Die Achillesferse Europas Pro Generika warnt in China-Analyse vor möglichen Lieferausfällen
Die Verlagerung der Arzneimittelproduktion in den asiatischen Raum birgt hohe Ausfallrisiken, warnen Kritiker seit Jahren.
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Politisch sind die Risiken durch die Verlagerung der Arzneimittelproduktion in den asiatischen Raum längst erkannt. Elf EU-Gesundheitsminister und -ministerinnen (auch aus Deutschland) hatten im März in einem offenen Brief die Abhängigkeit von kritischen Arzneimitteln als „Achillesferse Europas Sicherheit“ bezeichnet. Europa sei einst führend in der Arzneimittelproduktion gewesen, jetzt wäre es zu 60–80 % abhängig von Asien, so die EU-Abgeordneten. Sie warnen: Für ausländische Akteure wäre es ein Leichtes, diese Abhängigkeit in eine kritische Verwundbarkeit zu verwandeln – eine, die Europas Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit ernsthaft untergraben könne.
Eine Entwicklung „von der Werkbank zur Weltapotheke“
Wie verletzlich Europa durch die Abhängigkeit von China bei Arzneimitteln ist, zeigt der Branchenverband Pro Generika anhand einer Analyse der Situation. Dr. Tim Rühlig (EU Institute for Security Studies), Dr. Jasmina Kirchhoff (Institut der deutschen Wirtschaft), Martin Catarata (Sinolytics GmbH) und Prof. Dr. David Francas (Healthcare Supply Chain Institute, Hochschule Worms) machen in diesem sog. Stresstest deutlich, dass sich die chinesischen Produzenten längst „von der Werkbank zur Weltapotheke“ entwickelt haben. Wollte China ursprünglich nur die eigene Bevölkerung ausreichend mit Medikamenten versorgen und unabhängig vom Ausland werden, hat das Land vor mehr als zwanzig Jahren den gezielten Aufbau der eigenen Pharmaindustrie beschlossen und inzwischen bei Wirkstoffen, Vorprodukten und Fertigarzneien eine globale Dominanz aufgebaut und massiv geopolitischen Einfluss gewonnen. Heute wird diese Entwicklung in China gezielt gefördert durch z. B.:
- Steuererleichterungen für „High-Tech-Unternehmen“,
- milliardenschwere Programme für Forschung und Entwicklung, wozu etwa 2,8 Milliarden Euro zur Entwicklung eigener Medikamente gegen zehn Volkskrankheiten gehören,
- gezielte Marktanreize und Firmenübernahmen im Ausland,
Abschirmung des eigenen Binnenmarkts und Zulassungshürden für ausländische Anbieter, sodass zwangsweise chinesische Tochtergesellschaften gegründet werden, - günstige Kredite und Kapitalzugang vor allem für Generikaproduzenten mit strategischer Relevanz (zum Beispiel bei Antibiotika).
Besonders kritisch ist die Abhängigkeit bei Generika
Zwar drohe kurzfristig keine Medikamentenknappheit in einer akuten Krise, mittelfristig aber könnte Europa den Ausfall chinesischer Lieferungen nicht kompensieren, mahnen die Expertinnen und Experten. Exemplarisch hatten sie 56 versorgungsrelevante generische Wirkstoffe und die Auswirkungen eines Exportstopps auf die Versorgung betrachtet. Bei über einem Drittel dieser Wirkstoffe liegt der chinesische Produktionsanteil inzwischen bei 30 %, viele Rohstoffe stammen von wenigen, häufig chinesischen Produzenten.
Welche Risikoszenarien eintreten könnten
- China weitet seine Präsenz im südchinesischen Meer rund um Taiwan systematisch aus – auch militärisch. Kommt es zur Eskalation, etwa durch einen Zwischenfall oder gezielte Provokation, droht ein Sanktionsregime durch die EU. Eine denkbare Reaktion: Exportbeschränkungen oder Blockaden bei sensiblen Produkten – einschließlich Arzneimitteln oder ihrer Vorstufen.
Risiko: hoch, insbesondere bei militärischer Eskalation - Ein Handelskonflikt zwischen China, den USA und Europa könnte sich zuspitzen. Sollte Europa chinesische Importe stärker regulieren, könnte China mit Exportrestriktionen reagieren. Pharmazeutische Produkte wären nicht das erste Ziel, könnten aber bei schwindender Hemmschwelle einbezogen werden.
Risiko: mittel bis niedrig - Auch ohne akuten Konflikt könnte China die Abhängigkeit Europas durch diskrete Maßnahmen sichern – etwa durch selektive Drosselung von Vorprodukten oder lange Genehmigungsverfahren, „Zufallsausfälle“ oder Preisinterventionen auf dem Weltmarkt. Gerade in Reaktion auf europäische Diversifizierungsstrategien wären solche Schritte plausibel.
Risiko: signifikant hoch
Bei den Vorstufen des Antibiotikums Amoxicillin (6-APA), des Antibiotikums Cefpodoxim (7-ACA) und beim Antidiabetikum Metformin (Dicyandiamid) wird das Risiko eines Lieferengpasses besonders hoch eingeschätzt. Schon der Ausfall von einem chinesischen Wirkstoffproduzenten könne große Lücken reißen, heißt es.
Als Ursache für die Produktionsverlagerung machen die Expertinnen und Experten die Politik verantwortlich und die jahrzehntelange Fokussierung auf Einsparungen. Dies habe weite Teile der generischen Produktion aus Europa verdrängt. Zwischen den 1970er- und den 2000er-Jahren seien die Preise von Generika durch diverse Gesetze immer weiter reguliert und gesenkt worden, was den Produktionsstandort Deutschland stark belastet habe. Eine konkrete Auswirkung zeigt sich bei den Penicillinen. Im Jahr 2002 waren noch 21 Hersteller in Deutschland am Markt, 2024 waren es nur noch sechs.
Die Analyse zeigt, dass 2020 bereits 54 % der generischen Produkte in China und Indien produziert wurden. Bei Biosimilars waren es 2022 dagegen nur 15 % und bei patentgeschützten Biopharmazeutika nur 2 %. Zu erwarten ist jedoch auch in den letztgenannten Feldern weiteres Wachstum, da dies von den chinesischen Machthabern erfolgreich verfolgt wird. Die Zahl chinesischer Biopharma-Patente übertrifft jene aus Deutschland deutlich.
Auch Europa muss jetzt zielgerichtet vorgehen
Die Expertinnen und Experten mahnen eine zielgerichtete politischen Strategie zur Stärkung des europäschen (bio-)pharmazeutischen Innovations- und Produktionsstandorts an: Für Deutschland und Europa gelte es, „einen vergleichbar holistischen Ansatz zu wählen und diesen konsequent umzusetzen, wie China dies getan hat“.
Notwendig sei als gesamteuropäische Aufgabe, die bestehenden Arzneimittelproduktionen in Europa zu halten und den Import von insbesondere generischen Wirkstoffen zu diversifizieren. Dafür müsste der Ausbau der Produktionskapazitäten außerhalb Chinas gefördert, Kooperationen mit EU-Drittstaaten gestärkt sowie die eigene Innovationsfähigkeit ausgebaut werden.
Andreas Burkhardt, Vorsitzender von Pro Generika, betont: „Als jemand, der politische Verantwortung trägt, sollte man sich fragen: Nehme ich es in Kauf, dass die Menschen in Deutschland im Zweifel zu Schaden kommen?“ Das sei eine große Verantwortung und eine staatspolitische Entscheidung.
Quelle: www.progenerika.de/studien/abhaengig-von-china-
verletzlich-europa/