
Generalisierte Polyneuropathien deuteten auf ein Guillain-Barré-Syndrom hin

Eine 56-jährige Frau hatte wegen unproduktiven Hustens und einer linksseitigen Ohrinfektion Antibiotika erhalten. Drei Wochen später traten Heiserkeit und Dysphagie auf, berichten Michael McAree und Prof. Jennifer Frontera, NYU Langone Health in Brooklyn. Daher suchte die Patientin die Notaufnahme auf. Sie gab außerdem ein Kribbeln in den Fingern der rechten Hand und den Zehen des rechten Fußes an sowie Urtikaria und verschwommenes Sehen, wenn sie nach rechts schaute.
Da die Nasennebenhöhlen klopfschmerzhaft waren und sie weiterhin hustete, schickte man sie zunächst mit einem neuen Antibiotikarezept wieder nach Hause. Griffstärke und Sehvermögen waren bei Tests unauffällig gewesen, es zeigten sich keine Anzeichen einer Dysarthrie oder Gesichtslähmung. Am selben Abend verschlimmerte sich jedoch die Heiserkeit: Am nächsten Morgen konnte sie nicht mehr sprechen und kaum noch schlucken. Erneut kam sie in die Notaufnahme.
Daraufhin veranlassten die dortigen Kolleginnen und Kollegen eine Laryngoskopie, die eine komplette Lähmung des linken Stimmbands offenbarte. Dieser Befund passte zu einer Schädigung des Nervus vagus, was eine ausgiebige neurologische Untersuchung nach sich zog. Dabei deckte man u. a. eine rechtsseitige Ptosis sowie eine Lähmung des N. abducens, eine leichte Schwäche der Nackenmuskulatur und des rechten Bizeps auf. Die Sensibilität und Motorik beider Hände und Füße waren reduziert und die Muskeleigenreflexe teilweise abgeschwächt.
Zunächst zielte das behandelnde Ärzteteam wegen der Bulbärsymptomatik darauf ab, die Atemfunktion zu sichern. Die Lungenfunktionsuntersuchung zeigte reduzierte Werte für Vitalkapazität und maximalen Inspirationsdruck.
Bilaterale Ophthalmoplegie im weiteren Verlauf
Daher verlegte man die Patientin auf die Intensivstation und begann nach weiterer Abnahme der Lungenfunktion eine Beatmung. In den nächsten Tagen verschlimmerte sich der Zustand. Sie entwickelte eine nahezu komplette bilaterale Ophthalmoplegie sowie fehlende Muskeleigenreflexe und eine zunehmende Schwäche der oberen und unteren Extremitäten.
Bei solch einer generalisierten und schnell progredienten Störung peripherer Nerven, die sowohl Sensorik, Motorik als auch Hirnnerven betrifft, kommen verschiedene Auslöser infrage. Das Autorenduo nennt das Guillain-Barré-Syndrom, Zeckenparalyse (in Amerika), Diphtherie, Ciguatera (Fischvergiftung v. a. durch Red-Snapper-Speisefische), Lyme-Borreliose, Morbus Sjögren sowie Mischkollagenosen.
Aufgrund der Krankengeschichte der Frau und dem Fehlen eindeutiger Indizien für andere Differenzialdiagnosen erachtete das neurologische Konsil das Guillain-Barré-Syndrom für die wahrscheinlichste Ursache. Nach fünftägiger Plasmapherese konnte die Patientin am achten Tag ihres Klinikaufenthalts extubiert werden. Zu dieser Zeit hatte sich die ZNS-Funktion wieder normalisiert, es bestand nur noch eine leichte Schwäche der Arme, die Stimmbandlähmung war rückläufig. Eine ambulante Physiotherapie sollte für weitere Besserung sorgen.
Typischerweise manifestiert sich das Guillain-Barré-Syndrom nach einer Infektion als aufsteigende symmetrische Schwäche der Extremitäten, schreibt das Autorenteam. Nur 30–50 % der Betroffenen entwickeln Hirnnervenstörungen, die dann i. d. R. später auftreten. Der Verlauf des beschriebene Falls sei u. a. durch die frühzeitige, deutliche Beteiligung der Hirnnerven atypisch gewesen, was immer die Gefahr einer verpassten oder verzögerten Diagnose mit sich bringt.
Quelle: McAree et al. Neurology 2025; 104: e213363; DOI: 10.1212/WNL.0000000000213363
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