Ressourcenverteilung Krankenkassen mit besorgniserregender Finanzlage

Gesundheitspolitik Autor: Vision Zero e.V.

Das Solidarsystem der GKV sichert allen Patienten unabhängig von Status eine leitliniengerechte Versorgung. Das Solidarsystem der GKV sichert allen Patienten unabhängig von Status eine leitliniengerechte Versorgung. © Kiattisak – stock.adobe.com

Aufgrund des Solidarsystems der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden Therapiekosten für jeden erkrankten Versicherten übernommen. Die Übernahme ist unabhängig von Alter, Status, Therapiekosten oder sonstigen Kriterien. Darin liegt ein großer Vorteil im Vergleich zu den Gesundheitssystemen anderer Länder. Gleichzeitig müssen gesetzliche Krankenkassen als Trägerinnen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland dafür sorgen, für ihre Mitglieder Beitragsstabilität unter Beachtung einer zweckmäßigen und ausreichenden Gesundheitsversorgung herzustellen. 

Speziell im Bereich der onkologischen Erkrankungen wird dieses Spannungsfeld deutlich sichtbar. Patienten benötigen eine leitliniengerechte und qualitativ hochwertige Versorgung für teils immer noch lebensbedrohliche Erkrankungen. Zahlreiche Neueinführungen im Indikationsgebiet der Onkologie zeigen die Innovationsdynamik in diesem Markt.

Die letzten Jahre waren gleichzeitig von enormen Ausgabensteigerungen geprägt, die unter anderem durch Abschmelzen der Mindestrücklagen sowie das Auflösen weiterer Finanzreserven kompensiert wurden. Da dies nicht kostendeckend war, mussten die Beitragssätze zum Teil deutlich erhöht werden. Trotz der zahlreichen und drastischen Erhöhungen ist eine kurzfristige Stabilisierung der Beitragssätze nicht absehbar, denn auch im Jahr 2025 mussten die ersten Krankenkassen erneut zu diesem Mittel greifen, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Diese Entwicklung belastet nicht nur die Krankenkassen und Sozialsysteme, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes.

Ungebremste Ausgabendynamik im Bereich Arzneimittel

Die Ausgaben für Arzneimittel stellen einen der Treiber der ungebremsten Kostendynamik dar. So stiegen die Ausgaben der gesamten GKV für Arzneimittel im Jahr 2024 gegenüber 2023 um fünf Milliarden Euro, ein Plus von knapp 10 %. Selbst unter Berücksichtigung des Wegfalls des erhöhten Herstellerabschlages, welcher von vornherein auf das Jahr 2023 begrenzt war, wachsen Arzneimittelausgaben unter den großen Ausgabenpositionen der GKV überproportional stark an. Der AMNOG‑Report 2024 der DAK‑Gesundheit zeigt, dass diese Entwicklung insbesondere auf Preis‑ und Mengensteigerungen bei patentgeschützten Arzneimitteln zurückzuführen ist. Bedenklich dabei ist, dass patentgeschützte Arzneimittel mittlerweile über 50 % der gesamten Ausgaben benötigen, ihr Versorgungsanteil (in Tagesdosen) aber deutlich unter 10 % liegt. Demgegenüber werden mehr als 90 % der Tagesdosen und damit der überwiegende Teil der Versorgung durch Generika getragen. Die ungebremste Ausgabendynamik im patentgeschützten Markt zeigt deutlich, dass die derzeitigen Verteilungsmechanismen ineffizient sind. Denn während wir in Deutschland nahezu jedes von der EMA zugelassene Produkt in Rekordzeit verfügbar haben, rücken Lieferunfähigkeiten und Versorgungsengpässe bei etablierten Generika die Versorgungslage der breiten Masse an Versicherten in den Fokus.

Da die dem System zur Verfügung stehenden Gelder begrenzt sind, entsteht ein Konflikt bezüglich der Allokation. Denn beide Märkte, patentgeschützte Arzneimittel und Generika, sind aufgrund ihrer Entwicklungen, aber auch ihrer Ansprüche und Erwartungen bezüglich der Versorgung fast unabhängig voneinander zu betrachten. Bei den patentgeschützten Arzneimitteln hat Deutschland den Anspruch, Versicherten nicht nur den Zugang zu den neuesten innovativen Produkten zu ermöglichen, sondern zusätzlich diese möglichst schnell zur Verfügung zu haben. Bei den Generika hingegen steht die Sicherstellung der Versorgung im Mittelpunkt und damit die Vermeidung von Lieferunfähigkeiten bzw. Versorgungsengpässen.

Bisherige Maßnahmen des Gesetzgebers größtenteils wirkungslos

Der Gesetzgeber hat versucht, mit unterschiedlichen Maßnahmen den Herausforderungen zu begegnen. Die Ausgabendynamik des patentgeschützten Marktes sollte das GKV‑Finanzstabilisierungsgesetz (GKV‑FinStG) bremsen. Durch das Gesetz wurden Abschläge auf Kombinationstherapien und Leitplanken für die Preisfindung eingeführt sowie die Wirkung des Erstattungsbetrags auf den siebten Monat festgelegt. Zudem wurde die Umsatzschwelle zur Vollbewertung von Orphan Drugs reduziert. Diese Maßnahmen haben vor allem das AMNOG‑System komplizierter gemacht. Gleichzeitig blieben, wie durch den AMNOG‑Report prognostiziert, die Einsparungen deutlich hinter den Erwartungen des Gesetzgebers zurück, und das namensgebende Ziel der Stabilisierung der Finanzen wurde verfehlt. Lediglich die zeitlich begrenzte Erhöhung des Herstellerabschlags zeigte einen sichtbaren, wenngleich kurzzeitigen Effekt. Im Zuge des Medizinforschungsgesetzes (MFG) wurden zum einen die Leitplanken, von denen ggf. eine langfristige Wirkung hätte ausgehen können, untergraben. Zum anderen hat die Einführung der Möglichkeit eines geheimen Erstattungsbetrags das AMNOG‑System weiter verkompliziert.

Aufseiten der Generika war der Gesetzgeber durch das Arzneimittel‑Lieferengpassbekämpfungs‑ und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) bemüht, die Versorgungssituation zu stabilisieren und Lieferunfähigkeiten zu verringern. Die in diesem Zusammenhang getätigten Investitionen in den Generika‑Markt, beispielsweise durch die Aufhebung von Festbeträgen und die Möglichkeit der Preiserhöhungen, die durch die Krankenkassen getragen wurden, zeigten jedoch keine nachhaltigen Effekte. Dies unterstreicht die Bedeutung eines gemeinsamen europäischen Weges, um resiliente Lieferketten zu finden und die Arzneimittelproduktion in Europa zu fördern.

Intelligente Allokation der Ressourcen als Herausforderung

Das deutsche Gesundheitssystem steht vor dem schwierigen Spagat, weiterhin innovative Therapien für ihre Versicherten schnellstmöglich zugänglich zu machen und gleichzeitig die nachhaltige Versorgung mit Generika sicherzustellen. Da die dafür verfügbaren Gelder begrenzt sind, wird die intelligente Allokation der Ressourcen in der Zukunft das zentrale Thema sein.

Hinzukommt, dass die aktuelle Ausgabendynamik im Bereich der Arzneimittel auf eine generelle Dysbalance von Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen trifft, welche kurzfristiges Handeln erforderlich macht. Um Zeit zu gewinnen, um nachhaltige Veränderungen sinnvoll auszuarbeiten und die Spanne zu überbrücken, bis diese wirken, wird kein Weg an schnell wirksamen Maßnahmen wie einer erneuten Erhöhung des Herstellerabschlags vorbeiführen. Um der ungebremsten Ausgabendynamik im patentgeschützten Markt entgegenzuwirken, wird auch eine Reform des AMNOG‑Systems notwendig sein. Ziel sollte es sein, dass sich das AMNOG wieder an seiner ursprünglichen Aufgabe orientiert und Preise für Arzneimittel anhand ihres nachgewiesenen Nutzens findet. In diesem Zusammenhang sollte das AMNOG nicht nur wieder verschlankt werden, sondern es bedarf einer Diskussion über eine Neudefinition des Begriffes „Innovation“. Zusätzlich müssen späte Nutzenbewertungen inkludiert werden, um den realen Nutzen der Arzneimittel mittels datenbasierter Analysen und evidenzbasierter Bewertungsverfahren zu ermitteln.

Zur Sicherung der Versorgung mit Generika sollte neben dem europäischen Weg geprüft werden, ob beispielsweise Datenmodelle zur Vorhersage von Lieferunfähigkeiten genutzt werden können. Erforderlich ist hierfür eine verpflichtende Transparenz der Hersteller und Großhändler.

Abschließend muss eine klare Trennung von Standort‑ und Gesundheitspolitik gezogen werden. So muss eine Förderung des Wirtschafts‑ und Produktionsstandortes, unabhängig ob patentgeschützter Markt oder Generika‑Markt, nicht durch die Sozialsysteme, sondern gesamtgesellschaftlich gegenfinanziert werden.

Quelle:
Vision Zero Magazin Nr.1/25

Thomas Bodmer, Stellv. Vorsitzender des Vorstandes, DAK-Gesundheit Thomas Bodmer, Stellv. Vorsitzender des Vorstandes, DAK-Gesundheit © zVg