht die Stadt zuständig für die Höhe der Parkgebühren – dort gelten feste Landeslimits von maximal 0,50 Euro („normal“) bzw. 1,30 Euro pro halbe Stunde (bei hohem Parkdruck).

Eine Pariser Lösung ist dort nicht umsetzbar. In Frankreichs Hauptstadt wurde im Februar 2024 mehrheitlich per Bürgerentscheid beschlossen, die Parkgebühren für schwere SUV deutlich zu erhöhen. In der Innenstadt kostet das Parken eines SUV nun 18 statt 6 Euro pro Stunde.

Elektro-SUV gelten als Stromfresser

Die DUH setzt ebenfalls auf ordnungsrechtliche Vorgaben, die Autos wieder kleiner und effizienter machen. Dem entgegen stehe jedoch das neue Steuerpaket der Bundesregierung, kritisiert DUH-Chef Jürgen Resch: Hochpreisige Elektroautos, die steuerlich stärker entlastet werden sollen, ohne dass ihr Energieverbrauch oder ihre Effizienz im Vergleich zu Verbrenner-SUV im Fokus stünden. Damit fördere man zusätzlich „teure Monster-SUV und Luxus-Dienstwagen, die zwischen 70.000 und 95.000 Euro kosten und viel zu viel Strom verbrauchen“. Deren große Akkus machen die Wagen besonders schwer –  700 PS sind nötig, um durchstarten zu können. 

Die DGOU plädiert dafür, in der Verkehrsplanung endlich Unfallfolgen stärker zu berücksichtigen – also auch Maßnahmen wie Tempolimits in Städten oder die Förderung kleinerer Fahrzeuge (siehe Kasten unten). „Das heutige Verkehrsgeschehen ist geprägt durch eine hohe Dichte und Vielfalt an Verkehrsteilnehmenden: E-Bikes, Lastenräder mit Elektroantrieb, E-Scooter und klassische Radfahrende teilen sich oft enge Straßenräume mit motorisierten Fahrzeugen. Diese räumliche Enge erschwert die direkte Kommunikation im Verkehr“, ergänzt Dr. Spering, der auch Vorsitzender des Vorstandsausschusses „Verkehrsmedizin“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie im Deutschen Verkehrssicherheitsrat ist. Besonders kritisch seien hier Situationen, in denen größere Fahrzeuge wie SUV beim Abbiegen immer wieder Radfahrende oder Fußgängerinnen und -gänger im toten Winkel übersehen, warnt der Oberarzt, der an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der Universitätsmedizin Göttingen in jüngster Zeit vermehrt solche Unfallopfer behandelt. Als wirksame technische Gegenmittel gelten Assistenzsysteme wie Totwinkelassistenten in den Seitenspiegeln oder Fußgängererkennungssysteme in den Frontsensoren auch bei Nachtbetrieb. „Diese werden allerdings immer noch nicht serienmäßig verbaut. Das muss sich ändern“, betont er.

Medical-Tribune-Beitrag

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