Cartoon Praxismanagement

„Damit wird der Erkrankungswert der Tabaksucht anerkannt“

Isabel Aulehla

Jugendliche starten meistens mit Vapes, greifen später aber oft zur herkömmlichen Tabakzigarette. Jugendliche starten meistens mit Vapes, greifen später aber oft zur herkömmlichen Tabakzigarette. © IGraDesign - gettyimages

Bestimmten Patientinnen und Patienten darf künftig Vareniclin oder Nikotin auf Kassenrezept verordnet werden. Ist das ein historischer Schritt oder eine halbherzige Lösung? Der Pneumologe Dr. Alexander Rupp ordnet ein. Es geht um Folgekosten, Lobbyismus und eine herandampfende Generation neuer Raucherinnen und Raucher.

Herr Dr. Rupp, wie bewerten Sie die Tragweite des G-BA-Beschlusses vom 15. Mai, laut dem Arzneimittel zur Tabakentwöhnung in bestimmten Fällen von der GKV bezahlt werden? 

Dr. Alexander Rupp: Die Tragweite ist als enorm einzustufen, da hiermit zum ersten Mal Medikamente – explizit Nikotinprodukte und Vareniclin – für schwer abhängige Rauchende einmalig in drei Jahren im Rahmen evidenzbasierter Entwöhnungsprogramme von der GKV übernommen werden. Dies gilt auch für Rauchende, die trotz einer Risikoerkrankung wie COPD, Asthma oder einer Herz-Kreislauf-Erkrankung den Tabakverzicht nicht schaffen. Damit wird erstmalig der Erkrankungscharakter der zugrundeliegenden Tabakabhängigkeit, F17.2, anerkannt und die Möglichkeit der evidenzbasierten medikamentösen Therapie aus ihrer bisherigen Einordnung als „Lifestyle“-Medikation herausgeholt. Gleichzeitig sind jedoch hohe Hürden gesetzt, wie die Festlegung auf eine „schwere“ Abhängigkeit und die Sperrklausel, dass eine erneute Versorgung mit den Medikamenten erst nach frühestens drei Jahren erfolgen darf. Eine Klausel, die bei anderen stoffgebundenen Süchten und deren Behandlung undenkbar wäre. Hier muss dringend gesetzlich nachgebessert werden.

Was schätzen Sie, wie groß ist der Anteil der Raucherinnen und Raucher in ihrem Patientenstamm, für den künftig eine Verordnung von Nikotin oder Vareniclin möglich sein wird?

Ich schätze, dass der Anspruch auf mindestens 60–70 % meiner rauchenden Patienten zutreffen dürfte, vorausgesetzt, sie sind Willens einen Aufhörversuch im Rahmen eines evidenzbasierten Programms zu versuchen.

Für wie praktikabel und zuverlässig halten Sie den Fagerströmtest für Zigarettenabhängigkeit im Praxisalltag, mit dem die Schwere der Sucht festgestellt werden soll?

Der Fagerströmtest kann bereits im Wartezimmer von den Patienten ausgefüllt werden. Mit seinen sechs Fragen ist er ohne großen Zeitaufwand ausfüllbar und fließt dann unmittelbar im Arzt-Patientengespräch in die Diagnosefindung und die Therapieentscheidung mit ein.

Seit einigen Jahren gibt es DiGA zur Raucherentwöhnung, die die GKV bezahlt. Wie oft verordnen Sie diese Apps und wie gut werden sie angenommen?

Ich verordne DiGA zu Tabakentwöhnung regelmäßig, teils mehrfach pro Woche. Nicht alle, aber die meisten Rezepte werden von meinen Patienten bei der GKV eingereicht, die Akzeptanz der DiGA ist damit als hoch einzustufen. Die größten Vorteile sind, dass Sie enorm ressourcenschonend sind und dass meine Patienten nicht lange auf den nächsten Kursbeginn warten müssen, sondern unmittelbar nach der Verordnung mit einer evidenzbasierten Therapie starten können.

Deutschland qualmt

Der exzessive Konsum von Tabak hat weiter zugenommen. Das zeigen Daten, die die KKH Kaufmännische Krankenkasse ausgewertet hat. Demnach stieg die Zahl der Tabaksüchtigen von 2013 bis 2023 um fast die Hälfte an (47,5 %). Laut einer Hochrechnung der Kasse wurden 2023 bundesweit rund 6 Millionen Menschen wegen Tabakabhängigkeit, Entzugserscheinungen, eines akuten Tabakrauschs oder weiterer psychischer Probleme aufgrund von Tabak ärztlich behandelt. Fast ein Viertel dieser exzessiven Raucher (22,8 %) war zu diesem Zeitpunkt auch an einer COPD erkrankt. Zehn Jahre zuvor lag die Quote noch bei 19,5 %. Am kritischsten ist die Lage in Thüringen: Dort stieg die Zahl der Tabaksüchtigen im Zehnjahresvergleich auf das Doppelte an (99,6 %). Das geringste Plus verzeichnet die KKH hingegen mit rund 26 % in Hamburg. MT

Wie hoch war bislang die Bereitschaft der Raucherinnen und Raucher in Ihrer Praxis, IGeL-Leistungen zur Entwöhnung zu zahlen?

Es gibt zahlreiche Rauchende, die bereit sind, die Kosten für Einzel- oder Gruppentherapie als IGeL zu tragen, und die Rechnungen dann zur partiellen Kostenerstattung bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse einreichen. Eine qualifizierte, evidenzbasierte Tabakentwöhnung gehört jedoch nach meinem Dafürhalten, genauso wie die Medikamente, vollumfänglich in den Leistungskatalog der GKVen und PKVen. Wir reden beim Rauchen von einer Abhängigkeitserkrankung die mit enormen Folgeerkrankungen, mit vorzeitigem Sterben und mit direkten und indirekten jährlichen Kosten von ca. 97 Mrd. Euro allein in Deutschland einhergeht.

Sehen Sie weitere strukturelle Hürden, die einer besseren Tabakentwöhnung im Weg stehen?

Ja. Deutschland ist weiterhin eines der Schlusslichter in Europa in Bezug auf die Tabakkontrollpolitik. Mit ursächlich ist die enorme Lobbyarbeit der Tabak- und E-Zigarettenindustrie, die effektive Gesetze verhindert oder bis fast zur Wirkungslosigkeit abschwächt, die einer Umsetzung der von Deutschland ratifizierten WHO-Rahmenrichtlinie zur Tabakkontrolle dienlich sein könnten. Wir müssen politisch den Nichtraucherschutz verbessern, eine restriktivere Verkaufs- und Marketingstrategie für Tabak- und Nikotinprodukte einfordern, eine vollumfängliche Bezahlung evidenzbasierter Programme und Medikamente erreichen und den Jugendschutz stringent einfordern.

Beobachten Sie eine Zunahme des Rauchens bei Minderjährigen durch E-Zigaretten? 

Ja, dies nimmt leider immer mehr zu. Jugendliche nehmen die E-Zigarette dank der falschen, aber sehr effektiven Marketingstrategien der Tabak- und E-Zigarettenindustrie als weniger schädlich und damit fatalerweise als „gesünder“ wahr. 

Die Aromastoffe erleichtern den Einstieg in das Rauchen von E-Zigaretten und das Inhalieren des Dampfes und sind gleichzeitig selbst schädlich für den Körper. Bei den neuesten Einweg-Vapes flutet das Nikotin gleich schnell an wie bei konventionellen Tabakzigaretten und erzeugt höhere Nikotinspiegel als die Tabakzigarette. Das bedeutet, wir züchten uns im Jugendalter bereits die nächste Generation Nikotinabhängiger heran, die dann 3–4 mal häufiger zur Tabakzigarette wechselt, als Jugendliche ohne E-Zigaretten-Konsum. Das ist für die Jugendlichen, aber auch für die Bemühungen zum Nichtraucherschutz und zur Entwöhnung abhängiger Raucher fatal.

Wie gehen Sie mit Raucherinnen und Rauchern um, die trotz vieler Versuche, aufzuhören, immer wieder rückfällig werden?

Ausrutscher oder auch Rückfälle kommen bei Suchterkrankungen häufig vor. Wichtig ist, mit den Patienten in Kontakt zu bleiben, zu evaluieren, was zum Rückfall geführt hat und gemeinsam den nächsten Versuch zu besprechen. Das darf aber nicht nur alle drei Jahre stattfinden!

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Jugendliche starten meistens mit Vapes, greifen später aber oft zur herkömmlichen Tabakzigarette. Jugendliche starten meistens mit Vapes, greifen später aber oft zur herkömmlichen Tabakzigarette. © IGraDesign - gettyimages