Anämien in der Schwangerschaft

Professor Dr. Peter Scheidel und Wiebke van der Linde

Der überproportionale Anstieg des Plasmavolumens mit physiologischer Verdünnungsanämie bzw. Schwangerschaftshydrämie ist der Grund dafür, dass eine Anämie per definitionem der WHO erst bei Hb-Werten unter 11 g/dl in der Schwangerschaft und unter 10 g/dl im Wochenbett beginnt. Zwar nimmt in der Schwangerschaft durch gesteigerte Erythropoese auch das Erythrozytenvolumen zu - dies jedoch mit 30 % weniger und langsamer als das Plasmavolumen (+45 %).

Bei der Schwangerschaftshydrämie kommt es somit zu einer relativen Abnahme des Hb, des Hämatokrit sowie der Erythrozytenzahl, obwohl die absolute Erythrozytenmenge zunimmt. Erst bei Abnahme des Hb-Wertes unter 11 g/dl handelt es sich nicht mehr um physiologische Verdünnungsanämien, sondern um echte Mangelanämien, die zu 95 % auf Eisenmangel sowie auf Vitamin-B12- und Folsäuredefiziten basieren.

 

 

Serologische Parameter bei auffallender Schwäche, Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Ohrensausen sowie Herzklopfen einer Schwangeren sind das Differenzialblutbild (Hb, Hämatokrit, MCV und MCH, Erythrozytenzahl) sowie Parameter des Eisenstoffwechsels (Eisen, Ferritin, Transferrin) und der Hämolyse (LDH, Bilirubin, Haptoglobin). Erste Anämiesymptome treten häufig zunächst schleichend auf, und dies auch erst bei ausgeprägten Anämien mit Hb-Werten unter 7 g/dl. In diesem Bereich kommt es aber schon öfter zu Fehlgeburten, Frühgeburten, fetalen Wachstumsretardierungen und intrauterinen Fruchttoden.

Symptome des Eisenmangels treten oft schleichend auf

Bestätigt sich der Verdacht auf Eisenmangelanämie (Eisen und Ferritin erniedrigt) nicht, sind zunächst die Hämolyseparameter LDH, Bilirubin (↑xad) und Haptoglobin (↓) zusammen mit Vitamin B12 und Folsäure zum Ausschluss von megaloblastischen Anämien zu bestimmen. Auch die ungleich selteneren Thalassämien, Sichelzellanämien sowie überhaupt hämolytische Anämien verraten sich durch pathologische Hämolyseparameter. Last, not least ist an die selteneren Blutungsanämien (Gastro- oder Koloskopie!) zu denken.

 

 

Die Ätiologie der weitaus am häufigsten vorkommenden Eisenmangelanämien ist zunächst in einer ungenügenden Eisenzufuhr der Schwangeren und/oder vorbestehendem Eisenmangel (mehrere Schwangerschaften in kurzen Intervallen, chronischer Blutverlust bei Menometrorrhagien) zu suchen. In der Anamnese finden sich dabei häufiger auch Vegetarierinnen oder die Einnahme nicht steroidaler Antiphlogistika, welche zu hämorrhagischen Gastritiden führen können. Drei Formen des Eisenmangels sind dabei zu differenzieren:

 

  • Prälatenter Eisenmangel (~40 % am Ende der Schwangerschaft): Ferritin verringert, keine Veränderung von Blutbild, Serumeisen und Eisenbindungskapazität.
  • Latenter Eisenmangel (20 bis 30 %): Ferritin und Serumeisen vermindert, Blutbild unverändert.
  • Manifester Eisenmangel (20 bis 30 %): Hb und Anzahl der Erythrozyten vermindert, zusätzlich sind MCV und MCH erniedrigt. Eine Thalassämie lässt sich im Übrigen von Eisenmangelanämien durch normale oder erhöhte Ferritinspiegel abgrenzen.

 

 

Die Therapie des Eisenmangels besteht in oraler Eisensubstitution mit zweiwertigem Eisen, weil dieses besser resorbierbar ist als dreiwertiges. Zwei- bis dreimal täglich 50 mg, später 100 mg, sind möglichst auf nüchternen Magen und nicht gemeinsam mit Antazida einzunehmen, weil Letztere mit Eisen schwer lösliche Verbindungen eingehen. Bei gutem Ansprechen auf die Substitution kommt es innerhalb von drei bis vier Tagen zu einem Retikulozytenanstieg, die Hb-Konzentration sollte wöchentlich um etwa 1 g/dl zunehmen. Die Eisensubstitution ist in diesen Fällen auch nach der Geburt noch für mehrere Monate fortzusetzen, um den erhöhten Eisenbedarf in der Stillzeit auszugleichen und die Eisendepots im Körper wieder aufzufüllen. Dabei verbietet sich die intravenöse Gabe dreiwertigen Eisens schon wegen der Gefahr der Eisenüberladung (Hämosiderose), des relativ hohen Thrombophlebitisrisikos und auch der schlechten Verträglichkeit fast immer.

 

 

Vitamin-B12- und Folsäuredefizite folgen in der Häufigkeitsskala den Eisenmangelanämien:

 

 

Bei Serumnormwerten von Vitamin B12 zwischen 200 und 900 ng/l beläuft sich der tägliche Bedarf einer Schwangeren auf 1 bis 2 mg. Ein Vitamin-B12-Mangel basiert häufig auf völligem Verzicht von Fleisch, Milch und Eiprodukten (Veganer). Typisch sind dabei die Cafxe9-au-lait-Hautfarbe durch Anämie und hämolytischen Ikterus sowie eine atrophische Glossitis mit glatter, roter und schmerzhafter Zunge. Auch der normale Folsäurebedarf von 50 bis 100 µg täglich liegt in der Schwangerschaft deutlich höher. Anamnestisch ist bei der Schwangeren nach einseitiger Kost durch Mangelernährung sowie nach einem chronischem Alkoholismus zu fahnden. Serum-Folsäurespiegel unter 4 µg/l gelten als diagnostisch relevant.

Fe-Substitution über Geburt hinaus fortsetzen

Während der ganzen Schwangerschaft ist dann Folsäure mit 5 bis 10 mg täglich oral zu substituieren.

Diagnostik und Therapie der viel selteneren Sichelzellanämien (Bilirubin ↑xad, Haptoglobin ↓) sowie Thalassämien (ebenfalls Bilirubin erhöht und Haptoglobin erniedrigt) sind einem konsiliarisch hinzugezogenen Internisten zu überlassen.

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