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Deutsche Diabetes Gesellschaft „Wir müssen in Menschlichkeit investieren“

Gesundheitspolitik Autor: Nicole Finkenauer

Professor Dr. Andreas Fritsche während des Interviews mit diabetes-zeitung-Redakteurin Nicole Finkenauer in Tübingen. Professor Dr. Andreas Fritsche während des Interviews mit diabetes-zeitung-Redakteurin Nicole Finkenauer in Tübingen. © Tim Förderer/MedTriX Group
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Die Vorstandsarbeit ist für ihn nichts Neues: Professor Dr. Andreas Fritsche war schon von 2009 bis 2014 im DDG Vorstand aktiv, damals als Pressesprecher. Nun wird er als Präsident eigene Schwerpunkte setzen. 

In der DDG ist die Präsidentschaft eingebettet in ein Kontinuum: Der Vizepräsident wird Präsident und später Past Präsident. Ein System, durch das Wissen und Erfahrung in enger Zusammenarbeit aufgebaut und weitergegeben werden können – und das der neue DDG Präsident sehr schätzt.  

Herr Professor Fritsche, welche Schwerpunkte möchten Sie während Ihrer Präsidentschaft setzen?  

Prof. Fritsche: Ein Schwerpunkt, der sich durch die Pläne des Bundesgesundheitsministers ergeben hat, ist die Krankenhausreform. Damit müssen wir uns auch als Diabetologie beschäftigen und müssen als DDG versuchen, dass es für die Patienten und für das Fach Diabetologie eine positive Weiterentwicklung gibt. Da sehe ich einen großen Schwerpunkt und erforderliches Engagement. 

Zur Person: Professor Dr. Andreas Fritsche

Der Diabetologe und Facharzt für Innere Medizin wurde 2006 auf die W3- Professur „Ernährungsmedizin und Prävention“ an der Universität Tübingen berufen. Seit 2011 ist er stv. Leiter des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten gehören klinische Studien zur Praxis der Diabetestherapie sowie zur Pathophysiologie und Prävention des Typ-2-Diabetes. Von 2009 bis 2014 gehörte Prof. Dr. Fritsche schon einmal dem DDG Vorstand an und war Pressesprecher der DDG.

Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist, ist das Klischee „der Dia­betiker“. Man sollte besser Menschen mit Diabetes sagen. Es gibt unterschiedliche Menschen, und es gibt eben auch unterschiedliche Diabetespatienten. Und dieses Klischee „der Diabetiker – der Bewegungsmuffel, der übergewichtige Mensch mit Typ-2-Diabetes“ – das herrscht in der Öffentlichkeit vor und behindert eine gute Therapie und eine gute Prävention, und es führt meines Erachtens auch zu falschen Entscheidungen in der Gesundheitspolitik. Wir müssen also ein individuelleres Bild vom Diabetespatienten zeigen und vermitteln – das führt letztlich zu einer besseren Medizin.  

Gibt es etwas, worauf Sie sich in den nächsten zwei Jahren besonders freuen?  

Prof. Fritsche: Ich freue mich auf die Arbeit im Vorstand, die bisher sehr angenehm war. Ich hoffe, dass das mit mir als Präsident so bleiben wird. Ich freue mich auch auf die Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle, die ausgezeichnet ist und einem sehr viel hilft, und natürlich auch auf den Kontakt mit den Mitgliedern der DDG. Man muss sowieso sagen: Diese Arbeit ist für mich jetzt nicht etwas ganz Neues. Das Präsidium, bestehend aus Präsident, Vizepräsident und Past Präsident, arbeitet sehr eng zusammen, ebenso der Vorstand. Es ist kein Bruch, sondern eher ein Kontinuum.

Sie sind tätig am Universitätsklinikum Tübingen, wie auch Ihr Vorgänger Professor Dr. Andreas Neu. Einige weitere Präsidenten der DDG kamen aus Baden-Württemberg. Ein Zufall?  

Prof Fritsche: Es gibt viele Diabetologen aus Baden-Württemberg; das kommt auch daher, dass es ein Bundesland ist, in dem viele Universitäten noch eine Abteilung für Diabetologie haben, und das mag einer der Gründe sein. Aber ich denke, ansonsten ist es eher Zufall. 

Als junger Arzt wollten Sie Tropenmediziner werden. Entschieden haben Sie sich dann aber für die Diabetologie. Warum?  

Prof. Fritsche: Da hat auch der Zufall eine Rolle gespielt. Und ich habe erfahren, dass Tropenmedizin auch körperlich sehr anstrengend ist. Aber es gibt auch Parallelen zwischen Dia­betologie und Tropenmedizin: In Afrika habe ich gemerkt, dass es nicht darauf ankommt, dass ich den Menschen dort eine bestimmte Art von Medizin bringe und aufdrücke. Vielmehr müssen die Menschen in Afrika lernen, sich selbst zu helfen und dafür ihr Gemeinwesen und ihr Gesundheitswesen entwickeln. Ähnlich ist es in der Diabetologie: Ich darf dem Patienten nichts aufdrücken und sagen: So musst du das jetzt machen; ich weiß alles und du weißt nichts, sondern wir müssen dem Patienten immer wieder Hilfe zur Selbsthilfe möglich machen. Und sie oder er müssen Experten in eigener Sache werden. 

Am besten wäre es ja, noch früher anzusetzen. Wie könnte eine gelungene Prävention aussehen, sodass z.B. weniger Menschen an Typ-2-Diabetes erkranken? 

Prof. Fritsche: Da gibt es einmal die Verhältnisprävention, zu der es gehört, die Umwelt gesund zu gestalten. Auf diesem Gebiet ist die Deutsche Diabetes Gesellschaft traditionell sehr aktiv, auch in der Politik. Die DDG setzt sich dafür ein, dass die Ernährungs- und die Bewegungsumwelt gesund gestaltet werden und auch der Stress in der Gesellschaft abgebaut wird. 

Der neue Vorstand der DDG

In der DDG Mitgliederversammlung am 19. Mai wurden neu in den Vorstand gewählt: Prof. Dr. Julia Szendrödi aus Heidelberg, die das Amt der Vizepräsidentin übernimmt, Prof. Dr. Karsten Müssig aus Georgsmarienhütte (Präsident der 
Herbsttagung 2025), Univ.-Prof. Dr. Jochen Seufert aus Freiburg (Schatzmeister) ­sowie Prof. Dr. Martin Heni aus Ulm (Kongresspräsident 2025). Mit großem Dank für ihr Engagement aus dem Vorstand verabschiedet wurden die vormalige Past Präsidentin Prof. Dr. Monika Kellerer aus Stuttgart, Prof. Dr. Matthias Blüher aus Leipzig (Kongresspräsident 2023) und Prof. Dr. Joachim Spranger aus Berlin. Es verbleiben im Vorstand: Prof. Dr. Baptist Gallwitz (Pressesprecher), Dr. Dorothea Reichert und Dr. Tobias Wiesner (beide Vertreter des BVND). Past Präsident bis 2025 ist nun Prof. Dr. Andreas Neu. Dessen erfolgreiche Arbeit für die DDG, und insbesondere für die Kinder mit Diabetes, wird so kontinuierlich fortgesetzt.

Ich als Arzt oder wir als Behandler sind auch in der Verhaltensprävention tätig, also für das Individuum. Es ist mir ein großes Anliegen, mein Credo sozusagen, auf das Stadium des Patienten zu achten – also ob er ein hohes oder niedriges Risiko für Diabetes hat. Wir haben vor zwei Jahren eine Studie veröffentlicht, die Prädiabetes-Lebensstil-Interventionsstudie (PLIS), und da hat sich klar gezeigt: Je mehr ein Patient für die Prävention tut, je mehr ich als Behandler mich dem Patienten aber auch hinwende, umso effektiver ist es. Und: Um die Menschen mit einem hohen Risiko muss ich mich intensiver kümmern als um die, die ein niedriges oder gar keine Risiko haben, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Diese differenzierte, typengerechte Prävention wird, denke ich, zum Erfolg führen. 

Stellen Sie sich vor, Sie haben für die Diabetologie drei Wünsche frei. Was würden Sie sich wünschen?

Prof. Fritsche: Das eine ist, dieses Klischeebild des Typ-2-Diabetespatienten, der übergewichtig ist und sich nicht bewegt, aufzubrechen. Die Differenzierung in Subtypen, die Unterschiedlichkeit des Diabetes – das muss mehr rüberkommen. Ein weiterer Wunsch wäre, dass die Diabetologie und die sprechende Medizin besser in der Krankenhausreform berücksichtigt werden, und ein dritter Wunsch ist noch weit in der Ferne, nämlich dass wir Diabetes heilen können. Dieser Wunsch gilt für Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Und das können wir eben derzeit nicht – aber die Forschung muss dranbleiben

Sprechende Medizin ist ein wichtiges Stichwort. Was würde es bringen, diese sprechende Medizin zu stärken? 

Prof. Fritsche: Dazu fällt mir ein Zitat des Medizinethikers Professor Maio aus Freiburg ein: Zwischenmenschlichkeit ist die Grundbedingung für eine gute Medizin. Für diese Zwischenmenschlichkeit brauche ich die sprechende Medizin. Wir haben in der Medizin die evidenzbasierte Medizin. Die Leitlinien und die Evidenz sind etwas ganz Wichtiges, aber damit diese Evidenz beim Patienten ankommt, brauche ich die sprechende Medizin. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier investieren. Wir investieren zurzeit in Geräte, in neue Technologien wie die mRNA-Technologie, wir machen Genetik, wir digitalisieren. Wir müssen aber auch in die Menschlichkeit und die sprechende Medizin investieren, sonst wird die Medizin zum Selbstzweck. 

Eine persönliche Frage: Was machen Sie, wenn Sie frei haben?  

Prof. Fritsche: Es ist schon so, dass ich in der Freizeit auch weiterarbeite. Da bin ich kein gutes Vorbild. Meine Arbeit fordert mich rund um die Uhr, das muss man tatsächlich sagen. Man muss in diesem Job schon alle anderen Dinge zurückstellen.

Welche Bilanz würden Sie gerne ziehen, wenn Ihre Präsidentschaft 2025 vorüber ist?  

Prof. Fritsche: Ich bin kein Freund davon, Bilanz zu ziehen und Positives und Negatives gegeneinander aufzurechnen. Ich möchte einfach, dass es dem Fach Diabetologie besser geht, und vor allem natürlich, denn das ist ja Sinn und Zweck der Diabetologie, dass es den Patienten mit Diabetes besser geht nach diesen zwei Jahren.


Dieses Interview ist eine gekürzte Version eines Video-Interviews mit Prof. Dr. Fritsche. Einige Passagen wurden deshalb den Erfordernissen der Schriftsprache angepasst. Das Video und ein Video mit Past Präsident Prof. Dr. Andreas Neu finden Sie hier.

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