
Wird die Tele-AU ausgenutzt? Zi-Auswertung zeigt: Missbrauch der eAU nicht belegbar

120 Millionen Mal wird jährlich in deutschen Praxen eine Arbeitsunfähigkeit (AU) bescheinigt. Doch läuft das immer korrekt, ist der Kranke wirklich krank? Es gibt Zweifler, auch in der Politik. Die AU nach Telefonat und Videokontakt wird von mancher Seite besonders kritisch gesehen.
Seit 2021 verzeichnen die gesetzlichen Krankenkassen einen massiven Anstieg der AU-Fälle, teils um bis zu 95 %. Auch bei AU-Zahlen nach telefonischem Kontakt mit Patientinnen und Patienten ist ein steiler Anstieg von 2021 auf 2022 zu sehen, und bei Videosprechstunden mit AU-Bescheinigung setzt sich der Aufwärtstrend im Jahr 2023 sogar noch fort. Unterstellt wird deshalb gelegentlich, dass die Tele-AU von den Praxen teils ohne genaueres Prüfen ausgestellt wird.
Laut Koalitionsvertrag wollen Union und SPD „die seit Corona geltenden Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung überprüfen und ggf. im Rahmen einer möglichst bürokratiearmen Regelung anpassen“. Unterstützt wird das von den Arbeitgebern, die allein 2024 für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 82 Milliarden Euro geleistet haben.
„Selbstverständlich gibt es zu Recht eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in Deutschland“, sagt Dr. Susanne Wagenmann von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Gezahlt werden dürfe aber nur, wenn eine verlässliche Krankmeldung hinten dran stehe, die Person wirklich krank sei. Dass Menschen „blau machen“ wollten, sei bestimmt kein Massenphänomen, es zu unterbinden, liege aber im Gesamtinteresse, so die Leiterin der Abteilung Soziale Sicherung beim BDA.
Doch stimmen die Unterstellungen oder gibt es andere Gründe für den AU-Anstieg? Dieser Frage ging das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) mittels Routinedaten der Barmer (2020–2023) nach. Betrachtet wurden Erst-AU-Fälle ohne Kranken- und Kindergeldbezug ab der 6. Woche.
Wie Dr. Sandra Mangapiane, Leiterin des Zi-Referats Grundsatzfragen, berichtet, gehen nur maximal 1,2 % dieser AU-Fälle auf ein Telefonat mit der Praxis zurück und nur maximal 0,3 % auf einen Videokontakt. Der zu beobachtende Anstieg des Krankenstandes lässt sich durch Tele- und Video-AU also nicht erklären.
Ursächlich sind laut Analyse vor allem Erkrankungen der oberen Atemwege und COVID. Zudem könnte sich die Einführung der eAU ausgewirkt haben. Eine IGES-Studie im Auftrag der DAK, auf die Dr. Mangapiane hinwies, geht von 60 % zusätzlichen Fehltagen durch den neuen Meldeeffekt aus.
An der telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung müsse unbedingt festgehalten werden, mahnt Dr. Eckhard Lämmert, Hausarzt auf dem Land zwischen Hannover und Celle und Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Niedersachsen. Er lobt die Telefon-AU als wichtige Maßnahme zur Entbürokratisierung und Entlastung der Praxen. Sie helfe auch Menschen, die „große Probleme haben, sich mit den neuen Medien zurechtzufinden, und die etwas älter sind“. Und kämen infektiöse Patientinnen und Patienten in die Praxis, würden mehr Infekte weitergegeben.
Anne-Kathrin Klemm, Alleinvorständin des BKK-Dachverbands, bemerkt zu den Politikplänen, dass der Missbrauch der Tele-AU nicht belegbar sei. Der Blick auf die AU-Zahlen 2025 zeige zudem, dass die Zahlen wieder zurückgehen.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht